Kunden stehen an einem Geländer im Einkaufszentrum Lugner City in Wien.
Im beliebten Konsumkomplex Lugner City gibt es auch Lokale. Der nächtliche Besuch in einem von diesen hatte für eine 21-Jährige bedrohliche Konsequenzen.
Regine Hendrich

Wien – Man muss kein besonders feministisch denkender Mensch sein, um in der Wortwahl des 23-jährigen Herrn J. ein doch recht ausgeprägtes Besitzdenken zu erkennen. Der zweifach Vorbestrafte sitzt wegen Nötigung seiner Ex-Partnerin und "dauernder Sachentziehung" ihres Mobiltelefons vor Richter Roman Palmstingl – im Hintergrund der Geschichte steht offenbar ein Obsorgestreit. Wie J. die Sache sieht, scheint klar: Er spricht von "meinem Sohn" und "meinem Kind".

Von Sommer 2017 bis Anfang 2023 waren der Angeklagte und die zwei Jahre jüngere Frau zusammen, 2019 gab es das erste Betretungsverbot gegen den Selbstständigen, zur Zeit läuft wieder eines. Laut Darstellung der Frau, die in J.s Abwesenheit als Zeugin aussagt, habe er sich wenig um die Kindererziehung gekümmert, sondern neben dem Kleinen lieber als illegal eingestufte Pflanzen geraucht, während seine Mutter die Betreuung übernahm.

"Ich bringe euch um alle"

Anfang 2023 reichte es ihr, sie trennte sich vom Angeklagten, erzählt sie weiter. Zunächst habe es ganz gut funktioniert – da sie als Angestellte 40 Stunden arbeitete, war das Kind unter der Woche bei J. beziehungsweise seinen Eltern, am Wochenende bei ihr, schildert die von Sonja Aziz vertretene Frau dem Richter. Dann begann das Gezerre. Am 5. März soll es zu einem elektronischen Schriftverkehr gekommen sein, in dem die 21-Jährige drohte, das Jugendamt einzuschalten und die alleinige Obsorge zu beantragen. Die Reaktion des Angeklagten, die sie Palmstingl auf einem ausgedruckten Screenshot vorlegen kann: "Ich bringe euch um alle." Für den Staatsanwalt ist das eine versuchte Nötigung.

Der von Patricia Fitzal verteidigte J. weiß vor der Vorlage des Screenshots nicht mehr genau, ob er Derartiges von sich gegeben hat. Dann sagt der in Wien geborene Serbe dazu: "Vielleicht habe ich es im Streit geschrieben. Aus Wut, aber ich habe es nicht gemeint." Knapp zwei Wochen später, genauer am 18. März, will er den nächsten Anklagepunkt ebenso nicht so gemeint haben.

Nach J.s Darstellung war das Kind in dieser Nacht von Freitag auf Samstag bei seiner Ex-Partnerin. Plötzlich verständigten ihn Freunde, dass die Frau mit ihrer Cousine in einem Lokal in der Lugner City feierte. "Dann bin ich hingefahren, weil ich wissen wollte, was mit meinem Sohn ist", erklärt der Angeklagte. "Drinnen war es laut, da habe ich sie an der Hand gepackt, damit wir draußen reden, und habe sie rausgezogen." – "Was heißt, Sie ziehen sie raus? Wollte sie gehen?", interessiert den Richter. "Ich glaube nicht. Ihre Cousine hat sie an der anderen Hand gepackt, wir haben dann so hin- und hergezogen."

"Sie hat auch einige Hundert Kilo"

Zum Lift in die Tiefgarage, wo sein SUV parkte, sei die Frau aber freiwillig mitgegangen, beteuert der Angeklagte. Er bestreitet auch den Anklagevorwurf, dass er die 21-Jährige auf den Beifahrersitz gezerrt und die Türen versperrt habe. "Das Auto ist hoch. Da kann man vom Fahrersitz keinen hineinziehen", verteidigt J. sich. "Sie sehen nicht unkräftig aus", kommentiert Palmstingl die Körpermasse des Angeklagte diplomatisch. "Sie hat auch einige Hundert Kilo!", lacht der Angeklagte – eine Beschreibung, die sich beim Auftritt der Zeugin als falsch herausstellt.

Er habe sie jedenfalls dann nach Transdanubien zu ihren Großeltern gebracht, wo sie wohnte, erzählt J. weiter. "Wenn Sie wussten, dass die Frau bei den Großeltern wohnt: Haben Sie da nicht vermutet, dass das Kind in guten Händen ist?", wundert sich der Richter. "Die alte Frau kann gar nichts machen", äußerst sich der Angeklagte abschätzig über die Mutter seiner Ex-Partnerin.

Bei der Fahrt hätte man zunächst noch ruhig geredet, dann aber wieder zu streiten begonnen. "Sie hat gesagt, ich werde mein Kind nicht mehr sehen", da sei er wütend geworden. Die Folge: "Ich weiß nicht genau, wie, ich habe das Handy genommen und auf der Autobahn aus dem Fenster geschmissen", behauptet der Angeklagte. "Warum?", kommt der Richter nicht aus dem Staunen heraus. "Sie hat wieder diskutiert." – "Aber das ist ja auch gefährlich, wenn das einen Nachfahrenden trifft", merkt Palmstingl an. "Ich habe eh geschaut", versichert der Angeklagte.

