Nicht weniger als ein österreichisches Fernsehwunder von europäischer Geltung verantwortet Gerald Szyszkowitz. Der Autor, Dramaturg und gut zwei Jahrzehnte als Fernsehspielchef Verantwortliche für die Fiction-Produktion des ORF hat legendäre Programme wie "Kottan ermittelt" sowie "Ein echter Wiener geht nicht unter", die "Alpensaga", "Arbeitersaga" und "Piefke-Saga" gegen politische Interventionen durchgesetzt.

"Wenn etwas nicht aufregt, dann ist es schon langweilig"

"Wenn etwas nicht aufregt, dann ist es schon langweilig", sagt Szyszkowitz im Gespräch mit dem STANDARD fast beiläufig, und den Satz kann man schon als eine Art Lebensmotto verstehen. Das Motto lebt der Mann voller Schaffenskraft auch kurz vor seinem 85. Geburtstag am kommenden Samstag. Und der Satz erklärt vielleicht auch das ORF-Fernsehwunder in den 1970er- und 1980er-Jahren.

Gerald Szyszkowitz
"Wenn etwas nicht aufregt, dann ist es schon langweilig", sagt Szyszkowitz im Gespräch mit dem STANDARD.
Regine Hendrich

Bacher hatte Hugo Portisch in den ORF geholt und ließ ihn Österreichs Geschichte dokumentarisch aufarbeiten. "Dieses Klima, dass die Betrachtung unserer Geschichte für unser Publikum wichtig ist, half mir, meine eigene Überzeugung in unseren großen politisch-historischen Serien unter die Leute zu bringen: Es gab in Österreich in unserer Geschichte eine ganze Menge Opfer, aber es gab verdammt noch einmal auch viele Täter. Und die zeigten wir in der 'Alpensaga', in der 'Arbeitersaga', in der 'Emigrantentrilogie', im 'Dorf an der Grenze', in der 'Verkauften Heimat', im 'Jungen Mann aus dem Innviertel' und, und, und."

Schreiender ÖVP-Generalsekretär

Die "Alpensaga" von Peter Turrini und Wilhelm Pevny etwa zeichnete ein authentisches Bild der österreichischen Landbevölkerung von 1900 bis 1945, durch Austrofaschismus und Nationalsozialismus, anhand eines oberösterreichischen Dorfs. Ihretwegen stand der damalige ÖVP-Generalsekretär Sixtus Lanner in den 1970ern plötzlich in Szyszkowitz' Büro und verlangte schreiend das sofortige Ende der Saga.

ÖVP-General Lanner war damit letztlich ähnlich erfolgreich wie der frühere ORF-Fernsehdirektor und danach als Wiener Bürgermeister agierende Helmut Zilk, erinnert sich Szyszkowitz. Wegen Turrinis "Arbeitersaga"-Folge "Müllomania", stark inspiriert vom Wiener Skandal um die gescheiterte Müllaufbereitung im sogenannten Rinterzelt, wurde der Fernsehspielchef 1988 hinausgeschmissen, dann doch zum ORF-Musikchef gemacht und nach der Rückkehr des legendären Generals Gerd Bacher wieder Fernsehspielchef. Der gleich den vierten, "sehr hantigen" Teil der "Piefke-Saga" von Felix Mitterer über Tirol und Tourismus in Angriff nahm und den Südtiroler "Bumser-Nazi-Mehrteiler" "Verkaufte Heimat".

Gewaltiges Aufsehen erregte der Fernsehspielchef mit dem Ankauf des amerikanischen "Holocaust"-Vierteilers. Die deutsche ARD wollte ihn nicht zeigen, erinnert sich Szyszkowitz, "weil der Bayerische Rundfunk sich sperrte". Szyszkowitz setzte sich "mit meiner persönlichen Kaufbereitschaft im entscheidenden Moment durch", und man zeigte den Vierteiler doch parallel in Österreich und Deutschland.

Geld und Toleranz

Deutsche Anstalten wiederum halfen Szyszkowitz entscheidend, sehr österreichische Produktionen durchzuhalten, etwa "so umstrittene, aber bewußt die Toleranz fördernde Serien" wie "Piefke-Saga" mit dem NDR und "Kottan ermittelt" mit dem ZDF und förderte so die Toleranz der kaufmännischen ORF-Direktoren: "Immer, wenn Geld ins Land kam, nahm die interne Kritik im Haus an unseren Produktionen sofort ab." Das half schließlich auch beim Klischees zerstörenden, todtraurigen Schubert-Dreiteiler "Mit meinen heißen Tränen".

Internationale Preise helfen naturgemäß auch gegen interne Kritik: Syzszkowitz gewann dreimal in Serie den Prix Italia, mit Fritz Lehners "Schönen Tagen" und "Mit meinen heißen Tränen" sowie mit Axel Cortis "Eine blassblaue Frauenschrift". "Wir waren Mode in Europa", erinnert sich der Fernsehspielchef.

"Alle unsere dokumentarischen Serien waren Antworten auf die Grundfrage: Was ist denn dieses Österreich? Welche Menschen leben hier? Und was denken sich die eigentlich? Sind die Südtiroler wirklich so anders als die Südsteirer und die Südkärntner? Und warum lehnten im musikseligen Salzburg am Ende des 20. Jahrhunderts immer noch zehnmal mehr Leute die 'Holocaust'-Serie ab als im musikseligen Wien?"

Szyskowitz Schaffen im ORF endete in den 1990ern mit Gerhard Zeiler als ORF-General und dessen Orientierung des österreichischen Fernsehriesen an US-Kaufserien und deutschen Fernsehformaten.

Gerald Szyszkowitz, Bruno Dallansky, Max von Sydow und Axel Corti beim Dreh zu
Gerald Szyszkowitz hat 2022 seine "Erinnerungen eines Fernsehspielchefs" unter dem Titel "Wie man wird, was man sein möchte" als Buch (MyMorawa) herausgebracht. Das Coverfoto zeigt Gerald Szyszkowitz, Bruno Dallansky, Max von Sydow und Axel Corti (von links) bei einer Besprechung 1993 bei den Dreharbeiten zu "Radetzkymarsch".
Gerald Szyszkowitz

"Möglichst begabte und mutige Leute" für den ORF

Die Geschichte des Gerald Szyskowitz und, aus Mediensicht, seines Schaffens im ORF ist eine unglaubliche und eine unglaubliche Schaffensgeschichte. Davor und danach und nebenher schrieb er mehr als zwanzig Romane und über 50 Theaterstücke, war Direktor der Freien Bühne Wieden und Schauspieldirektor der Sommerspiele Schloss Hunyadi in Maria Enzersdorf. Und er hat 2022 seine überreichen "Erinnerungen eines Fernsehspielchefs" in einer Autobiografie zusammengestellt unter dem Titel "Wie man wird, was man sein möchte".

Hat er einen Rat für den ORF, dessen Finanzierung ja nun ein ORF-Beitrag von allen ab 2024 absichert, und seine Fiction-Produktion? "Wenn sie mich fragen, wie es weitergehen soll, kann ich nur sagen: mit möglichst begabten und mutigen Leuten." (Harald Fidler, 22.7.2023)