Die Vanmoof-Gründer auf ihren E-Bikes
Die beiden Vanmoof-Gründer Ties und Taco Carlier.
Vanmoof

Eines ist dem Fahrradhersteller Vanmoof gelungen: Die hippen E-Bikes hatten und haben wohl noch immer ihren ganz eigenen Nimbus des technologisch Revolutionären. Ein Fahrrad, dessen Funktionen in der App gesteuert werden, mit GPS-Tracking, On-Board-Alarmen und allen Stückerln, die es in der vernetzten Welt so gibt. Die Niederländer haben sich einen Ruf aufgebaut, wie es nur wenige geschafft haben. Der gerne herangezogene Vergleich mit Tesla kommt nicht von ungefähr. Doch nun ist Vanmoof insolvent – trotz Millionen von Investoren und steigenden Umsätzen. Wie konnte es so weit kommen, und was heißt das für die Kundinnen und Kunden?

Ein einzigartiges Geschäftsmodell

Vanmoof wurde 2009 von Taco und Ties Carlier in Amsterdam gegründet. Zuerst stellte man Fahrräder ohne Elektromotor her. Fünf Jahre später kamen die ersten Elektrofahrräder auf den Markt. Modelle wie die S- und X-Reihe waren wohl auch nicht ganz zufällig eine Reminiszenz an Telsa und waren schnell stark nachgefragt. Kein Wunder: Das minimalistische Rahmendesign wirkt modern, und mit an Bord gab es jede Menge smarte Features wie GPS-Ortung und eine Diebstahlsicherung. Das "Kicklock" wird verriegelt, indem man gegen das Hinterrad tritt, mit dem Smartphone wird es wieder entsperrt.

Dazu gab es noch jede Menge Versprechen: Gegen einen Aufpreis konnte man das Antidiebstahlversprechen dazubuchen. Sollte das Fahrrad gestohlen werden, würden Mitarbeiter von Vanmoof versuchen, es zurückzuholen, wenn das nicht gelingen sollte, würde man als Kundin oder Kunde ein neues Fahrrad bekommen. Die Bikes selbst verkaufte man überwiegend auf der eigenen Website im Direktvertrieb.

In der Corona-Pandemie stieg die Nachfrage nach den hippen Fahrrädern plötzlich sprunghaft an, und Vanmoof wuchs schnell. Das lag auch am Preis, durch den Einsatz proprietärer Komponenten konnte man billiger produzieren und die Preise senken, wie "t3n" berichtet. So war das S3-Modell für teilweise unter 2.000 Euro zu haben.

Time to ride the future | VanMoof
VanMoof

Der Erfolg zog Investoren an, und mehrere Finanzierungsrunden brachten den Niederländern fast 190 Millionen Dollar ein. Der Hersteller gab an, "die am schnellsten wachsende und am besten finanzierte E-Rad-Marke der Welt" zu sein. Doch trotz allem war das Unternehmen defizitär. So belief sich der Verlust im Jahr 2021 auf 78 Millionen Euro, bei 83 Millionen Euro Umsatz. Das Minus für 2022 soll in ähnlicher Höhe ausfallen, wie "Business Insider" berichtet. Dazu kam, dass der Markt abkühlte und die Nachfrage nach der Pandemie wieder deutlich zurückging.

Die Probleme häuften sich

Weitere Probleme wurden offensichtlich: Es häuften sich Kundenbeschwerden über Qualitätsmängel. Die Kunden wurden frustrierter, wie man in langen Threads auf Reddit nachlesen kann. Allein 2021 beliefen sich die Kosten für Reparaturen oder den Garantieaustausch auf acht Millionen Euro. Dieses Problem wurde durch das Vertriebssystem und die an Tesla angelehnte Firmenphilosophie noch verstärkt: Ein defektes Vanmoof-Fahrrad kann man nicht ins Geschäft um die Ecke zur Reparatur bringen. Durch den Einsatz von proprietären Teilen musste der Hersteller ein Netz von Vor-Ort-Niederlassungen aufziehen, ohne je eine breite Serviceabdeckung zu erreichen, denn die Kunden mussten immer noch teilweise hunderte Kilometer weit fahren, um ihr Fahrrad reparieren zu lassen.

Wie "Techcrunch" unter Berufung auf einen Insider berichtet, habe man sich zu sehr auf das Marketing verlassen. Wie ein Insider der E-Bike-Branche sagte: "Vanmoof hat sich auf das Marketing konzentriert und viel Geld ausgegeben, aber vergessen, an die Lieferkette und die Stückkosten zu denken. Ich habe gehört, dass sie nach den Covid-Verzögerungen auf einer Menge fehlerhafter Lagerbestände und Überbestellungen saßen."

All diese Probleme führten schließlich zur Insolvenz. Ein Gericht in Amsterdam ordnete die Eröffnung des Verfahrens an, und das Unternehmen wurde unter die Kontrolle von zwei Insolvenzverwaltern gestellt. Der Verkauf von Fahrrädern wurde eingestellt. "Vorübergehend", wie es auf der Website heißt. Von der Insolvenz betroffen sind die niederländischen Gesellschaften von Vanmoof. Über die Tochterunternehmen in den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien wurde bislang kein Verfahren eingeleitet. Um die Sicherheit der Mitarbeitenden zu gewährleisten, wurden aber die Flagship-Shops in den ausländischen Niederlassungen ebenfalls geschlossen, wie Vanmoof mitteilte. Die Gläubigerversammlung ist für den 21. September 2023 angesetzt.

Was können Betroffene tun?

Das Unternehmen hat einen eigenen Leitfaden veröffentlicht, in dem erklärt wird, was Besitzerinnen und Besitzer von Vanmoof-Fahrrädern nun beachten müssen.

Wird das Fahrrad weiterhin funktionieren?
Laut Vanmoof wird versucht, die App und die Server online zu halten. Es wird aber dringend geraten, einen Back-up-Entsperrcode zu erstellen, mit dem man das Fahrrad über die Tasten am Lenker entriegeln kann.

Welche Auswirkungen hat der Konkurs für die anderen Unternehmen außerhalb der Niederlande?
Vanmoof plant, die Auslandsniederlassungen weiterzuführen, man sei aber noch dabei, die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens abzuschätzen. Aktuell ist aber noch unklar, ob man in Zukunft Fahrräder in den ausländischen Niederlassungen reparieren lassen kann. Betroffene können sich all ihre Fahrräder aus den Filialen abholen, ob repariert oder nicht. Wie das organisiert wird, ist noch unklar.

Sind Ersatzteile erhältlich?
Aktuell nein, ob der Versand von Ersatzteilen an Privatkunden je wieder möglich sein wird, ist unklar.

Werden geleistete Vorauszahlungen zurückerstattet?
Den Treuhändern seien die geleisteten Vorauszahlungen bekannt, teilte das Unternehmen mit. Kundinnen und Kunden müsste ihre Ansprüche wohl im Insolvenzverfahren durchsetzen, so wie andere Gläubiger auch. Man arbeite an einem eigenen Verfahren, wie Betroffene ihre Ansprüche anmelden können.

Funktioniert das Fahrrad auch ohne die Vanmoof-App?
Grundsätzlich ja, wenn man einen Entsperrcode (siehe oben) hat. Jedoch gehen ohne die App Funktionen verloren, wie etwa die GPS-Ortung. Der belgische Konkurrent, die Firma Cowboy, hat nun eine App entwickelt, damit Vanmoof-Fahrräder unabhängig von deren Serverstatus weiterhin funktionieren. Zur Anwendung geht es hier. (pez, 21.7.2023)