"Es stinkt, was sie plant"

Er habe die Frau daheim aussteigen lassen und sei danach zurück in die Lugner City und schließlich zu sich heim gefahren. Genötigt habe er seine Ex-Partnerin ganz sicher nicht, J. ist überzeugt, dass sie sich mit der Anschuldigung nur bessere Karten im Obsorgeverfahren verschaffen möchte. "Es stinkt, was sie plant", bescheidet er dem Richter. Grundsätzlich sei es ihm nur um eines gegangen: "Warum sie fortgeht und mein Kind allein lässt."

Die 21-Jährige erzählt eine gänzlich andere Geschichte. Das beginnt schon damit, dass sie sagt, der Sohn sei an diesem Abend in J.s Obhut gewesen. "Mein Vater hatte einen Infekt, daher haben wir schon am Freitag beschlossen, dass ich ihn nicht holen soll", sagt sie. Sie besuchte das Kind nach der Arbeit bei J.s Familie, dann traf sie sich mit ihrer Cousine. Da sie den Angeklagten telefonisch nicht erreichen konnte, habe sie gegen 22 Uhr seine Schwester kontaktiert, die sagte, dass das Kind bei ihr sei.

Später, als sie mit ihrer Cousine dem Nikotinkonsum frönte, sei J. plötzlich aufgetaucht. "Er war aggressiv und hatte ganz rote Augen", behauptet sie. "Wie kannst du als Mutter fortgehen, das gibt es bei uns nicht!", habe er gesagt, sie als "Schlampe" beschimpft und der verängstigten zierlichen Cousine vorgeworfen: "Du machst aus meiner Frau eine Hure!" Es sei zum Wortgefecht gekommen, dann habe er sie am Arm gepackt und weggezerrt, sagt die Zeugin.

"Wo fahrst du hin ohne Führerschein?"

Sie hätten den ganzen Weg in die Garage gestritten, eigentlich wollte sie dann zurück ins Lokal gehen. J. habe sie aber ins Auto gezerrt und wohl die Zentralverriegelung betätigt – sie konnte die Tür jedenfalls nicht mehr öffnen, behauptet sie. "Wo fahrst du eigentlich hin ohne Führerschein?", habe sie ihn noch gefragt und ihn bei der nahen Kreuzung mit der Burggasse aufgefordert, sie aussteigen zu lassen. Er weigerte sich, da packte sie ihr Handy aus, um Hilfe zu organisieren. J. nahm ihr das Mobiltelefon jedoch weg, was er damit gemacht hat, wisse sie nicht, sagt die Zeugin.

Dass er es auf der Autobahn aus dem Fenster geworfen hat, glaubt sie aus zwei Gründen nicht: Erstens habe sie das nicht bemerkt. Und zweitens ortete sie das Gerät unmittelbar nach ihrer Ankunft via Internet etwa 40 Meter von ihrer Wohnung entfernt, am nächsten Tag dagegen nahe der cisdanubischen Adresse des Angeklagten, ehe es der Ortungsdienst nicht mehr anzeigte. Für das verschwundene Handy will sie 400 Euro, J. ist bereit, ihr die zu zahlen. Er kommt aus dem Nebenraum, in dem er ihre Aussage verfolgt hat, borgt sich vom im Zuseherraum sitzenden Vater den Rest aus und gibt es Privatbeteiligtenvertreterin Aziz.

Verteidigerin Fitzal zweifelt in ihrem Schlussplädoyer wie schon im Verhandlungsverlauf die Darstellung der Zeugin an. Sie ortet faktische Unmöglichkeiten wie das Hineinzerren in einen SUV und geht auch davon aus, dass die 21-Jährige sich gar nicht gefürchtet habe. Denn bezüglich der schriftlichen Nötigung vom 5. März habe die Zeugin selbst bei der Polizei gesagt: "Er ist einfach ein Vollidiot, den man nicht ernst nehmen kann." Bezüglich der Screenshots der Standorte des georteten Handys insinuiert sie eine Fälschung.

"Wirklich glaubwürdige Zeugin"

Richter Palmstingl sieht das nur zum Teil so. Die schriftliche Drohung spricht er zwar tatsächlich frei, da er sie als milieubedingte Unmutsäußerung wertet. Dass J. seine Ex aber nicht aus dem Auto aussteigen ließ, ist für ihn sehr wohl eine Nötigung, die dauernde Sachentziehung hat der Angeklagte ohnehin gestanden. Wobei er nicht nur die Screenshots für echt hält, sondern die 21-Jährige auch als "wirklich glaubwürdige Zeugin" lobt, die die Geschichte schlüssig und nachvollziehbar erzählt habe.

Bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Haft verurteilt Palmstingl den Angeklagten zu sechs Monaten bedingt, die beiden offenen Vorstrafen werden nicht widerrufen. Nach kurzer Beratung mit seiner Verteidigerin akzeptiert J. das, da der Staatsanwalt aber keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 24.7.2023)