Veyla Renee, @bougebby
Eventbesuche gehören zum Influencer-Dasein dazu. Veyla (rechts im Bild) nutzt solche Gelegenheiten, um auch andere Streamerinnen zu treffen – wie in diesem Fall die Deutsche Bougé.
RedBull

Mitte Juni schreibt die österreichische Streamerin Reneè Veyla auf Twitter, dass sie an "Überforderung, Anxiety und Panikattacken" leide. Die Nachricht kommt überraschend, lächelte die 24-Jährige doch davor regelmäßig von Insta-Postings und wirkte in ihren Streams immer gutgelaunt. Die gebürtige Tirolerin ist nicht die Einzige, die in den letzten Monaten und Jahren solche Abnützungserscheinungen erlebt und öffentlich gemacht hat. Der derzeit vielgehegte Traum zahlreicher Jugendlicher, als Content-Creator durchzustarten, erweist sich immer öfter als mentales Minenfeld für eine ganze Generation. Ein Minenfeld, über das dankenswerterweise immer mehr Betroffene offen sprechen, um über die Gefahren und erste Warnsignale aufzuklären.

Existenzängste

Im Gespräch mit dem STANDARD geht die Streamerin und Influencerin Veyla auf die Ursprünge ihrer Überforderung ein. Vor vier Jahren entscheidet sie sich, professionelle Content-Creatorin zu werden, also regelmäßig neue Inhalte auf zum Beispiel Youtube oder Twitch zu stellen. Durch eine Aneinanderreihung von ungeplanten Entwicklungen findet sie sich auf einmal als Streamerin des Shooters "Warzone" wieder, obwohl das so nie geplant war. Eigentlich wollte sie Lifestylevideos machen, abwechselnde Formate ausprobieren. "Ich bin dann in 'Warzone' irgendwie reingerutscht, weil es gut geklickt hat und die Leute schnell mehr davon verlangt haben." Eigentlich waren ihr die Videos viel zu unpersönlich, weil es immer wieder um technische Details ging, etwa darum, die einzelnen Klassen im Spiel zu erklären. Die steigende Reichweite und der Zuspruch halten sie dennoch am Mikrofon.

Von einem Tag auf den anderen verliert das Spiel allerdings an Zuschauerinteresse, und die Zugriffe brechen ein. Aufgrund des schnellen Gameplays konnte man laut Veyla auch nie gut mit der Community interagieren, weshalb der jungen Frau das Streamen ohnehin schon länger keinen Spaß mehr machte. Im Umfeld wird ihr gesagt, es sei eben ein Job wie viele andere, und der würde halt nicht immer Spaß machen. Ein Jahr zieht sie ihr Programm trotz eines schlechten Bauchgefühls durch. "Ich wollte an manchen Tagen gar nicht mehr aufstehen", gibt die Streamerin zu. Auch privat kommen Turbulenzen in das Leben der jungen Frau, bis regelmäßig Panikattacken ihr Leben begleiten.

Es ist Dezember 2022, und Veyla weiß, ihre gefassten Pläne, wie sie ihre Onlineinhalte verändern möchte, werden scheitern. "Sobald ich vor dem PC gesessen bin, wusste ich, ich kann das alles nicht umsetzen, weil ich mich so ausgelaugt gefühlt habe." Bis Mai 2023 strauchelt die junge Frau, stellt wenig online. Die heile Welt, wie sie immer wieder auf Social Media abgebildet wird, dient auch dazu, ihr berufliches Leben nicht ganz zu verlieren. Mittlerweile hat sie Partnerdeals und muss damit verbundene Leistungen erbringen. Existenzängste plagen die 24-jährige Vollzeitstreamerin, und trotzdem entscheidet sie sich für einen Neustart und eine selbstverordnete Pause.

Sie geht zum erst zweiten Mal seit vier Jahren auf Urlaub, versucht, das schlechte Gewissen, nicht online zu sein, abzudrehen. "Ich musste konstant daran denken, dass es nicht scheiße ist, wenn ich jetzt nicht online bin." Veyla zieht zurück in die Nähe ihrer Eltern, versucht, mehr in die Natur zu gehen, und hat kürzlich sogar begonnen zu häkeln. "Mit so Omi-Sachen halt", wie sie es lächelnd nennt.

Nach ihrem Statement auf Twitter bekommt sie viel Rückhalt. Ihre zwei Postings zu dem Thema bekommen vor allem liebenswerte Kommentare, aufmunternde Worte, und auch die Partner der jungen Frau zeigen sich laut ihr sehr verständnisvoll. Aktuell stellt sie einen neuen Plan zusammen, wie sie Twitch und Youtube künftig bespielen möchte. Mit Inhalten, die sie "leidenschaftlich gern" machen möchte. Einen Psychotherapeuten will sie künftig, auch wenn es ihr jetzt schon wesentlich besser geht, weiterhin konsultieren. Das tue einfach gut, meint sie.

Keiner fragt nach

Auf dem Level Up in Salzburg trifft DER STANDARD Anfang Juli Rebecca Raschun, ebenfalls Content-Creatorin aus Österreich. Sie wirkt müde. Seit zehn Jahren ist die junge Frau im Influencer-Business und startet parallel dazu eine Ausbildung zur Moderatorin. Erste Buchungen in diesem Business folgen, aber noch steht sie in den Medien meist auf der anderen Seite des Mikros. Sie wird interviewt, zu ihrer Rolle als Frau in der Games-Szene oder generell zu ihren Aktivitäten als Content-Creatorin. DER STANDARD will von ihr wissen, welche Frage sie noch nie gestellt bekommen hat. Raschun überlegt nicht lange. "Mich hat noch nie jemand gefragt, ob mir das alles noch Spaß macht."

