Michel Houellebecq
Er habe sich über sein Genital "nie beklagen können", stellt Michel Houellebecq in seinem neuen Buch fest.
AFP/JOEL SAGET

Normalerweise folgen auf Bücher von Michel Houellebecq Skandale – diesem geht einer voraus. Nämlich der Pornodreh, mit dem der französische Autor seit Jahresbeginn Schlagzeilen macht. Manche dachten, jetzt sei er durchgedreht, andere hielten es für eine PR-Aktion, als im Jänner der zugehörige Trailer im Internet auftauchte. Es passte einfach zu gut zu dem Autor, der weder in Büchern noch Interviews je ein Hehl daraus gemacht hatte, wie sehr er auf Sex und Prostituierte steht.

Ins Netz gestellt hatte den Trailer das niederländische Kunstkollektiv Kirac (Keeping It Real Art Critics) mit der Ankündigung eines Langfilms. Houellebecq klagte gegen die Veröffentlichung, der für Mitte März angekündigte Streifen ist noch immer unter Verschluss. Mitte Mai wurde ein Urteil gesprochen, laut dem Kirac dem Autor den Film vor Veröffentlichung vorlegen müsse, Houellebecq dürfe Änderungen verlangen. So weit der Zwischenstand.

Insofern ist es verständlich, dass Houellebecq (67) aufgebracht ist, auch wenn der Titel des zwischen Ende März und Mitte April rasch aus der Computertastatur gestampften und nun auf Deutsch erscheinenden "Berichts" mit Einige Monate in meinem Leben nüchtern ausfällt.

Kritik am Sex-Kapitalismus

Houellebecqs Aufgebrachtheit zeigt sich etwa darin, dass er dem Filmemacher wie auch seiner weiblichen Co-Hauptdarstellerin Tiernamen gibt: Stefan Ruitenbeek nennt er "Kakerlak", Jini van Rooijen "die Sau". Letzteres liegt einem mit Fortdauer der Lektüre immer schwerer im Magen. Das wäre schon in einem Roman so, direkt aus dem Mund des Autors ist es aber umso heftiger.

Man darf es sich mit der eigenen Meinung über Houellebecq nicht zu einfach machen. Doch teilweise ziehen einem die Beschreibungen hier die Schuhe aus: Seine Ehefrau lernt van Rooijen vor dem Dreh kennen – und "kam rasch zu dem Schluss, dass es sich um eine noch recht junge Sau handelte, die, ordentlich herausgeputzt (...), ausreichend Begierde in mir wecken könnte". Der Autor wird aber nicht nur unbefriedigt aus dem Treffen im November 2022 hervorgehen, sondern auch angewidert davon, dass der eigentlich für den Onlyfans-Account van Roojens gefilmte Akt auf der Plattform nur kostenpflichtig verfügbar sein sollte – dieses kapitalistische Modell profitiere "von der Einsamkeit" der Nutzer.

Houellebecq schwingt sich zum Verteidiger von Sex auf. Es geht ihm hier nicht um Kunst, sondern um seine Ehrenrettung. Er fühlt sich als Opfer und widerspricht den von Ruitenbeek geprägten Erzählungen. Man liest von Beruhigungspillen, die zusammen mit Wein bei Houellebecq zu einem Zustand geführt hätten, in dem er den Dreh-Vertrag nicht verstanden habe. Gelogen sei die Geschichte, seine Frau hätte für die Flitterwochen einen Monat lang Prostituierte engagiert. Man muss das zur Kenntnis nehmen, wiewohl mit Vorsicht; gar naiv will der Autor an den Dreh herangegangen sein.

"Dümmlichkeit" und "Anziehungskraft"

Am verlässlichsten sind in dem Buch insofern wohl die Einlassungen Houellebecqs zu Sex generell, sie sind jedoch oft nichts für Zartbesaitete. "Eine leichte Aura von Dümmlichkeit trägt zur Schönheit einer Frau bei; aber sie senkt ebenso sicher ihre erotische Anziehungskraft", steht da zu lesen. Junge Geliebte? Hätten ihm Youporn gezeigt! Kommerzielle Filme hätten ihn einst abgestoßen, an Amateurpornos fasziniert ihn seither, wie deren Akteure die Welt mit ihrer Liebe beschenken wollen. Ein Houellebecq’scher Privatporno dürfte bisher demnach bloß daran gescheitert sein, dass er nicht gleichzeitig eine Kamera und eine Erektion hätte halten können.

Es empfiehlt sich laut dem Hobby-Sexologen nicht nur deshalb die Zuziehung weiterer Personen. Sex zu dritt bewährt sich für Houellebecq neben dem "dreifachen Strom simultaner Sympathie" auch durch "grundlegende anatomische Erwägungen" betreffend die unmögliche simultane Stimulation mehrerer männlicher Körperteile mit nur einem Mund. Wer "eine vortreffliche Art, einen Sommernachmittag zu verbringen", kennenlernen will, "wenn es zu heiß ist, um an den Strand zu gehen", kann ja selbst auf Seite 68 nachlesen. In die Literaturgeschichte muss das nicht eingehen. (Michael Wurmitzer, 18.7.2023)