Ungarns Premier Viktor Orbán beim Nato-Gipfel Mitte Juli in Vilnius.
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Băile Tușnad / Budapest / Bukarest – Ungarns rechtsnationaler Premier Viktor Orbán hat am Samstag mit einer Rede an der 32. Sommeruniversität in Băile Tușnad (ungarisch Tusnádfürdö) im rumänischen Siebenbürgen für bilaterale Missstimmung gesorgt. Vor Vertretern der ungarischen Minderheit hatte sich Orbán etwa über Rumäniens Regierung und das politische System lustig gemacht. Von rumänischer Seite wurde Orbán infolgedessen vorgeworfen, sich "wie ein Extremistenführer und nicht wie ein Staatenlenker" zu benehmen.

Kritik und Spott für Rumänien

Im ersten Teil seiner traditionellen Grundsatzrede auf der von seiner Fidesz-Partei organisierten Sommerakademie in Băile Tușnad (Bad Tuschnad) hatte sich Orbán eher unerwartet auf die rumänische Politikszene eingeschossen: So mokierte sich Orbán zum Amüsement der ungarischstämmigen Teilnehmerschaft ausgiebig darüber, dass Regierungschef Marcel Ciolacu (Postkommunisten/PSD), den er erst vor wenigen Tagen in Bukarest getroffen hatte, bereits der 20. rumänische Amtskollege sei, den er seit Antritt seiner eigenen Amtszeit kennengelernt habe. Aber vielleicht klappe es "für Rumänien ja vielleicht beim zwanzigsten Mal", so Orbán.

Orbán kritisierte auch das rumänische Außenamt. Dieses habe ihm schriftlich empfohlen, worüber er in seiner Rede "nicht sprechen" solle, etwa über nationale Symbole und kollektive Minderheitenrechte. Er sei auch aufgefordert worden, das vorwiegend von ungarischsprachiger Bevölkerung bewohnte Szeklerland in Siebenbürgen nicht zu erwähnen, erzählte Orbán. Allerdings habe er "nie behauptet, dass Siebenbürgen und das Szeklerland rumänische Gebiete sind", so Ungarns Regierungschef.

Doch würden die Minderheitenrechte existieren und auch den Ungarnstämmigen in Siebenbürgen zustehen. In Rumänien leben rund eineinhalb Millionen Angehörige der ungarischen Volksgruppe. Rumänische Nationalisten versuchten, die Rede Orbáns zu stören, unter anderem mit der Botschaft "Siebenbürgen ist für immer rumänischer Boden".

Rumänische Kritik an Orbán

Aus Bukarest warf der Sprecher der mitregierenden Liberalen (PNL), Ionuț Stroe, dem rechtspopulistischen ungarischen Regierungschef vor, den "rumänischen Staat persifliert" und sich "wie ein Extremistenführer, nicht wie ein Staatenlenker" aufgeführt zu haben. Zwar wünsche sich Rumänien gutnachbarschaftliche Beziehungen zu Ungarn, allerdings "keinen Agitator, der alljährlich in Băile Tușnad seine krausen Ideen zum Besten gibt", sagte der Sprecher des liberalen Juniorpartners in der großen Koalition in einer ersten Reaktion.

Offizielle Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes oder der Regierung in Bukarest zu den Äußerungen Orbáns standen am Samstag noch aus, doch dürfte die Rede einen neuen Tiefpunkt in den bilateralen Beziehungen einläuten. Dabei hatte Orbán Rumänien auch Unterstützung für den federführend von Österreich blockierten Beitritt zum Schengen-Raum zugesagt. Sein Land werde im nächsten Jahr die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernehmen und habe sich auf die Fahnen geschrieben, Rumäniens Schengen-Beitritt zu erreichen.

Kritik auch aus Prag

Mit Kritik reagierte auch der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala am Sonntag auf die Aussagen seines ungarischen Amtskollegen. Tschechien sei ein souveräner Staat, dessen Regierung die eigenen nationalen Werte verteidige, zitierten ungarische Medien heute (Sonntag).

Der ungarische rechtsnationale Premier hatte in seiner Rede am Vortag Tschechien vorgeworfen, sich im Wesentlichen auf die Seite der europäischen Föderalisten geschlagen zu haben, die einen Angriff auf die Visegrád-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei, Anm.) starteten. Die Slowakei würde "noch schwanken, wobei nur Polen und Ungarn durchhalten".

Fiala betonte weiter: "Wir entscheiden eigenständig darüber, was wir initiieren, unterstützen oder was wir in der Europäischen Union ändern wollen." Dabei sei Orbán anderes gewöhnt gewesen, da Andrej Babiš, sein Vorgänger als tschechischer Ex-Premier, in seiner Europapolitik von Orbán abhängig gewesen sei. Insofern sei die Frustration von Orbán verständlich, betonte Fiala. Dabei würden "absurde Beschuldigungen" sicher nicht der notwendigen Zusammenarbeit der mitteleuropäischen Länder dienen, betonte der tschechische Premier.

Orbán sieht "Schwäche der EU" und ein "Erstarken Chinas"

Im Mittelpunkt von Orbáns Rede waren zudem die "Schwäche der EU", das "Erstarken Chinas" sowie ein "aus den Fugen geratenes Gleichgewicht der Welt" gestanden. Ungarns in der EU umstrittener Regierungschef lobte die Entwicklung Chinas als neue Weltmacht. China habe die USA eingeholt und sogar überholt. "Wir sehen, dass die amerikanische Dominanz kontinuierlich geschwächt wird." Wegen China sei das Gleichgewicht der Welt aus den Fugen geraten. Damit sei wieder "die alte Angst der westlichen Welt" geweckt worden. Dabei gebe es keine ständigen Sieger und Verlierer in der Weltpolitik.

Orbán sprach von einer "große Debatte" zwischen der EU und Ungarn hinsichtlich des "Bevölkerungsaustausches mittels Migration" und der LGBTIQ-Lobby. Migration und Gender könnten nicht auf liberaler Grundlage zurückgedrängt werden, konstatierte der Premier. Die Europäische Union und Europa würden von "einer Beklemmung gequält" und fühlten sich "umzingelt", weil sie von sieben Milliarden Menschen umgeben seien.

Russland sei von der europäischen Wirtschaft abgetrennt worden. Doch von den übrigen Teilen der Welt könne Moskau nicht abgeschnitten werden. Parallel dazu habe Europa wiederum seine Wettbewerbsfähigkeit verloren, weil sich die Energiepreise auf das Doppelte im Vergleich zu anderswo auf der Welt erhöhten. Laut Orbán sei ein großer Teil westlicher Firmen noch immer in Russland präsent.

Der ungarische Premier sprach weiters über Wirtschaftsziele, die Erhöhung der Beschäftigungs- und Produktionsrate und brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, bei der Sommeruniversität 2024 bereits über eine stabile ungarische Wirtschaftslage sprechen zu können. (APA, red, 22.7.2023)