Reiner Wandler aus Madrid

Am Sonntag geht es ums Ganze. Ministerpräsident Pedro Sánchez will Spanien weitere vier Jahre mit der fortschrittlichen Koalition aus seiner sozialistischen PSOE und dem linksalternativen Bündnis Sumar aus 15 Parteien – darunter die postkommunistische Vereinigte Linke und Podemos – regieren. Sumar, die erstmals die gesamte Linke jenseits der PSOE eint, wird von der bisherigen Vizeregierungschefin und Arbeitsministerin Yolanda Díaz angeführt. Sie hofft, drittstärkste Kraft zu werden und damit der rechtsextremen Vox in vielen Provinzen Abgeordnete streitig zu machen.

Alberto Nuñez Feijóo, Chef des spanischen Partido Popular, spricht Anfang der Woche in Barcelona.
Alberto Nuñez Feijóo, Chef des spanischen Partido Popular, spricht Anfang der Woche in Barcelona.
AP/Emilio Morenatti

Auf der anderen Seite bereitet sich der Chef des rechtskonservativen Partido Popular (PP), Alberto Nuñez Feijóo, darauf vor, mithilfe ebenjener Rechtsextremen in den Regierungspalast einzuziehen. Die Umfragen sind ihm mehr gewogen als Sánchez, der nach einer schmerzhaften Niederlage bei den Kommunal- und Regionalwahlen am vergangenen 28. Mai die Parlamentswahlen um ein halbes Jahr vorverlegte.

Sánchez – und auch Díaz – werben für die Politik der Koalition. Während der Covid-Pandemie und der Ukraine-Krise hat sie den Sozialstaat in Spanien ausgebaut. Der Mindestlohn stieg um rund 50 Prozent, die Renten – vor allem die niedrigen Mindestrenten – wurden angehoben, der Kündigungsschutz, den einst der PP im Zuge der Eurokrise aufweichte, wurde wieder erweitert. Seither gibt es mehr Festanstellungen in Spanien denn je. Erstmals hat das Land ein Mieterschutzgesetz. Ein breites Kurzarbeitsprogramm rettete hunderttausende Arbeitsplätze und tausende Unternehmen in der Tourismusbranche über die Covid-Krise hinweg. Die Sozialpolitik wird von wirtschaftlichen Erfolgen begleitet. Während Länder wie Deutschland in die Rezession rutschen, wächst Spaniens Wirtschaft wie die keines anderen Landes in Europa.

Sammelsurium an Kleinparteien

All diese Maßnahmen brachte die linke Minderheitsregierung dank eines Sammelsuriums kleinerer linker Parteien und Vertretern aus Regionen wie dem Baskenland und Katalonien durchs Parlament. PP und Vox stimmten selbst dann dagegen, wenn sich – wie etwa bei der Arbeitsmarkt- oder Rentenreform – Gewerkschaften und Arbeitgeber geeinigt hatten. Feijóo und auch Santiago Abascal, Chef der Vox, haben bereits angekündigt, einen Großteil zurücknehmen zu wollen.

Die Rechte hat mit einer großangelegten Kampagne gegen das, was sie "Sánchismus" nennen, erreicht, dass die Linkskoalition trotz dieser Erfolge um die Wiederwahl fürchten muss. Sánchez würde Spanien zerstören, es den "Feinden des Vaterlandes" ausliefern. Damit gemeint sind neben den Linken die Unabhängigkeitsparteien aus dem Baskenland und Katalonien, die so manche Sozialmaßnahme wie etwa die Renten- und Mindestlohnerhöhung mit der Regierung und gegen PP und Vox durchs Parlament gestimmt haben. Die Rechte polarisiert und war damit bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai erfolgreich. Das könnte sie – so die meisten Umfragen – auch am Sonntag wieder sein.

Pedro Sánchez will weiterregieren. Ob ihm das gelingt, wird sich am Sonntag zeigen.
Pedro Sánchez will weiterregieren. Ob ihm das gelingt, wird sich am Sonntag zeigen.
AFP/JAVIER SORIANO

Feijóo hat ein Imageproblem. Er, der Sánchez vorwirft, die Spanier zu betrügen, wurde bei einem Interview im öffentlichen Fernsehen der Lüge überführt. Bilder aus den 1990er-Jahren zeigen ihn mit einem Baron der Drogenmafia aus seiner Heimat Galizien auf dessen Yacht. Er habe nicht gewusst, womit sein Freund, gegen den damals bereits ermittelt wurde, sein Geld verdiene. Und anders als vor den Kommunal- und Regionalwahlen regiert der PP mittlerweile in über 100 Dörfern und Städten sowie in fünf Regionen mit Unterstützung der rechtsextremen Vox. Es zeigt sich, was das bedeutet: In Regionen mit eigener Sprache wird das Kastilische, wie das Spanische offiziell heißt, wieder zur Hauptsprache ernannt. Umweltzonen und Fahrradwege werden abgebaut. Bürgermeister verbieten die LGBTIQ-Fahnen an öffentlichen Gebäuden ebenso wie die institutionellen Kundgebungen vor den Rathäusern gegen sexualisierte Gewalt. Theaterstücke und Filme werden abgesetzt, weil sie homosexuelle Szenen enthalten, von Gewalt gegen Frauen handeln oder die Repression der Franco-Diktatur anklagen.

"Am Sonntag wird entschieden, ob wir am 24. Juli im Jahr 2023 aufwachen oder im Jahr 1973", warnt Sánchez vor der "Geisterbahn", in die Spanien droht hineinzufahren, sollten PP und Vox das Land übernehmen. (Reiner Wandler aus Madrid, 20.7.2023)