Juli 2018, Nato-Gipfel in Brüssel: Donald Trump ist unzufrieden mit der Nato. Er sieht, wie er sagt, keinen Sinn darin, länger in der Nordatlantik-Allianz zu verbleiben. Die USA kündigen den Rückzug an, die Nato in ihrer alten Form ist Geschichte. Schon zuvor hat der US-Präsident die Allianz mit Südkorea zerstört, als er Washingtons Rückzug aus dem Handelsdeal mit Seoul verkündete. Dezember 2020: Trumps Justizministerium untersucht Fälle angeblicher Wahlfälschung und vermeintlich gestohlener Stimmen bei der Präsidentenwahl. Belege finden sich zwar nicht, doch starten Beamte langwierige Untersuchungen der Ergebnisse in zahlreichen Bundesstaaten. Auch der Justizminister stellt fest, Wahlfälschung könne man nicht ausschließen. Als Trump-Anhänger am 6. Jänner 2021 das Kapitol stürmen, greift die Nationalgarde nicht ein. Das Verteidigungsministerium hat den Einsatz nicht genehmigt. 

Donald Trump vor einem Schriftzug
Bei einem neuen Wahlsieg soll niemand Donald Trump Einhalt gebieten. Schon jetzt arbeiten Hundertschaften an Fachleuten in Thinktanks am Ausbau der Machtfülle des womöglich zurückkehrenden Präsidenten.
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Keiner dieser Fälle ist tatsächlich eingetreten: Als Trump laut Berichten beim Gipfel 2018 überlegte, die Nato zu verlassen, überzeugten ihn Mitarbeiter seines Verteidigungsstabs vom Gegenteil. Als er das Handelsabkommen mit Südkorea einstellen wollte, widersprachen ihm seine Wirtschaftsexperten – und nahmen das entsprechende Papier sogar von seinem Schreibtisch. Die Rechtmäßigkeit der Wahl bestritt Trump, nicht aber der Beamtenstab im Justizministerium oder Minister Bill Barr. Und als das Kapitol gestürmt wurde, gestattete das Verteidigungsministerium – nach einiger Wartezeit – doch noch den Einsatz. Die "Erwachsenen im Raum" hatten gesiegt. So nannten sich Beamte und Regierungsmitglieder, die intern gegen die ärgsten Auswüchse des Trumpismus agierten. Andere Vorschläge des Präsidenten, vom Mauerbau zu Mexiko über den Kauf Grönlands bis zum "Muslim Ban", scheiterten in ihrer extremen Ausführung an der mangelnden logistischen Vorbereitung. 

Abbau des Verwaltungsstaats

Das alles soll sich, geht es nach Trump und seinen Anhängern, keinesfalls noch einmal wiederholen, wenn der Ex-Präsident bei der Wahl 2024 erneut gewählt werden sollte. Für diesen Fall, dessen Wahrscheinlichkeit nach aktuellen Umfragen in etwa jener eines korrekt erratenen Münzwurfs entspricht (siehe unten), arbeiten bereits jetzt Tausendschaften seiner treuen Anhänger an einem Plan. Vorschläge sollen diesmal ausgearbeitet sein, die Macht des Präsidenten gegenüber Mitarbeitern und dem Beamtenapparat soll radikal ausgebaut werden, wie mehrere Medien zuletzt berichteten. Der "Economist" und die "New York Times" haben mit den Planern gesprochen, "Axios" schon im Mai berichtet – und ihre Recherchen lassen wenig Zweifel daran, dass der autoritäre "Abbau des Verwaltungsstaates", wie Trumps zeitweiliger rechtsradikaler Berater Steve Bannon das Vorhaben schon 2016 nannte, diesmal die erste Priorität ist.

Fans des Ex-Präsidenten hoffen auf seine baldige Rückkehr. Und auf die Umsetzung seiner Versprechen.
AFP/GIORGIO VIERA

Nichts davon geschieht im Verborgenen. Allein rund 200 Fachleute arbeiten laut dem "Economist" beim America First Policy Institute (AFPI) in Fort Worth, Texas (nahe Dallas) für dieses Ziel und an der Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten für Regierungsämter. Loyalität geht dabei über alles. Für die AFPI-Mitglieder gilt: Wer Trump einmal kritisiert hat, etwa auf Social Media oder beim Sturm auf das Kapitol, der scheidet aus. Gleiches gilt für die etwa 350 Angestellten der Heritage Foundation, eines einst konservativen Thinktanks, der sich zu einem Zentrum des intellektuell unterlegten Trumpismus gewandelt hat. Und auch im Mitarbeiterstab des Ex-Präsidenten selbst wird eifrig geplant. Ein zentrales Vorhaben soll dabei die neu geschaffene Möglichkeit sein, den Kündigungsschutz für Regierungsbeamte zu lockern. 

Sie werden in ihrer Mehrzahl dem "deep state" zugeordnet, den Trump laut einer Aussage bei einer jüngsten Wahlveranstaltung "ausmerzen" will: "Wir werden Kriegstreiber und Globalisten entfernen, wir werden die Kommunisten, Marxisten und Faschisten vertreiben. Wir werden die kranke politische Klasse hinauswerfen, die unser Land hasst", zitierte ihn dazu jüngst die "New York Times". Konkret heißt das: Eine Verordnung namens "Schedule F", die Trump zu Ende seiner Amtszeit schon einmal unterzeichnete, und die Präsident Biden zurücknehmen ließ, soll wieder aktiviert werden. Sie erlaubt es dem Präsidenten, Beamte nach Gutdünken zu entlassen. Außerdem soll Präsident Trump in seiner zweiten Amtszeit bisher unabhängige Ämter unter seine Kontrolle bringen. Darunter die Federal Communications Commission, die Regeln für Medien überwacht, oder, so "Axios", jene Abteilungen die für die Verwaltung des Universitäts-Wesens zuständig sind. Unsicher ist laut den "New York Times", wie es um die Unabhängigkeit der Zentralbank bestellt sein soll. Die Versuchung, zum Beispiel vor den Wahlen Zinsen zu senken, wäre für Trump wohl groß – die Verunsicherung an den Finanzmärkten sicher auch.

Fan von Ex-Präsident Trump mit einem
Noble Zurückhaltung ist nicht die Sache der meisten Trump-Anhänger.
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Aber abseits des Machterhalts und der Behinderung laufender Ermittlungen gegen ihn – welche politischen Ziele, die Trump in einer möglichen zweiten Amtszeit verfolgt, hätten Folgen für Europa? 

Bleibt schließlich noch eine weniger klar zu beantwortende Frage: Hätte eine Wiederwahl Trumps positive oder negative Folgen auf seine Verbündeten in Europa? Der "Economist" spekuliert in seiner Analyse, dass Parteien wie die deutsche AfD, der französische Rassemblement National und wohl auch die FPÖ von einem Präsidenten Trump Rückenwind erwarten dürften. Auf Basis der Erfahrungen während Trumps erster Amtszeit wäre allerdings auch eine Gegenbewegung denkbar: Wer in den USA sieht, wohin der ungebremste Trumpismus führt, möchte ihn am Ende in Europa vielleicht doch nicht. (Manuel Escher, 19.7.2023)