Mont Blanc Peter Habeler
Den Mont Blanc kümmert die aktuelle Aufregung überhaupt nicht.
APA/AFP/OLIVIER CHASSIGNOLE

"Ja, mein Gott, was soll ich sagen? Er wird halt müde gewesen sein", sagt Peter Habeler lachend auf die Frage, was er von der umstrittenen Aktion Marcello Ugazios hält. Der Italiener war am vergangenen Samstag in Genua gestartet, fuhr 300 Kilometer mit dem Rad, ehe er mit Unterstützung eines Bergführers die Besteigung des Mont Blancs in Angriff nahm und nach insgesamt 14 Stunden und 42 Minuten den Gipfel des 4.810 Meter hohen Berges an der italienisch-französischen Grenze erreichte. Der 27-jährige Extremsportler unterbot den bestehenden Rekord um zwei Stunden, ließ sich dann mit dem Hubschrauber ins Tal fliegen und zog sich damit Kritik zu.

Der 80-jährige Habeler, der 1978 mit Reinhold Messner den Mount Everest erstmals ohne Sauerstoff aus der Flasche bestiegen hatte, kam am Freitagabend gerade von einer Klettertour im Zillertal zurück nach Mayrhofen, als ihn der STANDARD erreichte: "Er hat das tapfer gemacht bis zum Gipfel. Dass der Abstieg dann zu gefährlich gewesen wäre und er deshalb fliegen musste, das ist ein Blödsinn." Er habe die Geschichte in einer "Gazette nur kurz überflogen", sagt Habeler. "Er hat gut angefangen und schlecht aufgehört. Das können Sie schreiben! Steinigen brauchen Sie den Burschen deswegen nicht."

Habeler hält sich mit Kritik zurück. "Mein Gott, ich bin jetzt 80 Jahre. Es gibt so viele Geschichten im alpinen Bereich, dass mich eigentlich gar nichts mehr wundert." Man solle dem Italiener jetzt keinen Strick drehen. "Es gibt natürlich Leute, die heulen auf, schimpfen und sagen, das ist ein Wahnsinn." Aber oft würden die, die schimpfen, überhaupt nicht wissen, wo oben und unten ist.”

Habeler Mont Blanc Everest Himalaya
Peter Habeler sagt, Ugazio habe mit dem Helikopterflug seine tolle Leistung "verwässert."
APA/AFP/JOE KLAMAR

Habeler sucht weiter nach einer passenden Einschätzung und packt zwischendurch immer mal wieder den Tiroler Dialekt aus. Ugazio sei "aufigesprungen. Er hat guate Wadl, ist guat beinand, hat a murz Kondi. Und dann haben’s ihn obagflogn. Vielleicht können wir’s pragmatisch lösen, indem Sie schreiben, es ist eine tolle Leistung bis zum Gipfel und dann hat er halt geschwächelt." Das Runterfliegen habe ihm die Leistung jedenfalls "zaumghaut. Sogma so."

Es sei jedenfalls schade drum. "Weil er ja gleich herunten ist, wenn er gut beinand ist. Der springt in dreieinhalb Stunden zum nächsten Stützpunkt, wo er dann mit der Gondel runterfahren kann." Dann hätte keiner was gesagt. "Gaunz ins Tol braucht er jo ned obaspringen." Mit dem Helikopterflug habe er aber seine tolle Leistung und das tolle Erlebnis "verwässert."

Ugazio, missione compiuta!
Grande successo per Marcello Ugazio che si è cimentato nella faticosa impresa FKT (Fastest Known Time) Genova Monte Bianco – bike and sky che da Genova lo ha portato in vetta al Monte Bianco, da 0 a 4810 mt. una sfida pazzesca contro il cronometro: il giovane
vcoazzurra TV

"Ich rege mich jetzt nicht mehr so auf. Ich schreie nicht mehr herum. Am Everest und den anderen Achttausendern geht es auch wild zu. Mit Bergsteigen hat das oft nichts mehr zu tun", sagt der Tiroler, der einst neben dem Everest (8848) auch die Achttausender Cho Oyu (8188), Nanga Parbat (8125) und  Kangchendzönga (8598) bestiegen hatte.

