Schwimmerin Lia Thomas sammelte College-Erfolge.
APA/AFP/JOSEPH PREZIOSO

"Es geht uns um Frauenrechte", sagt Walter Bär. Der Sportdirektor des österreichischen Schwimmverbands freut sich aktuell in Fukuoka in Japan über die WM-Erfolge der Alexandri-Drillinge im Synchronschwimmen und hofft, dass das Beckenschwimmteam um Felix Auböck nachziehen wird. Gleichzeitig richtet Bär seinen Blick voraus, auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris, die in fast genau einem Jahr beginnen. Mit "Frauenrechte" bezieht er sich darauf, dass der internationale Schwimmverband (Fina) die erste große Organisation war, die strikte Regeln für Transgenderpersonen im Spitzensport aufgestellt hat. Wobei "für" den Nagel vielleicht nicht auf den Kopf trifft, man könnte durchaus auch die Präposition "gegen" bemühen.

Regeln gegen Transgenderpersonen, darauf ist es letztlich hinausgelaufen. Schließlich bedeutet die Fina-Regel, leicht verkürzt, dass Transgenderschwimmerinnen nur dann startberechtigt sind, wenn sie keine männliche Pubertät durchlaufen haben. Begründung: In dieser Pubertät steigern die Hoden die Produktion von Testosteron, das unter anderem Muskeln wachsen lässt. Und daraus würde Transgendersportlerinnen ein Wettbewerbsvorteil erwachsen. "Mit einem XY-Chromosomensatz bist du einfach einer XX-Chromosomenfrau körperlich überlegen", sagt Bär und verweist auf die US-Amerikanerin Lia Thomas, die ihre Transition erst nach dem 19. Geburtstag durchlief und danach auf College-Ebene "alles in Grund und Boden schwamm".

Zwölfter Geburtstag

Thomas träumte von einer Olympia-Qualifikation, der Traum ist wohl geplatzt. "Nach dem zwölften Geburtstag", sagt Bär, "ist der Zug abgefahren." Es ist ihm klar, dass dies den De-facto-Ausschluss von Transgenderschwimmerinnen bedeutet. "Aber es geht um Frauenrechte", wiederholt er sich. "Um die Rechte vieler Frauen, die jahrelang auf ein Großevent hinarbeiten und dann vielleicht um alle Chancen gebracht werden." Unausgesprochener Nachsatz: von einer Sportlerin, die vielleicht – wie Lia Thomas – als Junior noch unter ferner schwimmen rangierte, aber in Frauenbewerben plötzlich Oberwasser hat.

Das Thema ist ein schwieriges, weil es mit sich bringt, dass die Freiheiten und Möglichkeiten von Menschen eingeschränkt werden. Wer wollte Lia Thomas absprechen, dass sie gerne schwimmt, gerne gut schwimmt, dass sie viel trainiert, sich verbessern und Wettbewerbe bestreiten möchte? Den Sportverbänden ist ihr Credo von "sportlich fairen Wettbewerben" freilich wichtiger. Für Sonja Spendelhofer, die Präsidentin des österreichischen Leichtathletikverbands, ist es vorstellbar, "dass Menschen ihr Geschlecht ändern, um einen Olympiasieg feiern zu können".

Olympische Premiere

Die erste Transgenderathletin, die an Olympischen Spielen teilnahm, war die neuseeländische Gewichtheberin Laurel Hubbard, die 2021 in Tokio allerdings mit drei Fehlversuchen scheiterte. Die mittlerweile 45-Jährige hatte bis zum Alter von 23 Jahren an Männerbewerben teilgenommen, sich mit 34 einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen und trat etwas später erstmals in Frauenbewerben an. 2017 gewann sie WM-Silber. Zuvor hatte sie ein Jahr lang nachgewiesen, dass ihr Testosteronwert unter damals vorgeschriebenen zehn Nanomol pro Liter Blut lag.

Diesen Wert hielten Kritiker, die Hubbard einen Kraftvorteil zuschrieben, für viel zu hoch. Mittlerweile liegt die Latte viel tiefer. Im Schwimmsport wie in der Leichtathletik und im Radsport gelten 2,5 Nanomol pro Liter Blut als Testosteron-Obergrenze. In Großbritannien hatte vor einem Jahr das Bild einer Siegerehrung nach einem freilich stets als "inklusiv" titulierten Bahnradrennen für Aufregung gesorgt. Da busselten sich die Transgendersportlerinnen Emily Bridges und Lilly Chant auf dem Podest ab, daneben stand die drittplatzierte Jo Smith mit ihrer kleinen Tochter am Arm.

Laurel Hubbard aus Neuseeland war 2021 die erste olympische Transgendersportlerin.
imago images/ITAR-TASS

Insbesondere in der Leichtathletik zielen die strikten Regeln nicht allein auf Transgendersportlerinnen ab, sondern auch auf "Athletes with Differences of Sex Development", kurz DSD. Berühmtestes Beispiel? Caster Semenya aus Südafrika, zweimalige 800-Meter-Olympiasiegerin. Sie hat XY-Chromosomen und einen deshalb natürlich erhöhten Testosteronspiegel, zurückzuführen auf eine Erbkrankheit, einen 5a-Reduktase-2-Mangel. Die 32-Jährige lehnt es ab, ihren Testosteronspiegel medizinisch zu senken.

Semenya zog vor den internationalen Sportgerichtshof CAS. Dieser hat 2019 zwar die Diskriminierung bestätigt, aber auch geurteilt, dass sie "notwendig, angemessen und verhältnismäßig" sei, um "die Integrität der Frauenleichtathletik zu schützen". Semenya zog weiter, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Auch der hielt fest, dass Semenya diskriminiert werde, es dafür "sehr gewichtige Gründe" als Rechtfertigung brauche – und dass Semenyas Anliegen in der Schweiz nicht ausreichend geprüft worden sei.

Der Leichtathletik-Weltverband hofft auf eine endgültige Entscheidung durch die Große Kammer des EGMR. Bis dahin bleiben die Bestimmungen in Kraft. Verbandspräsident Sebastian Coe: "Wenn wir jemals so weit in die Ecke gedrängt werden, dass wir ein Urteil über Fairness oder Inklusion fällen müssen, werde ich immer auf die Seite der Fairness schwenken."

Spannende Frage

Ein Urteil, das Semenya eine Olympiateilnahme ermöglicht, könnte auch an den Transgenderregeln der großen Sportverbände noch rütteln. Wahrscheinlich ist das nicht. Spannend wird, wie etwa Teamsportarten mit der Thematik umgehen. Werden sie ebenfalls praktisch alle Türen zuwerfen, oder wird in absehbarer Zeit beispielsweise eine Transgenderfußballerin pro Frauenteam zugelassen sein?

Anne Liebermann, die Direktorin bei der LGBTIQ-Sportorganisation Athlete Ally, wirft den großen Sportverbänden vor, "die Körper aller Frauen" reglementieren zu wollen. Die Regeln seien nicht durchsetzbar, ohne "die Privatsphäre und die Menschenrechte jeder Athletin, die in der Frauenkategorie antreten will, ernsthaft zu verletzen". Dass die große Mehrheit der Athletinnen allerdings eher diese Verletzung in Kauf nehmen als ihre Erfolgsaussichten schmälern würde, ließ Liebermann dahingestellt. (Fritz Neumann, 24.7.2023)