Sabine Gruber
Sabine Gruber bleibt nah an ihren Figuren.
Sabine Hauswirth

Die Übersetzerin Renata Spaziani muss nach dem plötzlichen Tod ihres Partners Konrad Grasmann realisieren, dass das Recht "nur so lange auf der Seite der Liebenden" ist, "solange sie beide lebten". Der Architekt und Fotokünstler ist auf einem Autobahnparkplatz in Tirol neben seinem Wagen zusammengebrochen.

Das in Wien lebende Paar hat zwar vor Jahren ein Testament in den Computer getippt, "aber ein Formfehler hatte ausgereicht, um ein Vierteljahrhundert Zweisamkeit rückwirkend zu annullieren". Die Herkunftsfamilie von Konrad – Mutter Henriette, Bruder Marcel und Schwester Gunda – respektiert weder Renatas noch Konrads Wünsche. Für Henriette setzt Renata die Unsittlichkeit von Konrads Verflossenen, die sie als "Schlampen" bezeichnet, nur fort. Das nicht rechtsgültige Testament bezeichnet sie abfällig als nicht aktuellen "Zettel". Das Erbrecht ist auf Seite der Familie, zumal das Paar kinderlos ist. Es zählt nur "die archaische Blutlinie", "Liebe und soziale Verwandtschaft" sind bedeutungslos.

Und das bedeutet, dass für Konrad ein katholisches Begräbnis nach den Vorstellungen der Familie in seinem Geburtsort ausgerichtet wird, obwohl er aus der Kirche ausgetreten ist und in Wien begraben werden wollte. Nur gegen die Plastiknelken auf dem Sarg kann sich Renata wehren, sie hat hunderte bunte Gladiolen bestellt, die zu drei riesigen Blumenbouquets arrangiert sind und die für sie ihre "Schwerter" sind.

Doch das ist erst der Anfang des Raubs des "riesigen Erinnerungsspeichers". Ein Teil der Einrichtungs- und Alltagsgegenstände aus der gemeinsamen Wohnung und dem kleinen Wagramer Landhaus wird auf einer "Willhaben-Seite" zum Verkauf angeboten. Ausgerechnet das Doppelbett aus dem Landhaus, das Renata erworben hatte, beansprucht die Mutter für das Gartenzimmer ihres Hauses. Fotozeichnungen, die Konrad Renata geschenkt hat, werden in einer Galerie ausgestellt, Konrads Armbanduhr und seinen Ring trägt der Bruder. Den alten Saab möchte ihr die Familie nur gegen Geld überlassen, die Liste der Enteignungen ließe sich fortsetzen und macht selbst bei der Lektüre wütend. Und bisweilen wünscht man sich, dass Renata sich wehrt.

Literarisch hat Sabine Gruber eine Form für Renatas Bewältigung der Übergriffe gefunden. In die Handlung sind kurze Erinnerungen an das gemeinsame Leben eingeschoben, beide Zeitebenen wechseln einander ab. In diesen Passagen spürt man förmlich die Sinnlichkeit der körperlichen Begegnungen und das Glück der Liebenden. Dazu zählen auch die gemeinsamen Reisen nach Italien und Konrads Studien zur faschistischen Architektur Italiens, die sie als Italienerin oft begleitete.

Der Ratschlag einer Freundin, dass sie einen "Überbrückungsliebhaber" benötige, ermöglicht in der schnörkellosen Analyse der Profile von Männern auf einer Dating-App befreiend komische Momente für Renata und die Leserinnen und Leser. Dass sie bei der ohnehin nur zögerlichen Entsperrung von Konrads Handy und in Büchern gefundenen Widmungen auf mögliche Geheimnisse in der Vergangenheit des Partners stößt, die sie verunsichern, zählt zu jenen Konflikten, denen sie nachgeht. Es gehört zu den großen Stärken der Prosa von Sabine Gruber, dass sie gesellschaftliche Verhältnisse sprachlich ebenso präzise wie schonungslos beschreibt, dabei aber immer diskret und behutsam bleibt, Leerstellen und Fragen offenlässt.

Buch
Sabine Gruber, "Die Dauer der Liebe". € 25,50 / 251 Seiten. C. H. Beck, München 2023
C. H. Beck

Veränderbare Wirklichkeit

Als Erzählerin bleibt sie nahe an ihren Figuren, wählt häufig die Innenperspektive, mischt sich nicht als allwissend ein. Gruber gilt nicht als Autorin, die Gelebtes eins zu eins in Literatur umsetzt, auch wenn gerade in diesen Roman bestürzende persönliche Erfahrungen nach dem Tod ihres langjährigen Lebensgefährten eingeflossen sind. Ihr Versuch, Wirklichkeit in Kunst zu verwandeln, ist auch ihrem politischen Anspruch und der Hoffnung geschuldet, dass die Wirklichkeit veränderbar ist.

Auf einzigartige Weise hat Sabine Gruber von ihrem ersten Roman an Figuren erfunden, die in anderen Konstellationen immer wieder auftauchen, und sich damit ein literarisches Universum erschaffen. Dazu gehören in diesem Roman beispielsweise die chronisch nierenkranke Marianne und vor allem der Kriegsfotograf Bruno Daldossi, der Protagonist des Romans Daldossi oder Das Leben des Augenblicks, der sich im Frieden erst zurechtfinden musste. Im neuen Buch ist Bruno die wichtigste Bezugsperson für Renata auf ihrem Weg zu einem Neubeginn.

Sabine Gruber ist mit ihrem Roman Die Dauer der Liebe ein ebenso politisches wie poetisches Meisterwerk gelungen. Es ist ein Buch, das die gesetzlichen Unzumutbarkeiten für kinderlose Paare ohne Trauschein und Testament aufdeckt, und eine bewegende Erzählung über das Weiterleben ohne den anderen. (Christa Gürtler, 21.7.2023)