Megaerfolge für Taylor Swift, Harry Styles oder Margot Robbie ändern nichts daran, dass sie in der männlich geprägten Kulturrezeption oft nicht ernst genommen werden.

Sie fühle sich so wohl wie in kaum einem anderen öffentlichen Raum: So beschreibt Anna Jandrisevits vom Medium Die Chefredaktion ihre Erfahrung beim Harry-Styles-Konzert in Wien vor zwei Wochen. "Umgeben von tausenden Menschen, die lachten, tanzten und weinten", führt sie auf Instagram aus. Auf Konzerten seiner vormaligen Band One Direction habe sie nie Angst vor unangenehmen Blicken oder sexuellen Übergriffen gehabt. Doch Jandrisevits’ Erfahrung wurde von Konzertberichten getrübt. Warum wurden die Harry-Styles-Fans, vornehmlich junge Frauen und queere Personen, als hysterisches, kreischendes Publikum bezeichnet? Warum wird "Mädchenkram", wie die Farbe Pink, Ponys und Popmusik, in unserer Gesellschaft ins Lächerliche gezogen?

Die Antwort darauf ist vielschichtig. Die Herabwürdigung von Dingen und Erscheinungen, die als "mädchenhaft" gelten, ist so alt wie die Rollenaufteilung selbst. Das fängt im Kinderzimmer an und schlägt sich auch in der geringeren Entlohnung von Frauenberufen nieder. Lange Zeit hat sich die feministische Bewegung deshalb dafür eingesetzt, dass Mädchen vom Rosa wegkommen, nicht nur mit Puppen spielen, sondern technische Berufswünsche entwickeln. Um Frauen von ihren Rollenklischees zu befreien, haben Feministinnen auf diese Weise dazu beigetragen, diese zu entwerten. Pink stinks!

Harry Styles bei einem Auftritt bei den Grammy Awards Anfang Februar.
Harry Styles bei einem Auftritt bei den Grammy Awards Anfang Februar.
APA/AFP/VALERIE MACON

"Mädchen und junge Frauen, vor allem of Color, rangieren in der hierarchischen Geschlechterordnung auf niedrigen Stufen. Daraus ergibt sich etwa, dass ihre Freizeitaktivitäten und ihr Musikgeschmack abgewertet werden", erklärt Musik-Soziologin Rosa Reitsamer von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. "Hinzu kommt, dass junge weibliche Fans vom Musikjournalismus als 'Groupies' abgetan werden und ihre Handlungsfähigkeit als Musikfans negiert wird."

Musikwissenschafterin Helen Sherrah-Davies hat sich mit diesem Phänomen in der britischen Presse beschäftigt: Weibliche Fans werden darin als passive und unreife Konsumentinnen dargestellt. Von Frauen, die "intelligente Musik" mögen, wird dagegen angenommen, dass sie sie nicht wirklich verstehen. Der Grund für das Fan-Sein wird dann mit der sexuellen Anziehungskraft eines männlichen Musikers erklärt. Damit wird weiblicher Geschmack nicht nur lächerlich gemacht, sondern auch trivialisiert und sexualisiert. Das fällt wiederum auf die betreffenden Künstler:innen zurück.

Mangelnde Glaubwürdigkeit?

2017 fragte der Rolling Stone Harry Styles explizit danach, ob er sich Sorgen um seine Glaubwürdigkeit bei älterem Publikum mache. Seine Antwort: "Wer sagt, dass junge Mädchen, die Popmusik mögen – kurz für populär, oder? –, einen schlechteren Geschmack haben als ein 30-jähriger Hipster-Typ?" Ja, wer sagt das eigentlich?

Sehr viele Feuilleton-Texte, die sich zuletzt mit Popstar Taylor Swift beschäftigten, zum Beispiel. Die US-Musikerin bricht einen Streaming-Rekord nach dem anderen, füllt reihenweise Riesenstadien - doch ihre Erfolge werden oft belächelt, ihre Musik wird als unspektakulär kritisiert, und ihre Fans werden als "hysterisch" abgetan – eine klassische Bezeichnung für mehrheitlich weibliches Publikum.

Taylor Swift bei einem Konzert 2019 in Kalifornien.
Taylor Swift bei einem Konzert 2019 in Kalifornien.
REUTERS/MARIO ANZUONI

Was als Popmusik wahrgenommen wird, ist oft eine Frage der Auslegung. Mit Pop meint man häufig auch billig produziert, oberflächlich und eingängig. Im Fall der deutschen Frauengruppe Tic Tac Toe hat man wohl einen Umkehrschluss gemacht: Wenn junge Mädchen ihre Rap-Texte feiern, muss das, was sie machen, Popmusik sein. So wurde das schwarze Trio aus dem Ruhrpott zu einer Girlband – mit zweifelhafter Popularität.

"Hier streiten sich drei Zwölfjährige darum, wessen Barbiepuppe denn nun am schönsten sei", kommentiert das Musikmagazin "Laut.de" die Geschichte der Band, die vielen vor allem mit einem Streit auf einer Pressekonferenz in Erinnerung blieb. Den Moment beschreibt "Laut.de" mit "Barbiegirls in their Barbieworld".

Barbie kann alles sein

Dabei ist die Barbiewelt in Greta Gerwigs neuem Film (Barbie) alles andere als intrigant: Barbie (Margot Robbie) ist von sich überzeugt und darf das auch sein, ohne überheblich zu wirken. Sie tauscht mit ihren Freundinnen Lob und Anerkennung aus für Schlau-Sein und Aussehen. Wenn Barbie Volleyball spielt, wird sie von einer männlichen Cheerleader-Truppe angefeuert, ihr bester Freund hat keine Hintergedanken, und sein Ego leidet in der Friendzone nicht. Das klingt nach einer entspannten Atmosphäre, die viele junge Frauen wahrscheinlich nicht kennen.

