In den Jerusalemer Hügeln östlich der Stadt Bet Schemesch verbirgt sich eine tiefe, natürliche Karsthöhle, die mindestens schon seit der Jungsteinzeit von Menschen genutzt wird. Die Te'omim-Höhle ist Schauplatz zahlreicher Legenden und tatsächlich stattgefunden habender historischer Dramen. So diente der Höhlenkomplex etwa während des jüdischen Bar-Kochba-Aufstands von 132 bis 136 n. Chr. gegen die römischen Besatzer als Versteck für jüdische Rebellen.

Höhle, Lampen, Schädel, Geisterbeschwörung in der Te'omim-Höhle
Irdene Öllampen und Totenschädel waren Teil des Instrumentariums, um in der Te'omim-Höhle mit Toten in Kontakt zu kommen.
Foto: Boaz Zissu

Ihr arabischer Name Maġārat Umm at-Tauʾamīn ("Höhle der Mutter von Zwillingen") gründet sich wiederum auf alte mündliche Überlieferungen, die dem Quellwasser der Höhle magische Heilkräfte und Fruchtbarkeit zuschreiben. Einer lokalen Sage zufolge habe eine unfruchtbare Frau einst Wasser aus der Höhle getrunken und sei daraufhin mit Zwillingen schwanger geworden.

Erstmals näher untersucht wurde die Te'omim-Höhle 1873. Seit den 1920er-Jahren haben mehrere archäologische Grabungskampagnen zahlreiche Funde aus neolithischer, kupferzeitlicher, bronze- und eisenzeitlicher sowie römischer und byzantinischer Zeit geborgen. Bei neueren Untersuchungen ab 2009, an denen mehrere israelische Universitäten und Institutionen beteiligt waren, wurden unter anderem über 120 intakte Öllampen aus dem 2. bis 4. Jahrhundert n. Chr., Waffen, Münzen, Tongefäße und sogar drei menschliche Schädel ans Tageslicht geholt.

Artefakte mit sinistrem Hintergrund

Vor allem diese Fundkombination hat die Aufmerksamkeit von zwei israelischen Archäologen erregt. Eitan Klein von der Israelischen Altertümerbehörde (IAA) und Boaz Zissu von der Bar-Ilan University in Ramat Gan bei Tel Aviv haben sich die Artefakte und ihre Beziehung untereinander daher noch einmal genauer angesehen und sind dabei nach eigenen Angaben auf den sinistren Zweck dieser Funde gestoßen: Wahrscheinlich spielten sie die Hauptrolle bei nekromantischen Ritualen, die im übertragenen Sinn das Tor ins Reich der Toten aufstoßen sollten, wie die Forscher nun im Fachjournal "Harvard Theological Review" berichten.

Höhle, Lampen, Schädel, Geisterbeschwörung in der Te'omim-Höhle
Schematische Darstellung der Te’omim-Höhle.
Grafik: Langford, M. Ullman/Te’omim Cave Archaeological Project

Alle Öllampen waren absichtlich in engen Spalten und Öffnungen in den Höhlenwänden rund um die Hauptkammer deponiert worden. Auch die Waffen und Schädel steckten in Hohlräumen im Fels. Andere menschliche Überreste oder Knochenreste fand man dagegen nicht. All das deutete darauf hin, dass die Objekte während der Spätzeit der römischen Okkupation bewusst so angeordnet worden waren.

Besonders ins Auge fiel den Archäologen einer der Schädel, der inmitten von vier keramischen Öllampen aus dem 3. oder 4. Jahrhundert platziert worden war. "Die Tatsache, dass diese Lampen in schwer zugänglichen Spalten hineingesteckt wurden, deutet darauf hin, dass die Beleuchtung der dunklen Höhle nicht ihr einziger Zweck war", meinten die Forscher. In Kombination mit den Schädeln seien sie daher "als Teil einer kultischen Aktivität" zu betrachten, schlussfolgerten sie.

