Andreas Schicker an seinem Arbeitsplatz.
Hier werden Sturms Millionentransfers umgesetzt: Andreas Schicker an seinem Arbeitsplatz.
SK Sturm

Nach wochenlangen Verhandlungen hat Sturm Graz Stürmer Emanuel Emegha am Samstagabend für kolportierte zwölf Millionen Euro an Racing Straßburg verkauft. Der STANDARD hat Sturms Geschäftsführer Sport Andreas Schicker am entscheidenden Verhandlungstag beobachtet.

Die Mail kommt am Dienstagabend, genau in der Pause eines Testspiels. Vor drei Wochen hat Racing Straßburg Andreas Schicker erstmals kontaktiert, aber jetzt, während Sturm Graz Galatasaray Istanbul 2:0 schlägt, wird es endlich ernst: Der französische Erstligist hat die Summe geboten, die Sturms Geschäftsführer Sport für seinen Starstürmer Emanuel Emegha fordert. In Medien wird von zwölf Millionen Euro plus Boni zu lesen sein, Schicker spricht prinzipiell nie über konkrete Summen. Am nächsten Morgen geht es an die Detailarbeit: Schicker bemängelt den zu späten Zahlungszeitpunkt einer Tranche, es geht um Geschäftsjahre. Der Ex-Profikicker muss für seinen Posten auch Jurist, Verhandlungspsychologe und Buchhalter sein.

Spätestens mit dem bevorstehenden Abgang von Salzburgs Christoph Freund zu Bayern ist Schicker der erfolgreichste Sportdirektor der Bundesliga, angesichts seiner beschränkteren Mittel war er es vielleicht schon davor. In Sturm-Fanforen wird der 37-Jährige fast kultisch angehimmelt. Wer sich an die Zeit vor ihm erinnert, der weiß, warum. Die Beförderung des damaligen Chefscouts im Mai 2020 samt dem folgenden Engagement von Trainer Christian Ilzer brachte dem Grazer Traditionsverein einen bis dahin undenkbaren Erfolgslauf. Sturm beendete die damalige Saison als Stockletzter der Meistergruppe, nun sind die Blackies Cup-Titelverteidiger, zweite Kraft in Österreich und Stammgast im Europacup. Schickers Trefferquote bei Transfers ist beängstigend, der 17-Millionen-Euro-Verkauf von Rasmus Højlund war für die Klubfinanzen ein Jackpot. Binnen drei Jahren hat sich Sturm als attraktive Adresse für internationale Talente etabliert.

Bleibt die Frage: Wie macht der das?

Andreas Schicker an der Kaderplanungs-Taktiktafel.
Andreas Schicker an der Kaderplanungs-Taktiktafel.
SK Sturm

In Andreas Schickers Büro erlebt man viele gute Gründe, um Stress zu bekommen, aber keinen gestressten Menschen. In die meisten Telefonate läutet der nächste Anrufer hinein, nach längeren Terminen stapeln sich die E-Mails. Schicker wechselt fliegend zwischen WhatsApp, Mails und Handy, verschickt Sprachnachrichten, ab und an verirrt sich auch ein Anrufer auf seine Festnetznummer. Zwischendurch sorgt ein Journalist für Ärgernis, aber auch das wird ohne hörbare Erregung abgehandelt. Das Büro schreit Fußball, gegenüber von Taktiktafeln für die Kaderplanung stehen Bücher wie "How to become a football agent" und "Revolution im Profifußball". Eine Wand schmückt ein etwa vier mal eineinhalb Meter großer Druck der legendären Cupfinal-Pyro-Show, auf dem Kleiderständer baumelt ein Dress von Atalanta Bergamo. Højlund. Mag sein, dass demnächst ein Dress von Manchester United danebenhängt, Emeghas Vorgänger steht bereits vor seinem nächsten Schritt.

Viel Stress

Ja, auch Schicker hat ein Privatleben, im Sommer aber nur eingeschränkt. Die telefonische Abendplanung verklausuliert er mit dem Satz "Es steht ein Transfer an, ich kann also nix versprechen". Im September macht der Vater eines Sohnes kurz Urlaub: "Wenn ich zurückkomme, geht es Vollgas weiter." Im Herbst wird Sturm mindestens Europa League spielen, vielleicht sogar Champions League. Montagmittag wird der erste Quali-Gegner der Grazer gelost, im Topf sind die Glasgow Rangers, PSV Eindhoven, Sporting Braga und Olympique Marseille.

