Menschen halten Transparente mit
Eine Fotoaktion im April in Wien macht auf Armutsgefährdung in Österreich aufmerksam. Klimaschutz steht aber nicht im Widerspruch zum Decken der Grundbedürfnisse.
APA/ROLAND SCHLAGER

Nachdem der Klimawandel angesichts der aktuellen Temperaturrekorde zunehmend als ernstes Problem erkennbar ist – US-Präsident Joe Biden sprach kürzlich sogar von der "größten Bedrohung für die Menschheit überhaupt" –, wird seine Bekämpfung zur sozialen Frage. Wie viel Klimaschutz ist zumutbar, wie viel ist demokratisch durchsetzbar? Auch die in Österreich verbreitete Kritik am Klimaaktivismus der Letzten Generation dreht sich im Kern oft um dessen Zielgerichtetheit.

Vor allem die Belastung für einkommensschwache Gesellschaftsschichten ist ein Streitpunkt. Arme könnten sich Klimaschutz oft schlicht nicht leisten, so die Kritik. "Klimapolitik und Sozialpolitik müssen zusammengedacht werden", forderte deshalb zuletzt Diakonie-Österreich-Direktorin Maria Katharina Moser in einem Gastkommentar im STANDARD.

Wie sich der Beitrag verschiedener Einkommensgruppen gerecht verteilen ließe, damit beschäftigt sich nun eine neue Studie, die im Fachjournal "Nature Energy" erschien, anhand von Daten aus Europa. Das Fazit: Für ärmere Gesellschaftsschichten sind durchaus Zugeständnisse möglich.

Dekarbonisierung allein reicht nicht

Studienautorin Milena Büchs von der Universität Leeds, die das Projekt leitete, konzentrierte sich dabei besonders auf Einschränkungen des Energieverbrauchs. Daran führe kein Weg vorbei, betont die Forscherin. "Die Realität sieht so aus, dass die Dekarbonisierung auf der Angebotsseite, das heißt bei der Energieerzeugung und -verteilung, nicht ausreichen wird, um die erforderlichen Emissionssenkungen zu erreichen", sagt Büchs. "Die Energienachfrage muss also gesenkt werden. Das ist die unausweichliche Realität."

Um zu verstehen, wie sich der Energiebedarf senken ließe, untersuchte das Team Daten von über 275.000 Haushalten in 27 EU-Ländern, die aus der Haushaltsbudgeterhebung der EU aus dem Jahr 2015 und aus der Exiobase-Datenbank der Europäischen Umweltagentur stammten.

Die Analyse dieser Daten ergab, dass der Energieverbrauch der reichsten 20 Prozent der Menschen in der EU im Schnitt bei etwa 200 Gigajoule pro Jahr und Person liegt. Es zeigte sich, dass eine Reduktion dieses Verbrauchs auf etwa 170 Gigajoule die insgesamt in der EU durch den Energieverbrauch verursachten CO2-Emissionen um rund zehn Prozent reduzieren würde.

Der Wert von 170 Gigajoule ist nicht zufällig gewählt. Es ist der Energieverbrauch von Personen, die sich am unteren Ende der zwanzig Prozent befinden. Der Energieverbrauch von 170 Gigajoule würde sich also immer noch im Bereich jenes von anderen reichen Menschen bewegen.

Die Hände einer Frau, mit einigen 2-Euro-Münzen darin.
Eine obdachlose Frau bettelt um Geld. Das Decken von Grundbedürfnissen armer Personen hätte nur einen geringen Einfluss auf den Klimawandel.
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Darf den Armen geholfen werden?

Doch in der EU gibt es auch viele Menschen, die in Armut leben und mit Energie unterversorgt sind. Eine bessere Versorgung dieser Bevölkerungsgruppe würde sich in höheren Emissionen niederschlagen. Armutsbekämpfung scheint hier dem Klimaschutz entgegenzustehen.

Die neue Studie zeigt aber, dass das nur bedingt der Fall wäre. Ein Decken der grundlegenden Energiebedürfnisse, etwa für Heizen, würde die obengenannten Einsparungen nur um etwa 1,4 Prozent reduzieren.

Generell ließ sich feststellen, dass Menschen mit hohem Einkommen und höherer Bildung eher zu den starken Energieverbrauchern gehörten. Menschen, die in größeren Haushalten leben, Kinder haben, alt sind oder in Städten leben, verbrauchen eher weniger Energie. Daten aus Österreich fehlten übrigens in dem Datensatz. Doch die Zusammenhänge sind in allen betrachteten EU-Ländern sehr ähnlich.

Soziale Ausgewogenheit erhöht Akzeptanz

Nebenbei wurden auch Workshops mit Personen in Großbritannien durchgeführt, die von den Einsparungen betroffen wären. Dabei wurde diskutiert, wie die Maßnahmen politisch umsetzbar wären. Bei diesen Veranstaltungen zeigte sich, dass es Bedenken wegen der Einschränkung der Freiheit gab, die politisch schwer umsetzbar wären. Doch andere Beteiligte glaubten, dass ein höherer Beitrag von Reichen die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen erhöhen würde.

Das glaubt auch Büchs. "Die politischen Entscheidungsträger müssen die öffentliche Unterstützung für Mechanismen zur Reduzierung der Energienachfrage gewinnen", sagt die Wissenschafterin. "Unsere Forschung zeigt, dass die öffentliche Unterstützung für eine Reduzierung der Energienachfrage möglich ist, wenn die Öffentlichkeit die Systeme als fair und klimagerecht empfindet." Dazu müssten aber die Grundbedürfnisse der Bevölkerung gedeckt sein.

Effektiv wären Energiesparmaßnahmen in jedem Fall. Der Weltklimarat rechnet damit, dass Sparmaßnahmen beim Energieverbrauch bis 2050 zwischen 40 und 70 Prozent der benötigten CO2-Reduktion bewirken könnten. (Reinhard Kleindl, 17.7.2023)