"Üblicherweise nehme ich von hier aus immer den Bus." Jo Ramírez hat jedenfalls seinen Humor nicht verloren, als es zu einem ungeplanten Zwischenstopp an einer Bushaltestelle mitten in der Kärntner Einöde kommt. Globitschen heißt es dort, wo unser Porsche 912, Baujahr 1968, 90 PS gerade während der ersten Etappe der Ennstal-Classic einen außertourlichen Stopp einlegt. Aber wenn auf der Öltemperatur-Armatur von einem solchen Sportwagen-Oldtimer ein Kontrolllämpchen rot aufleuchtet, muss der Sache auf den Grund gegangen werden. Hat man Glück, ist es ein minimales Problem, und es wurde lediglich vergessen, die Handbremse zu lösen. Hat man Pech, ist es was anderes.

Autor Manfred Gram im Porsche des Rennfahrers Jo Ramírez.
Unser Autor kennt sich mit Autos nur spärlich aus, er darf trotzdem eine Etappe beim Oldtimerrennen mitfahren
Ennstal Classic

Jo Ramírez ist eine Legende im Rennsport. Der 81-jährige Mexikaner war über vier Jahrzehnte im Motorsportzirkus dabei, davon 17 Jahre lange Teamkoordinator bei McLaren. Unter seinen Fittichen werkten bis zu seinem Pensionsantritt 2001 unter anderem Lauda, Berger, Häkinnen, Coulthard. Vor allem aber Alain Prost und Ayrton Senna. Zwei Streithanseln, die sich als Teamkollegen keinen Millimeter schenkten. Ramírez vermittelte oft erfolgreich zwischen den beiden Rennfahrern. So einer vergisst nicht auf die Handbremse. Ergo haben wir Pech. Ein weiteres Indiz dafür: Die Kiste lässt sich nur noch schwer starten.

Schnelle Hilfe

Hilfe ist schnell da. Zuerst in Form eines Porsche 911 S, der aus Flotte desselben Verleihers wie unserer stammt und von einem Bruder-Schwester-Duo pilotiert wird. Sie sind eines von 16 Teams, die heuer bei der Youngster Trophy mitfahren. Ein Nebenbewerb, der vom Veranstalter forciert wird, weil nicht nur die Autos, sondern auch die Fahrerinnen und Fahrer mit der Zeit langsam älter werden. Die Geschwister haben einen Jumpstarter dabei, der rasch an die Batterie angeschlossen ist. Wenige Augenblicke später trudelt dann aber auch schon ein mehrköpfiges Serviceteam vom Veranstalter ein.

Satt-grüne Wiesen, Berge, kurvige Straße und Oldtimer in Silber und Rot.
Die Ennstal-Classic gilt als eine der schönsten Oldtimer-Rallyes.
Ennstal-Classic, Steering Media

Bald ist klar, dass die Lichtmaschine der Bösewicht ist. Mit dem Jumper an der Batterie können wir aber weiterfahren. Nach Möglichkeit allerdings stromsparend. Also ohne Licht, ohne Lüftung und bestenfalls auch ohne Scheibenwischer. Am Ende des Tages wird Jo Ramírez diesen schnellen Service loben. Das alles war nämlich auch für ihn, der schon seit Mitte der Nullerjahre bei der Oldtimer-Rallye im Ennstal Dauergast ist, neu.

Für mich, der hier noch nie war, allerdings nicht. Seit frühesten Bobby-Car-Zeiten ziehe ich Pannen (Hupi nix tüt tüt!) magisch an. Leere Batterien, Austritt von Bremsflüssigkeit, zu wenig Öldruck, zerbissene Bremskabel, quietschender Keilriemen, Reifenplatzer brauch ich nicht zu suchen, sie finden von alleine zu mir. Deswegen hab ich schon seit über zehn Jahren kein Auto mehr und fahr als Beifahrer nur kurze Strecken mit, damit mein schlechtes Kfz-Karma nicht abfärbt. Das hätte ich vielleicht im Vorfeld sagen sollen, auch wenn die Tatsache empirisch eher schwer zu beweisen ist.

Das Roadbook wird auf dem Dach des Oldtimers studiert.
Das Roadbook ist für den Laien auf den ersten Blick bloß eine Sammlung lustiger Pfeile. Mit dessen Hilfe muss er aber dem Fahrer den Weg ansagen.
Ennstal Classic

Rinks und lechts kann man nicht velwechsern

So wusste Señor Ramírez lediglich, dass sie ihm mit mir einen Typen als Co-Piloten ins Auto gesetzt haben, der mit Motorsport nur Spärliches am Hut hat, noch nie bei einer Rallye dabei war und niemals auch nur einen einzigen Blick in ein Roadbook geworfen hat. Ein Manual, gespickt mit vielen lustig gebogenen Pfeilen, die einmal kurz, einmal lang, einmal dick und einmal dünner den richtigen Weg anzeigen. Sofern man dieses Buch denn auch lesen kann.

