Ein Roboter, der Zeitung liest
Dieses Bild wurde mit der KI Midjourney erstellt. Der Prompt lautete: "illustration of a friendly looking robot, presenting newspapers, looking at the camera. --ar 3:2"
Midjourney/Der Standard

Liebe Mitmenschen,

das über zehn Jahre alte Computerspiel "The Elder Scrolls 5: Skyrim" wird von Fans noch immer gerne gespielt und vor allem weiterentwickelt. Dabei sorgt nicht nur für Kontroversen, dass Stimmen von Schauspielerinnen geklont wurden, um im Spiel Deepfake-Pornos zu erstellen – spannend ist auch der Fall der von Fans neu geschaffenen Figur namens Herika, die sich per Sprachein- und -ausgabe mit dem Spieler unterhält und ihn nicht nur in Kämpfen unterstützt, sondern ihn durch ihre sarkastische Art auch in interessante Gespräche verwickelt.

Ach, herrje, nun ist es mir schon wieder passiert: die Anthropomorphisierung. Schon wieder habe ich – wie so viele von uns – einer KI menschliche Eigenschaften zugeschrieben. Dabei ist es gar falsch, im Fall von künstlicher Intelligenz überhaupt von "Intelligenz" zu sprechen, da die Maschinen nicht intelligent im menschlichen Sinne sind, wie mir Julian Nida-Rümelin, Professor der Philosophie und ehemaliger deutscher Kulturminister, jüngst in einem Interview erklärte. Eine Ansicht, die auch von den meisten anderen Expertinnen und Experten – in der Forschung ebenso wie in der Wirtschaft – geteilt wird: Die KIs haben kein Bewusstsein, sie sind Maschinen.

Wichtige Werkzeuge

Maschinen aber, die durchaus einen Nutzen bringen und die Welt auf den Kopf stellen:    

Nicht minder verstörend ist aber auch das echte Leben – darunter die Nachricht, dass ein indischer CEO zuletzt 90 Prozent seines Support-Personals durch KI ersetzt hat. Auch die Streikenden in Hollywood wünschen sich, dass der Einsatz von KI in der Filmbranche klar reguliert wird, während Comedian Sarah Silverman die Unternehmen Meta und OpenAI bereits auf Urheberrechtsverletzung klagt. Zwar heißt es in einer OECD-Untersuchung, dass KI derzeit noch keine hochqualifizierten Arbeitskräfte ersetze – gleichzeitig besagt eine Studie des Capgemini Research Institute, dass Weiterbildung in diesem Bereich für Menschen essenziell wird

Wettlauf der Großen

Sowohl OpenAI als auch Google steht derzeit im Visier von Behörden und Gerichten, wenn es um den Umgang mit Nutzer- und die Herkunft von Trainingsdaten geht. Zugleich ist Google jenes Unternehmen, das zumindest in Europa diese Woche für die größte Schlagzeile sorgte: Denn Bard, das Large Language Model des Konzerns, ist nun auch in der EU verfügbar.

In einer Gegenüberstellung von Bard, Bing und ChatGPT zeigt sich rasch, dass die Tools der Big Tech dem Newcomer schon heute voraus sind, da sie im Gegensatz zur OpenAI-Lösung auch nach aktuellen Informationen im Netz suchen können. Zudem kann Bing auch kostenlos und ohne Anmeldung im Browser KI-Bilder generieren, womit Midjourney quasi obsolet wird. Wegen dieser Niederschwelligkeit werden die Großen die Kleinen letztlich wohl verdrängen. Oder, popkulturell gesprochen: Die Imperien schlagen zurück.

Dabei sind Google und Microsoft freilich nicht die einzigen Branchengrößen, die am Kuchen mitnaschen. So will Elon Musk mit seinem neuesten Projekt nicht weniger, als "die Realität entschlüsseln". Meta spuckt mit LLaMa in Richtung Bard und Bing. Adobe wird das KI-System Firefly bekanntermaßen über den Großteil seiner Produktpalette ausrollen. Off the record vernimmt man aus Kreisen der KI-Musik, dass Text-to-Music-Tools wohl eher früher als später in die Software der großen Anbieter integriert werden. Und dann wäre da noch Nvidia, die als Grafikkarten-Hersteller vom aktuellen Boom massiv profitiert und mit der sich der Kreis zum Anfang dieses Newsletters schließt: Denn auch Nvidia demonstrierte Ende Mai, wie sich Charaktere in Computerspielen dank KI auf natürliche Weise mit den Gamern unterhalten

KI wird aber bald überall sein, vom Computerspiel bis zum Kriegsgerät. Zu Menschen werden die Maschinen dadurch aber noch lange nicht.

In dem Sinne: Bleiben Sie menschlich, und bleiben Sie uns gewogen,

herzlichst,

Stefan Mey / Ressortleiter Web