Rebecca Raschun
Als "JustBecci" streamt Rebecca Raschun seit 2012. Während der Pandemie überlegte sie, das Streamen sein zu lassen.
Rebecca Raschun

"Macht es denn noch Spaß?", fragen wir sie zwei Wochen später. "Es macht wieder Spaß", antwortet die 30-Jährige, und sie kann dabei wieder lächeln. Während der Pandemie war das anders. "Ich konnte nicht mehr", gibt Raschun zu. Sie habe zu viel nach "links und rechts" geschaut, sich zu viel verglichen. Junge Streamer überholen sie damals bei den Zugriffen, obwohl sie von ihren Inhalten überzeugt ist und immer wieder versucht, mit innovativen Konzepten neue Leute anzusprechen. Raschun ist frustriert. Dann sei ihr der "Faden gerissen". Als sie ohnehin kaum noch Lust hat zu streamen, wird sie auch in den Kommentaren beleidigt. Raschun dreht den Stream ab und wirft sich heulend in einen Polster.

Das Gefühl, "nicht gut genug zu sein", stellt alles infrage, wofür die junge Frau seit 2012 gearbeitet hat. "Man macht ähnlichen Content wie weit erfolgreichere Streamerinnen, und wenn sich der Erfolg dann nicht einstellt, sucht man den Fehler natürlich bei sich." Geprägt von Selbstzweifeln überlegt sie, alles hinzuschmeißen. Einzig hilfreiche Gespräche mit ihr nahestehenden Personen, alle voran ihrem Freund, der als Vollzeitstreamer sein Geld verdient, helfen ihr in diesem Moment. "Jetzt ist Schluss, mach eine Pause", wird ihr mehrfach gesagt.

Raschun nimmt sich tatsächlich ein halbes Jahr Streamingpause, weil sie der nötige, enge Terminplan der Plattform stresst. Instagram und Youtube bleibt sie treu, aber was ihr wichtig ist: Sie bestimmt das Tempo. Langsam sammelt sie wieder Kraft, will im September ein neues Streamingprojekt starten. Ihrem jüngeren Ich würde sie mehr Ruhe empfehlen. Neid sei in der Branche fehl am Platz. Man könne sich nicht vergleichen, weil jeder anders sei, jeder anders mit Druck umgehe und halt auch ein wenig Glück dazugehöre, um es ganz nach oben zu schaffen.

Als One-Woman-Show habe man es aktuell schwer, weil man mittlerweile gegen Teams antrete, die sehr professionellen Content produzieren. "Bei meinem ersten Stream habe ich mich einfach hingesetzt, die Kamera angemacht und gespielt", erzählt die Influencerin. Heute müsse man, um oben mit dabei zu sein, am besten ein Programm zusammenstellen, sehr gutes Entertainment liefern und natürlich alle Social-Media-Kanäle bespielen, um neue Leute zu erreichen. Auf Twitch organisch zu wachsen sei mittlerweile "unmöglich".

Bekanntes Problem

Die zwei Frauen sind bei weitem nicht die Einzigen in ihrem Berufsfeld, die mit solchen Problemen zu kämpfen haben. Im Vorjahr sorgt der bekannte deutsche Streamer Fabian Siegismund für Aufsehen, als er darüber spricht, dass man sich in diesem Beruf eigentlich keinen Urlaub zu machen traut. Er hinterfragt das Konzept der Streamingplattform Twitch, denn wie man hier Geld verdiene, sei der "eigentliche Stressfaktor". Die Plattform zeigt nämlich in Echtzeit an, welche Einnahmen durch die Abwesenheit verlorengehen. Das produziere die "fear of missing out", die Angst, etwas zu verpassen. In diesem Fall wird die Angst produziert, Geld zu verlieren, das man ansonsten verdient hätte. Speziell für kleinere Streamer sei das ein Problem, was unweigerlich die "mentale Gesundheit belasten" würde. So gehen Streamerinnen und Streamer nicht auf Urlaub – aus Angst, Abonnenten und Geld zu verlieren.

"Man muss sich Pausen gönnen", sagt Raschun. Das sei eines der großen Learnings gewesen. Bei dem Dauerstress könne man nicht kreativ sein, und damit würden die Inhalte und die eigene Gesundheit leiden. Die Zeit auf Twitch möchte sie aber auch nicht missen. "Ich habe viel ausprobiert, und vieles davon hat mir richtig Spaß gemacht." Außerdem hätte sie ganz verschiedene Dinge dabei gelernt. Wie man die Angst vor einem Mikrofon verliert, Videos schneidet und einiges mehr. Am Ende relativiert sie den unbedingten Wunsch, Content-Creator oder -Creatorin werden zu wollen. Nicht jeder müsse, nur weil im Streaming Spaß mache, auch dabei bleiben und versuchen, an die Spitze zu kommen. Man können es ja auch als Hobby weitermachen. Ganz ohne Stress. Das sei auch besser für die Gesundheit. (Alexander Amon, 22.7.2023)