London – Die Versprechungen waren groß, ihre Erfüllung ist bisher einiges schuldig geblieben. Großbritannien werde durch die Trennung von der EU neues Selbstbewusstsein und mehr Demokratie gewinnen, obendrein werde deutlich mehr Geld im Land verbleiben, das man etwa für das Gesundheitssystem NHS nutzen könne.

Tatsächlich ist die Stimmung auf der Insel aber so schlecht wie schon lange nicht mehr, der angebliche Zuwachs an Demokratie hat sich bisher kaum niedergeschlagen. Die Wirtschaft laboriert dafür weiterhin an den Schäden, die der Brexit verursacht hat – immer wieder bleiben Supermarktregale auch wegen der erschwerten Einfuhrbedingungen leer. Das NHS ist nicht gerettet, sondern marod, immer wieder kommt es zu Streiks. Zu spüren bekommt man sie freilich nur dann, wenn man es ins Krankenhaus schafft. Denn immerhin streiken auch die personell viel zu knapp besetzten Ambulanzdienste immer wieder.

Und auch der Brexit selbst ist angesichts solcher Zustände zunehmend unpopulär. Wie das Umfrageinstitut Yougov am Dienstag ermittelt hat, halten zwischenzeitlich schon 57 Prozent der Befragten den Ausstieg aus der EU für einen Fehler. Und noch mehr: 51 Prozent würden bei einer erneuten Abstimmung für einen Wiedereintritt in die Union votieren. Nur 31 Prozent geben an, sich dieser Möglichkeit gegebenenfalls mit einer "Nein"-Stimme widersetzen zu wollen. Beides sind die bisher höchsten je gemessenen Werte.

Nur nicht am Status quo rütteln

Dass der Politik dieser Wunsch Befehl sein wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Bei den regierenden Konservativen gilt es noch immer als politisches Todesurteil, sich positiv zur EU zu äußern. Seit dem Brexit haben jene die Partei übernommen, die schon immer gegen den Brüsseler Klub aufgetreten sind. Wer aus der Reihe tanzt, muss sich spätestens zur nächsten Unterhauswahl einer internen Vorwahl stellen – und weil in der Partei noch immer ein Radikalisierungsprozess stattfindet, wäre ein fiktiver EU-Freund sein Amt vermutlich schnell los.

Yes, no, maybe? In London ist man sich in Sachen EU wieder einmal nicht sicher.
imago/Christian Ohde

Aber auch Labour hat das Drängen auf eine Rückkehr in die Union mit dem vollzogenen Brexit aufgegeben. Parteichef Keir Starmer hat sich auf die Formel "Make Brexit Work" zurückgezogen. Ein Rütteln am Status quo ist in der Partei aktuell nicht erwünscht. Immerhin führt man alle Umfragen ohnehin überlegen an. Bis 2025 wollen die Sozialdemokraten daher tunlichst wenig an ihren Positionen ändern.

Wenig Lust auf die Briten in Brüssel

Doch auch wenn sich die Arbeitspartei eines Tages doch zu einer Positionsänderung durchringen würde, hätte die Insel die Rechnung ohne den zweiten Partner gemacht. Bei allen politisch-romantischen Äußerungen des einstigen Kommissionschefs Jean-Claude Juncker, wonach der Brexit ja kein Abschied für immer sein müsse – ob man sich in der Union die wenig integrationsfreudigen Briten noch einmal antun will, ist alles andere als sicher. Der Schritt würde zudem schwieriger, je mehr Zeit vergehe: Immerhin müsste das Vereinigte Königreich all jene Normen wieder erfüllen, gegen die man sich mit dem Brexit entscheiden hat. Es müsste formelle Beitrittsverhandlungen geben. Und dass London sich erneut Ausnahmen von der Euro- und Schengen-Teilnahme oder gar einen finanziellen Briten-Rabatt herausschlagen könnte, gilt als nicht realistisch.

Bleibt jene Variante, die sowohl der amtierende konservative Premier Rishi Sunak als auch Labour-Chef Keir Starmer zu bevorzugen scheinen: eine engere Anbindung an Brüssel, die weder innerparteilich noch in einem Referendum als Wiedereintritt verkauft werden muss, die aber zumindest einige der Brexit-Verluste wieder gutmacht. Auch das bleibt, nach den Verwundungen, die der Austritt auf beiden Seiten hinterlassen hat, schwierig genug. (mesc, 19.7.2023)