Tore in die Unterwelt

Untermauert wird diese Annahme von früheren vergleichbaren Funden auf dem Gebiet des römischen Reiches und im Vorderen Orient und der Tatsache, dass in der Antike Höhlen als Tore ins Jenseits betrachtet wurden. "Die Te'omim-Höhle in den Hügeln Jerusalems weist alle kultischen und physischen Elemente auf, die sie als mögliches Portal in die Unterwelt auszeichnen", meinten Klein und Zissu.

Höhle, Lampen, Schädel, Geisterbeschwörung in der Te'omim-Höhle
Die Forscher fanden in den Spalten rund um die Hauptkammer zahllose Tonlampen. Wahrscheinlich wurden sie in der Antike ganz bewusst dort platziert.
Foto: Boaz Zissu

Aber welche Rituale wurden dort vor fast 2.000 Jahren abgehalten? Auch darauf haben die Wissenschafter eine mögliche Antwort, die sich auf frühere Forschungsergebnisse stützt: Die Verwendung von Öllampen zur Zukunftsschau war demnach bekanntermaßen in der Antike weit verbreitet. Man glaubte, dass die prophetischen Kräfte, die hinter dem Flackern der Lampenflamme steckten, Geister, in einigen Fällen sogar Götter oder Dämonen waren. Die Botschaften aus dem Jenseits wurden also durch die Flammen der Lampen übermittelt, und die Weissagung erfolgte durch Beobachtung und Deutung der von der Flamme erzeugten Formen. In Zusammenhang mit den Schädeln waren die Menschen in der Te'omim-Höhle daher wohl an Zwiegesprächen mit Verstorbenen interessiert.

Antike Totenorakel

Wie Klein und Zissu ausführten, war die Nekromantie in der Levante und im Alten Orient weithin akzeptiert, auch in der Bibel wird sie häufig und kritisch erwähnt. Trotz der Seltenheit solcher Funde in der jüdischen Gesellschaft war die Verwendung menschlicher Schädel zum Schutz vor Geistern und Dämonen in Babylonien, in Ägypten sowie in der gesamten griechisch-römischen Welt üblich. Sowohl der babylonische Talmud als auch der Jerusalemer Talmud erwähnen überdies, dass Geisterbeschwörer Schädel benutzen, um Tote zu erwecken.

Nekromanten glaubten damals, dass die Geister der Toten nicht an die üblichen Gesetze von Raum und Zeit gebunden seien und ihnen daher wertvolle Informationen über zukünftige Ereignisse zugänglich machen könnten. Diese Vorstellungen spiegeln sich auch in älteren Funden aus dem ersten Jahrtausend v. Chr. wider. Damals existierten an vielen Orten im Nahen Osten sogenannte Totenorakel.

Video: Römerzeitliche Höhle als Schauplatz antiker Totenrituale.
Quantend

Nekromanten und Kaiser

Auch in der griechischen Kultur findet sich das "Nekromanteion" wieder: In Homers Odyssee, die um 700 v. Chr. entstanden ist, aber Ereignisse beschreibt, die 500 Jahre früher stattgefunden haben sollen, schildert der Dichter Odysseus' Besuch eines dieser heiligen Tempel, durch den der antike Held in die Unterwelt gelangte, um sich vom toten Seher Tiresias die Zukunft weissagen zu lassen. Dies mag die früheste Erwähnung eines solchen Totenorakels in der griechischen Literatur sein, die letzte war es bei weitem nicht.

Die Römer übernahmen schließlich diese nekromantischen Praktiken der Griechen. Zwar verboten Gesetze die Ausübung solcher Formen der Hexerei im Römischen Reich, was letztlich die Geisterbeschwörer aber nicht von ihrem Tun abhalten konnte. Selbst römische Kaiser, darunter auch Nero, sollen an nekromantischen Ritualen teilgenommen haben oder hatten sich zumindest von Nekromantie-Experten beraten lassen.

Auf Grundlage dieser und ähnlicher antiker Traditionen seien die Funde in der Te'omim-Höhle nach Ansicht der Studienautoren auch zu interpretieren: "Dies sind zwar seltene Funde, aber wir können vorsichtig vermuten, dass sie in der Höhle für Zeremonien zur Erweckung von Toten verwendet wurden, möglicherweise durch ein lokales Orakel", sagte Klein. (Thomas Bergmayr, 18.7.2023)