Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei seiner Rede zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele
Bundespräsident Alexander Van der Bellen holte bei seiner Eröffnungsrede in Bregenz zu einem Rundumschlag aus und kritisierte den vorherrschenden Populismus.
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Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte unmittelbar reagiert, noch in Bregenz formulierte er ein Statement, in dem er erst sein gutes Verhältnis zum Bundespräsidenten betonte, dann aber festhielt, dass man wohl noch definieren dürfe, was normal sei. Nehammers Statement gipfelte in einem Schnitzelvergleich. "Und genauso ist es okay, wenn jemand sich dazu entschließt, vegan zu leben. Aber es muss auch okay sein, wenn andere gerne Schnitzel essen."

Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die das Copyright für das Recht der Vertretung angeblich normal denkender Menschen hält, sah am Donnerstag einen fortlaufenden "Ablenkungskampf" um das Wort "normal". "Genau das hält die schweigende Mehrheit der Bevölkerung für nicht mehr normal", meinte die ÖVP-Politikerin in Reaktion auf die Warnung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Der hatte in seiner Rede zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele die ausgrenzende Sprache vieler Politiker kritisiert und dabei sehr direkt ÖVP, SPÖ und FPÖ angesprochen, ohne diese freilich zu nennen.

Erhobener Zeigefinger

"Es ist eine seltsame Entwicklung in unserem Land, wenn die breite Mehrheit der Bevölkerung laufend mit erhobenem Zeigefinger ermahnt wird, während Einzelne tun und lassen können, was sie wollen. Es ist eine seltsame Entwicklung, wenn genau jener 'Ablenkungskampf um Begrifflichkeiten', von dem gestern auf großer Bühne die Rede war, auf ebendieser Bühne selbsterfüllend fortgesetzt wird", teilte Mikl-Leitner in einer schriftlichen Stellungnahme mit.

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner mit ihrem Koalitionspartner Udo Landbauer (FPÖ).
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wollte nach ihrer Koalition mit Udo Landbauer und der FPÖ vorgeben, was normal ist. Die Kritik daran weist sie zurück. Es sei nicht normal, darüber so lange zu diskutieren.
APA/HELMUT FOHRINGER

In ihrer Kritik wandte sich Mikl-Leitner sowohl an die SPÖ wie auch an den Bundespräsidenten: Es müsse darüber geredet werden, "wie sich Menschen noch Eigentum schaffen können, und nicht darüber, wie wir es ihnen nehmen können" und "wie wir einen sozial gerechten Ausgleich schaffen, ohne gegenseitigen Neid zu schüren". Mikl-Leitner: "All das gehört auf die große Bühne. Stattdessen erleben wir, dass der ,Ablenkungskampf‘ um das Wort ,normal‘ fortgesetzt wird."

Was alles normal ist

Zur Normalität hatte am Donnerstag auch FPÖ-Chef Herbert Kickl etwas beizutragen. "Es ist nicht normal, wenn eine angeblich christlich-soziale wertkonservative Wirtschaftspartei mit den Grünen koaliert", hielt er fest. Daran ändere sich auch nichts, wenn ÖVP-Politiker versuchen würden, ihrer Politik eine Art "Gütesiegel für normale Positionen" verleihen zu wollen. Kickl: "Die von den Grünen erwirkten und von der ÖVP geduldeten Inhalte im Bereich des Klimawahnsinns oder des Autofahrer-Bashings beweisen eindrucksvoll, wie weit die ÖVP von der Normalität entfernt ist." Wenig überraschend nimmt Kickl für die Freiheitlichen in Anspruch, dass deren Positionen "normal" seien: "kriminelle Asylanten abschieben und die Islamisierung stoppen, Rot-Weiß-Rot statt Regenbogen".

SPÖ-Chef Andreas Babler hatte noch am Mittwochabend auf Van der Bellen reagiert und dessen Vorwurf, das Spaltung auch in der Sprache passiere, zurückgewiesen. Die Spaltung sei bereits da, argumentierte Babler auf Twitter, "wir müssen sie benennen und die Dinge wieder geraderichten". Babler versuchte noch einmal zu erklären, wen er mit dem Begriff "unsere Leute" meint: Das seien die "Friseur:innen, Supermarktkassier:innen, Polizist:innen und Kellner:innen, ohne die nichts in Österreich funktionieren würde – die wurden von der Regierung ignoriert. Die Lehrer:innen, Kindergartenpädagog:innen und die Pfleger:innen, die unter schwierigen Bedingungen ihr Bestes geben. Die Pensionist:innen und die Kinder. Die kleinen Selbstständigen und Gewerbetreibenden, die unsere Wirtschaft am Laufen halten." Genau um die würde sich die Politik nicht kümmern.

Babler vermisse den Grundsatz, "dass es in der Politik um Verbesserungen für die breite Mehrheit geht". Das habe die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben, argumentiert er. "Diese Gräben können wir nur kitten, wenn die Politik wieder für die Mehrheit da ist und sich nicht zum Befehlsempfänger der Reichen und Mächtigen macht." (Michael Völker, 20.7.2023)