Besorgniserregender Trend im Himalaya

Im Himalaya sind die Hubschrauber mittlerweile mehr oder weniger im Dauereinsatz. Man lässt sich ins Basislager oder zum nächsten Achttausender fliegen und erspart sich so oft einige Tagesmärsche. Das missfällt auch Habeler. Wirklich "schlimm" aber sei, "wenn der Hubschrauber benützt wird, um vom Basislager höher hinaufzufliegen, etwa ins vorgeschobene Basislager auf 6.400 Meter. Das ist eine Sauerei."

Beeindruckt zeigt sich Habeler von Nirmal Purja (auch Nimsdai), der für seine Rekordjagden (etwa alle 14 Achttausender in 189 Tagen oder Mount Everest, Lhotse und Makalu in weniger als 48 Stunden) auch auf Hubschrauber setzt. "Das würde ich noch eher vertreten, weil diese Leistung von Nimsdai ist natürlich schon heavy. Der ist schon ein Kaliber. Ich bin mit ihm voriges Jahr am Glockner gewesen, der geht ja wirklich wie a Gleckl. Er ist gut. Er ist kein Sherpa, er ist ein Gurkha, ein Soldier aus dem Gurkhaland. Hut ab vor dieser Leistung."

"Das ist schon ein Kas"

Was Habeler absolut nicht gefällt, ist der enorme Ansturm auf die höchsten Berge. "Wenn 356 Leute am Everest am Fixseil gehen, dann kann natürlich schon etwas passieren. Im Fernsehen werde das manchmal “so niedlich dargestellt. Aber wehe, wehe, wenn am Südsattel oben 50 oder 60 Leute hocken und es kommt ein Schlechtwettereinbruch, was ja auch schon 1996 passiert ist, als mehrere Leute gestorben sind. Weil dann ist Schluss mit lustig. Die Organisatoren bringen das so daher, dass das jeder schaffen kann, wenn er nur 200.000 Euro hinblättert. Das ist schon ein Kas. Da kann ich mich schon ein bisserl ereifern. Das ist für mich viel schlimmer, als wenn sie den Italiener vom Mont Blanc runterfliegen."

Habeler würde ein Flugverbot abgesehen von Rettungseinsätzen und Hüttenbelieferungen über dem höchsten Massiv der Alpen begrüßen. Dass Jean-Marc Peillex, der Bürgermeister von Saint-Gervais am Fuß des Berges, mit der Aktion keine "Gaudi" hatte, und dass die Umweltorganisation Mountain Wilderness kritisierte, dass der Mont Blanc weder ein Sportstadion noch ein Flughafen sei, kann Habeler nachvollziehen. Man solle die Berge in Ruhe lassen. "Die Natur ist etwas, was man sich erobert, und dann soll man schauen, dass man wieder per pedes zum Ausgangspunkt zurückkommt."

"Riskiere nicht mehr Kopf und Kragen"

Habeler weist aber auch darauf hin, dass der Normalanstieg zum Gipfel des Mont Blancs wegen Steinschlaggefahr mitunter schon gesperrt wurde, weil zu viele Unglücke passiert sind. "Die Berge werden durch die Hitzeperioden und das damit verbundene Ausapern der Gletscher gefährlicher. Die Spaltengefahr wird größer, manche Stellen, wo man früher gut zum Einstieg gekommen ist, sind mittlerweile schwer passierbar. Das weiß mittlerweile jeder. Wir gehen trotzdem. Und auch ich gehe trotzdem klettern und mache meine Touren, ich bin aber viel vorsichtiger, riskiere nicht mehr Kopf und Kragen. Das wird vielleicht auch das Alter mit sich bringen. Mit 80 tut man das nicht." Er sei nach wie vor viel unterwegs. "Ich muss die guten Wettertage ausnützen. Mir tut nichts weh und das ist natürlich schon die halbe Maut. Ich bin immer noch begeistert von den Bergen und vom Bergsteigen. Und jetzt schauen wir, wie lange das noch anhält. Hoffentlich bis zur letzten Stunde." (Thomas Hirner, 15.7.2023)