Das Gedränge hat den Richter Andreas Pablik überrascht. "Es sind unten noch etliche", sagte ein Polizist, der etwas durch den Wind war. Der Saal 707 am Wiener Handelsgericht war bereits mit 60 Personen gefüllt, darunter auch Vertreter von NGOs, Omas gegen rechts und Amnesty International. "Wir müssen jetzt die Schotten dichtmachen", sprach Pablik ein Machtwort.

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DER STANDARD

Guantánamo-Vergleich von Meinungsfreiheit gedeckt

Grund für den Andrang ist Petar Rosandić – alias Kid Pex –, Flüchtlingshelfer und Gründer von SOS Balkanroute. Dieser bezeichnete die vom Internationalen Zentrum für Migrationspolitik (ICMPD) gebauten und mit Stacheldraht umzäunten Containereinheiten im Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien-Herzegowina im April 2023 mit den Worten "Das wird Österreichs Guantánamo" – eine Anspielung auf das menschenrechtswidrige US-Gefangenenlager auf Kuba.

Und diese Wortwahl brachte ihn am Dienstag auf die Angeklagtenbank, weil ihn das ICMPD wegen Rufschädigung klagte. Gefordert wurden Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung. Doch diese Klage wurde am Dienstagabend nach vier Stunden Verhandlung abgewiesen – ein derartiger Vergleich sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, verkündete Pablik. 

Anwältin ortete Slapp-Klage

Das ICMPD mit Sitz in Wien sah sich zuvor zu Unrecht in die Nähe von Foltermethoden gerückt. Auch hätten die Tweets und Aussendungen von Rosandić darauf hingedeutet, dass sie im Zusammenhang mit den rechtswidrigen Pushbacks aus Kroatien stünden. Diese finden dort seit Jahren statt. Der Streitwert belief sich auf 34.000 Euro plus 21.000 Euro Anwaltskosten.

Das Wiener Handelsgericht
Ins Handelsgericht waren zahlreiche Medienvertreter gekommen. Der Andrang war zu groß.
APA/EVA MANHART

Die Verteidigerin – die auch für den STANDARD tätige Medienanwältin Maria Windhager – sah darin eine Slapp-Klage, also einen Einschüchterungsversuch sowie einen "Tabubruch" in Sachen Meinungsfreiheit, wie sie eingangs festhielt.

"Müssen wir überhaupt klären, ob das ein Guantánamo hätte werden können?", fragte der Richter. Die Hafteinheit im Flüchtlingscamp Lipa ging letztlich nicht in Betrieb – wohl wegen des öffentlichen Drucks, den Rosandić im Frühjahr ausgelöst hatte. Für den Bau gab es weder eine rechtliche Grundlage noch eine Baugenehmigung. Doch die Frage dürfte rhetorischer Natur gewesen sein.

Der klagende "Baumeister"

Was geklärt werden musste: Ist der Vergleich von der Meinungsfreiheit gedeckt oder nicht? Hier vertraten die beiden Parteien naturgemäß verschiedene Ansichten – ähnlich wie bei der Frage, ob es sich um ein Gefängnis oder eine "Anhalte-Einrichtung" handelte. Rosandić sei es darum gegangen, aufzuzeigen, dass sich die Flüchtlinge in einem rechtsfreien Gebiet befinden, argumentierte Windhager. Einen solchen sah ICMPD-Anwältin Ulrike Zeller nicht, letztlich habe man Verträge mit der EU-Kommission und Bosnien-Herzegowina gehabt. Man sah sich selbst nur als "Baumeister".

Doch das reichte dem Richter Pablik nicht. "Ich sehe die Grenze nicht als überschritten an, ich gehe davon aus, dass das durchaus von der EMRK gedeckt ist", berief er sich auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die Freiheit auf Meinungsäußerung. Da einiges im Fluchtwesen schieflaufe, "bedarf es Leute, die hinschauen und möglicherweise überschießend reagieren".

Nicht nur im Saal, auch vor dem Gericht wurde darauf hin gejubelt. Die etwa 20 abgewiesenen Unterstützter hatten es sich dort gemütlich gemacht. Das ICMPD kündigte Berufung an. (Elisa Tomaselli, 18.7.2023)