Schild auf der Fassade des Landesgerichts für Strafsachen Wien
Ein Schöffengericht muss zu klären versuchen, was sich rund um den Drogentod einer 19-Jährigen ereignet hat.
APA / GEORG HOCHMUTH

Wien – In einem Punkt sind sich Staatsanwalt Wolfram Bauer und Verteidiger Markus Reinfeld einig: Den sensationslüsternen Medien ist nicht zu trauen. Daher verwenden beide zum Identitätsschutz in ihren Eröffnungsplädoyers nur den Vornamen einer 19-Jährigen, die im Dezember in einer Wohnung in Wien-Döbling an einer Überdosis Suchtmittel verstarb. Der unzeitige Tod der Jugendlichen ist für sich schon schlimm genug, ein Fall für den Schöffensenat unter Vorsitz von Martina Hahn ist er aber aus anderen Gründen. Der Wohnungsinhaber, der damals 17 Jahre alte Herr P., soll die junge Frau laut Anklage missbraucht haben, als sie drogeninduziert bereits bewusstlos war. Und sie, nachdem er Stunden später bemerkte, dass sie tot ist, im Stiegenhaus abgelegt haben.

Bauer konzediert, dass der angeklagte unbescholtene Österreicher "aus denkbar ungünstigen sozialen Verhältnissen" stamme. Seit er drei Jahre alt ist, ist er fremduntergebracht, zuletzt lebte er in einer Wohngemeinschaft einer sozialen Organisation. Trotz der traumatisierenden Kindheit hatte der Arbeitslose zu seiner Mutter aber ein gutes Verhältnis. Als die im Vorjahr starb, "wurde ihm sein Anker weggerissen", wie es Verteidiger Reinfeld formuliert. P.s Konsum illegaler Suchtmittel eskalierte: "Er hat sich regelmäßig weggeschossen", zitiert ihn sein Rechtsvertreter.

Zweitägige Feier mit Rauschmitteln

In der geerbten Wohnung der Mutter feierte der mittlerweile 18-Jährige regelmäßig mit Bekannten. So auch Anfang Dezember. Am Samstag, dem 3., begann man; konsumiert wurden Alkohol, Medikamente, Ecstasy, Haschisch und Kokain. "Es war ein ständiges Kommen und Gehen", beschreibt der Staatsanwalt die mehrtägige Zusammenkunft. Am Sonntag, dem 4. Dezember, brachte ein Freund des Angeklagten auch die 19-Jährige mit. Die konsumierte ebenso Suchtmittel und schlief kurzzeitig auch ein, ab 21 Uhr war der Teenager mit der ihm davor Unbekannten allein in der Wohnung.

So weit sind sich beide Seiten einig. Die Frage, die das Gericht in dem mindestens zweitägigen Prozess inklusive 14 Zeuginnen und Zeugen und Gutachtern zu klären versuchen muss: Hat P., wie die Staatsanwaltschaft behauptet, die Wehrlose sexuell missbraucht? Oder hat es sich um einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehandelt, wie der Verteidiger behauptet? Der Gerichtsmediziner geht davon aus, dass die 19-Jährige in den frühen Morgenstunden des 5. Dezember gestorben sein muss. In der Nacht auf Dienstag, den 6. 12., wurde ihre Leiche dann in dem Wohnhaus entdeckt.

Als Polizisten die Hausparteien befragten, leugnete P. zunächst, die Tote überhaupt zu kennen. Bei einer späteren Einvernahme behauptete er, sich drogenbedingt kaum mehr erinnern zu können – das Opfer sei plötzlich nackt gewesen und habe nur mehr geröchelt. Aus einem psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Peter Hofmann geht jedoch hervor, dass es für die Amnesie keinen medizinisch nachvollziehbaren Grund gebe und man daher von einer Schutzbehauptung ausgehen müsse.

Verteidiger sieht keine Beweise

Gesichert ist auch, dass P. am Montag mit einem Bekannten und einer Bekannten telefonierte und ihnen erzählte, dass sich die 19-Jährige nicht mehr rühre. Dem Bekannten trug er auf, die Rettung zu alarmieren, der legte sich stattdessen schlafen. Das habe aber ohnehin nichts am Schicksal der jungen Frau geändert, betont der Verteidiger: "Es war Stunden zu spät." Reinfeld macht auch klar, warum sein Mandant auf "nicht schuldig" plädiere, widerspricht sich dabei aber etwas. Einerseits hält er fest, dass nicht klar sei, wie P.s DNA in den Intimbereich der Toten gekommen sei, andererseits spricht er von einvernehmlichem Geschlechtsverkehr. Auch den Anklagepunkt "Imstichlassen einer Verletzten" in der 20-seitigen Anklageschrift sieht er nicht gegeben: Es handle sich schlicht um einen "sehr tragischen Tod im Drogenmilieu", der 18-Jährige habe aber nicht wissen können, dass die junge Frau sterben würde.

Für die Einvernahme des Angeklagten wird auf Antrag des Verteidigers die Öffentlichkeit ausgeschlossen, da der höchstpersönliche Lebensbereich des Angeklagten erörtert wird. Am Nachmittag sollen andere Partybesucher einvernommen werden, ein Urteil wird am 8. August erwartet. (Michael Möseneder, 25.7.2023)