Rennsport-Gentleman Ramírez kommentierte diese widrigen Umstände freundlich: "Es gibt für den Einstieg sicherlich einfachere, weniger fordernde Oldtimer-Rallyes als diese hier. Aber es geht darum, Spaß zu haben und die Landschaft zu genießen." Ich lege mir trotzdem schon einmal ein paar Entschuldigungen zurecht. Weil ich weiß, dass ich unter Stress, mehr noch also sonst, rechts und links verwechsle. Wahrscheinlich hätte ich auch das im Vorfeld irgendwie erwähnen sollen, gerade weil das empirisch leicht zu beweisen ist. Aber das wäre wohl zu viel des Guten auf einmal gewesen. Spaß haben und Landschaft genießen – das bekomme ich aber hin.

Promis am Start

Das dürfte auch recht einfach werden, hört man doch immer wieder aus dem Teilnehmerfeld, dass es eigentlich kaum eine schönere Oldtimer-Rallye als die Ennstal-Classic gibt. Die historischen Fahrzeuge – keines wurde nach 1972 gebaut – machen jedenfalls den Ortskern von Gröbming, wo an drei Tagen alles seinen Anfang nimmt, zu einem riesigen Freilicht-Automobilmuseum. Mittlerweile organisiert ein fast 60-köpfigen Team diesen Event.

Das war nicht immer so, wie Michael Glöckner, neben Helmut Zwickl Co-Gründer der Ennstal-Classic, erzählt: "Als wir 1993 anfingen, waren gerade einmal 35 Autos am Start. Es hat sich also in den letzten drei Jahrzehnten einiges geändert." Für dieses Jahr hat man etwa im Vorfeld die Starteranzahl bewusst reduziert. Auch um die Qualität der international renommierten Veranstaltung zu halten, wie Glöckner erzählt.

Zuseher bewundern die Oldtimer auf dem Parkplatz.
Auch abseits der Rennstrecke ist die Ennstal-Classic ein Spektakel.
Ennstal-Classic, Steering Media

Vielleicht aber auch, weil in den den letzten Jahren nicht immer nur Motorsportfans und Oldtimer-Enthusiasten bei der Rallye zum Zug kamen. Immer wieder monieren Stimmen die sehr hohe VIP- und Promidichte. "Wir haben immer die Motorsport-Promis angesprochen, also verdiente Ex-Rennfahrer. Natürlich siedeln sich in so einem Umfeld auch andere Prominente an. Aber wir achten stets darauf, dass diese auch einen Bezug zum Motorsport haben und ausgewiesene Oldtimer-Liebhaber sind. Ist das der Fall, sind sie bei der Ennstal-Classic gut aufgehoben."

Mein Freund, der Baum

Aber ist so eine Rallye auch in der heutigen Zeit, in der Klimawandel und andere Krisen Rahmenbedingungen verändern, gut aufgehoben? Letztlich produziert die gesamte Veranstaltung immerhin gut 120 Tonnen CO2. "Natürlich muss man das alles hinterfragen. Auch für uns ist es mit der Sponsorensuche wesentlich schwieriger geworden als in den Jahren davor. Vieles dreht sich aktuell um die Frage: Wie bringt man den Motorsport in die Gegenwart?" Für Glöckner ist ein Teil der Lösung in E-Fuels zu finden. Heuer fahren auch erstmals Autos mit, die damit betankt sind. Aber auch sonst wird penibel auf Umweltverträglichkeit geachtet. Beim Rahmenprogramm setzt man auf Nachhaltigkeitskonzepte bei Geschirr und Produkten, man bietet den Teilnehmenden Abgastests und: "Oldtimer-Rallye heißt fahren auf Gleichmäßigkeit bei max. 50 km/h auf vielen Sonderprüfungen, das hat einen dementsprechend niedrigeren Energieverbrauch", so Glöckner. Außerdem pflanzen die Rennverantwortlichen in der Gemeinde Gröbming neue Bäume. Demnächst soll eine ganze Allee entstehen. Dass diese Baumreihen dann im Gröbminger Gewerbepark, für den erst kürzlich zehn Hektar Boden versiegelt wurden, ihren Standort finden, reizt dann allerdings doch zu einer ironischen Interpretation.

Großes Interesse und verfehlte Ziele

Das Interesse an der Ennstal-Classic und den Autos aus vier Oldtimer-Epochen ist nach wie vor groß. Jo Ramírez hat es ein Maserati Sebring angetan. "Ich muss den Besitzer später fragen, welches Baujahr der hat." Warum? "In den 1960er-Jahren war ich Mechaniker bei Maserati, als diese Autos entwickelt und gebaut wurden." Gut möglich also, dass seine Hände dieses Blech berührten, als es vom Oldtimer-Status so weit weg war wie der Gran Turismo Folgore, der erste Elektro-Maserati, heute.