Emegha wird da nicht mehr dabei sein. "Schaut gut aus, sie kommen uns beim Zahlungsziel entgegen. Du kannst schon anfangen", sagt Schicker zu Teamkoordinatorin Bianca Winkler, die die Verträge aufsetzt. Verhandlungsschulung hat der einstige Mittelfeldspieler keine gemacht, er vertraut auf sein Gefühl und die Kollegenschaft. Für wichtige Telefonate mit anderen Vereinen holt der Steirer auch aus Verhandlungstaktik stets einen Vertrauten zu sich. Er bevorzugt die moderne Art der Transferabsprachen, also Telefon oder E-Mail. "Die Italiener machen es gern in Person. Sie kommen dann zu dritt und versuchen, dich einzulullen. Das ist nicht so mein Stil." Der Kauf von Emegha im vergangenen Sommer war das Gegenteil: "Da lief von Royal Antwerpens Seite alles nur per WhatsApp, mit Daumen-Hoch-Emoji."

Bus-Verhandlungen

Profifußball besteht nicht nur aus Millionentransfers. Kommende Woche gastiert der Shooting Stars FC aus Ghana bei Sturm, 20 Kicker müssen vom Flughafen Schwechat abgeholt werden. Das erste Anbot der Busfirma liegt im hohen dreistelligen Bereich. Schicker beauftragt einen mit dem Chef der Firma befreundeten Mitarbeiter, nachzuverhandeln. "Das ist der Alltag", sagt er. Auch kleine Ausgaben läppern sich. Bei Sturm stehen zukunftstragende Infrastruktur-Investitionen an, jeder Euro zählt.

Emanuel Emegha jubelt.
Emanuel Emegha kam im Sommer 2022 für 1,5 Millionen Euro zu Sturm Graz. Eine starke Saison später hinterlässt der pfeilschnelle Stürmer einen ordentlichen Profit.
APA/ERWIN SCHERIAU

Wieder klingelt es. Ein Spieleragent möchte wissen, was der Plan für einen seiner jüngeren Schützlinge ist, außerdem geht es um die Zukunftspläne für einen weiteren seiner Spieler. "Das Transferkarussell dreht sich noch nicht so richtig. Wenn einer anfängt, geht es dann aber richtig los", sagt Schicker. Wenig später ruft ein deutscher Berater an, er hätte einen Kicker aus Ghana, Jahrgang 2002, "ein Projekt" für Sturms zweite Mannschaft. "Zu alt?" Zu alt.

Zwischendurch bespricht Schicker gemeinsam mit Geschäftsführer Wirtschaft Thomas Tebbich mehrmals die Europacup-Prämien der Spieler. Die diesbezügliche Verhandlung mit dem Mannschaftsrat um neun Uhr war der Beginn seines Bürotages, davor hat er von zuhause telefoniert. Zu Mittag wird das Testspiel vom Vorabend analysiert und die Teambuilding-Wanderung vom vergangenen Wochenende nachbesprochen. Letztere ist Tradition, in Schickers Büro hängen vergangene Gipfelsturm-Fotos, jeweils bedruckt mit den damals beschlossenen Saisonzielen.

Kaum Geheimnisse

Gute Nachricht aus dem Mail-Eingang: Otar Kiteishvilis Rot-Weiß-Rot-Card-Verlängerung ist da. Schlechte Nachricht vom STANDARD-Gast: Keine zwei Stunden nach Schickers Telefonat mit Straßburg haben "Voetbal International" und "L’Equipe" das Angebot der Franzosen vermeldet. Für den Sport-Geschäftsführer ist das zu akzeptieren, weil unvermeidbar: "Je weiter man in den Verhandlungen ist, desto mehr Gremien müssen informiert werden." Kontakte mit europäischen Spitzenklubs sind längst Normalität, sei es mit Atletico Madrid und Arsenal zwecks Leihgeschäften – oder auch, sagt Schicker, mit Bayern München. Nicht erschrecken, Bayern hat auch eine zweite Mannschaft.

Schicker regelt sein Tagesgeschäft mit einer schlichten Nonchalance, dass man glauben könnte, er managt einen Eissalon in der Wintersaison. Termin ist Termin, ob es der Werbeclip für einen Vereinspartner oder die Millionenverhandlung ist. Man bekommt nicht den Eindruck, dass sein Puls je dreistellig wird. Schicker ist der Fokuspunkt der ganzen Sturm-Geschäftsstelle, zwischenzeitlich stehen fünf Menschen in seinem Büro, aber dieser 37-Jährige sitzt einfach da und macht seine Hackn. Für viele Menschen ist ihr Job eine Selbstverständlichkeit, bei einem Millionenjongleur wie Schicker fällt es auf.

Vom ersten Emegha-Transfervertrag bis zu der schlussendlich am Samstag erfolgten Transfer-Bekanntgabe sind es noch ein paar Mails. Entwürfe werden hin- und hergeschickt, letzte Details geklärt. Parallel einigt sich Straßburg mit Emeghas Management, Schicker plant da längst die nächsten Schritte. Von zwei Teamscouts bestellt er für den nächsten Morgen die aufgefrischte Liste potenzieller Stürmer-Neuzugänge. Mag sein, dass sich dieser Kreislauf kommendes Jahr wiederholt – und Schicker seinen Klub en passant wieder ein paar Millionen Euro reicher gemacht hat. (Martin Schauhuber, 23.7.2023)