Kurze STANDARD-Videodoku über das Phänomen Barbie
DER STANDARD

Ist Barbie vielleicht sogar feministisch? In der Vergangenheit wurde sie immer wieder weiterentwickelt, konnte alles sein, Ärztin, Präsidentin, Astronautin – doch die Message, die dabei mitschwang, ist durchaus vergiftet: Barbie sah nun nicht nur toll aus, sie lieferte auch hervorragende Leistung. Noch mehr Druck auf junge Frauen, womöglich. Zudem war sie fortschrittlicher als der Rest der Welt: Barbie war im All, bevor echte Frauen in den USA Kreditkarten haben durften. Ins US-Präsidentschaftsamt wurde bisher immer noch keine Frau gewählt. Im Film geht Regisseurin Gerwig das Thema durchaus sarkastisch an, wenn es heißt: "Weil Barbie alles sein konnte, konnten Frauen alles sein. Und so waren alle Probleme der Gleichberechtigung und des Feminismus gelöst."

Mattel gewinnt immer

Im Film betont Barbie immer wieder, dass sie die Klischee-Barbie der Barbies ist: platinblond, weiß und blauäugig und fast ausschließlich in Pink gekleidet. Denn obwohl es seit diesem Frühjahr sogar eine Barbie mit Down-Syndrom gibt, verbinden viele mit ihr nur jene, die so unrealistische Körperproportionen hat, dass sie im echten Leben nicht lebensfähig wäre.

Autorin Julia Korbik hat beobachtet, dass die Rennfahrer- oder Astronauten-Barbie ein Geheimtipp für Sammler:innen sein müssen – so schwer seien sie im Handel auffindbar. Für Hersteller Mattel ergab sich trotzdem eine Win-win-Situation: Mit den diversen Barbies kalmiert er feministische Kritiker:innen, mit der Klischee-Barbie macht er das Geld.

Im Vorfeld wurde viel darüber diskutiert, für wen und vor allem für welche Altersgruppe Gerwigs Film gedacht ist. Mehr als bei anderen zu Filmrealität erweckten Spielsachen wie etwa GI Joe, He-Man oder Lego. Männlich konnotiertes Spielzeug scheint eine längere Lebensdauer zu haben, was man etwa im professionellen Umfeld beobachten kann: Kaum eine Arbeitnehmerin würde eine Barbie auf den Schreibtisch setzen. Was man sehr wohl in den Büros findet: Baby Yoda, Lego-Bauten oder Merchandise von Computerspielen.

Mehr als Plastik im Kopf

Der Film Barbie hat es offenbar in die Erwachsenenwelt geschafft: In vielen Kritiken wurde er ohne Häme gelobt. Noch vor der Premiere kommentierte allerdings ein australischer Journalist Margot Robbies Kleidung bei den Barbie-Events und forderte sie auf, "intelligentere Outfits" zu wählen, um zu zeigen, dass sie mehr im Kopf habe als Plastik.

Schauspielerin Margot Robbie auf der Premiere vom Barbie-Film ganz in Pink.
Schauspielerin Margot Robbie auf der Premiere vom Barbie-Film ganz in Pink.
JUSTIN TALLIS / AFP

Da ist sie also wieder, die Abwertung von Pink und Pop – wohl auch, weil Kulturjournalismus immer noch eine männliche Domäne ist. Für den Literaturbereich errechnete das deutsche Projekt Frauen zählen, dass drei Viertel aller von Männern besprochenen Werke auch von männlichen Autoren verfasst wurden. Die wenigen Kritikerinnen besprechen zwar ausgewogener, doch überwiegend die Werke von Männern.

Ein ähnliches Bild zeigt sich im Musikjournalismus. "Die überwiegende Mehrheit sind weiße, heterosexuelle Männer aus der Mittelschicht, die eine ähnliche musikalische Sozialisation teilen und nicht selten über männliche Netzwerke zu ihren Jobs gekommen sind", sagt Musik-Soziologin Reitsamer. Dort werde "die Abwertung des Musikgeschmacks von Mädchen und jungen Frauen fortwährend reproduziert".

Reitsamer sieht deshalb großen Bedarf für antirassistische, feministische und queere Berichterstattung über Kultur und Musik. Damit würde die Sichtbarkeit von Marginalisierten erhöht sowie "kritische und respektvolle Sichtweisen auf musik- und popkulturelle Phänomene eröffnet" werden.

Feministische Popkultur

Das 2022 eingestellte Bitch-Magazin erhob den Anspruch, "a feminist reponse to pop culture" zu sein: Serien oder Musik, die vorwiegend Frauen konsumieren, sollten nicht belächelt oder abgewertet, sondern mit dem gleichen Enthusiasmus und Interesse analysiert werden wie zum Beispiel Bob-Dylan- oder Bruce-Springsteen-Alben. Die feministische Popkulturrezeption verstand früh, dass etwa Dirty Dancing viel mehr ist als ein einfältiges Liebesfilmchen, nämlich radikal Klassenverhältnisse, Abtreibung und sexuelle Selbstbestimmung verhandelte.

Was feministische Popkultur geschafft hat: Viele Frauen sagen heute nicht mehr unter der Hand, was sie mögen, sondern zelebrieren ihre Freude am Barbie-Film oder Harry-Styles-Konzert etwa in sozialen Medien ganz offen. Kein Guilty Pleasure mehr. Einfach Pleasure. (Maria von Usslar, Noura Maan, 22.7.2023)