Auf seinem Smartphone hat Ramírez Fotos aus jenen Tagen. Eines zeigt ihn als zwanzigjährigen Mechaniker für Ferrari. Neben ihm sein enger Freund Ricardo Rodríguez. Anfang der 1960er-Jahre wurde Rodríguez als potenzieller nächster Weltmeister gehandelt. Ein blutjunges Jahrhunderttalent. 1962 verunglückte er, gerade einmal 20 Jahre alt, tödlich nach (!) dem Training zum Großen Preis von Mexiko in einem Lotus-Climax auf dem Weg in die Box.

Auch Videos hat Ramírez auf seinem Smartphone. Auf einem rattert er gerade in einem über 60 Jahre alten Ferrari-Boliden aus der Box. "Es war ein sehr emotionaler Moment, nach so langer Zeit wieder in diesem Wagen zu sitzen", erzählt er. Er wäre auch selbst gern Formel-1-Pilot geworden. Es hat nicht geklappt. "Es fehlte das letzte bisschen."

Bei mir fehlen mehrere bisschen. Das kommt nach der Lichtmaschinenpanne recht deutlich ans Licht. Aber Jo Ramírez reagiert mit stoischer Ruhe auf meine verspäteten Fahrkommandos, die aus meinem Mund eher wie unsichere Empfehlungen klingen. Selbst als ich ihn falsch abbiegen lasse und wir als Letzte bei der zweiten Sonderprüfung ankommen, bleibt er ruhig. Selten hab ich mich so geschämt wie in diesem Moment. Ich bitte ihn um Entschuldigung dafür, der schlechteste Beifahrer zu sein, den er wohl in seinem Leben hatte. Er ließ es unkommentiert stehen. Ich bilde mir aber ein, für einen winzigen Sekundenbruchteil ein Lächeln bemerkt zu haben. Am liebsten wäre ich in der Ölwanne versunken.

Ein Porsche 912, Baujahr 1968
Jo Ramírez bestreitet die Ennstal-Classic in einem Porsche 912, Baujahr 1968
Ennstal Classic

Neue Ziele braucht der Mensch

Für die letzte Etappe definieren wir ein neues Ziel, auch weil langsam die Zeit knapp wird: Aufholen, was geht! Spätestens um 19.45, also gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit, in Gröbming sein. Wir fahren ja ohne Licht. Dort an der Tankstelle gibt es dann eine neue Lichtmaschine. Klingt einfach. Allerdings arbeitet mittlerweile nicht nur die Zeit, sondern auch die Tankuhr gegen uns. Zusätzlich schüttet es auf dem Weg in Richtung Nockalmstraße sieben verschiedene Sorten Regen und eine Ladung Hagelkörner auf den alten Porsche. So bekommt man aber direkt mit, worum es bei so einer Oldtimer-Rallye auch geht. Ums Erlebnis Autofahren abseits von technischem Schnickschnack. Alles kommt ungefilterter und direkter daher. Regentropfen und Sonnenstrahlen, Gerüche und Geräusche und natürlich Beschleunigungs- und Fliehkraft. Und wenn dabei ein Könner wie Jo Ramírez am Lenkrad sitzt und an den Pedalen werkt, werden selbst die engsten Serpentinen zum zentrifugalen Vergnügen.

Ein Cabrio-Fahrer schützt sich mit Schirmen gegen den Regen.
Bei widrigen Wetterumständen muss man schon mal erfinderisch werden.
Ennstal-Classic, Steering Media

Weder Kühe auf Passstraßen noch ich können ihn aus der Ruhe bringen. Bei geplanten Stopps gibt der Gentlemanfahrer, der aus einer längst untergegangenen Motorsport-Epoche stammt, geduldig Autogramme. Winken Zaungäste am Straßenrand unserem Porsche zu, winkt Ramírez immer zurück. Über die Jahrzehnte hat er dafür eine eigene Technik entwickelt, die sich am besten als lässiges Mittelding der Winkmethoden von Queen Elizabeth II. und Papst Franziskus beschreiben lässt. Ramírez spendet der Speedgemeinde den Cockpitsegen.

Ein einziges Mal ärgerte er sich dann aber doch, und ich bin froh, dass nicht ich, sondern der Porsche vor uns der Grund ist: "Der bremst ja an jeder Stelle falsch!" Wir sind trotzdem pünktlich in Gröbming an der Tankstelle. Zur Lichtmaschine gibt es noch für alle Fälle eine neue Batterie und einen Jumper dazu. Und für Jo Ramírez einen neuen Beifahrer für die übrigen zwei Rallye-Tage. Er nennt das übrigens einen "Co-Piloten-Cocktail". (Manfred Gram, 24.7.2023)