Wien – "Andreas Babler, ein Fall von sozialistischer Wiederbetätigung": So betitelte Kolumnist Christian Ortner seinen Gastkommentar in der "Presse", der am 21. April 2023 in der Zeitung und am 20. April 2023 online erschienen ist. Aufgrund der Formulierung hatten sich daraufhin mehrere Leserinnen und Leser an den Presserat gewandt, weil sie eine Verletzung des Ehrenkodex für die österreichische Presse vermutet hatten.

Wie der Presserat am Dienstag mitteilte, hält das Selbstkontrollorgan die Formulierung noch für gerechtfertigt. Gleichzeitig übt er aber Kritik an der Wortwahl.

SPÖ-Chef Andreas Babler.
"Sozialistische Wiederbetätigung" ortet "Presse"-Kolumnist Christian Ortner bei SPÖ-Chef Andreas Babler.
APA/ROLAND SCHLAGER

Christian Ortner rechnete in der "Presse" mit dem SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler ab. Dieser zeige gerade, dass der Sozialismus eine gescheiterte Idee sei, die niemals sterbe. Der Autor hält fest, dass es keine Ideologie gebe – mit Ausnahme des Faschismus –, die so moralisch verrottet, wirtschaftlich ruinös und früher oder später zwingend mit der Verletzung von Menschenrechten verbunden sei wie der Sozialismus. Ortner kritisiert, dass sich Babler in "sozialistischer Wiederbetätigung" versuche.

"Wiederbetätigung" – und das am 20. April?

Mehrere Leserinnen und Leser hätten sich an den Presserat gewandt und kritisierten die Verwendung des Begriffs "Wiederbetätigung" für die Politik Bablers, informierte der Presserat. Zusätzlich wies ein Leser darauf hin, dass der Beitrag ausgerechnet am 20. April veröffentlicht worden sei, dem Geburtstag von Adolf Hitler – bei der Wortwahl "Wiederbetätigung" handle es sich somit um eine bewusste Provokation.

"Presse"-Chefredakteur versteht Kritik

Die Medieninhaberin nahm am Verfahren teil. In einer schriftlichen Stellungnahme führte Chefredakteur Florian Asamer aus, dass die Kolumnistinnen und Kolumnisten auf den Debattenseiten der "Presse" für ein breites politisches Spektrum stünden und größtmögliche Freiheit in der Auswahl und Behandlung ihrer Themen genießen. Dass der Beitrag ab dem 20. April online gewesen sei, habe nicht das Geringste mit Hitlers Geburtstag zu tun: Der Text sei in der gedruckten Ausgabe vom 21. April erschienen – an jenem Wochentag, auf den die Kolumne des Autors immer falle. Asamer räumte jedoch ein, dass er das Wort "Wiederbetätigung" im vorliegenden Zusammenhang nicht einsetzen würde; das habe er nach Erscheinen des Beitrags auch in der Redaktion klargestellt, schreibt der Presserat.

Presserat: Begriff aus dem Strafrecht

In der Begründung des Presserats heißt es: "Im vorliegenden Kontext hält der Senat den Begriff 'Wiederbetätigung' aus medienethischer Sicht gerade noch für gerechtfertigt." Und: "(Nationalsozialistische) Wiederbetätigung" ist ein Begriff des Strafrechts und betrifft jegliche Aktivität zur Erneuerung des Nationalsozialismus – die Verbreitung von NS-Gedankengut ist als Wiederbetätigung nach dem Verbotsgesetz strafbar. Der Senat berücksichtigt zwar, dass der Autor die Politik Bablers als 'sozialistische Wiederbetätigung' bezeichnet und es dadurch nicht unmittelbar zu einer Gleichsetzung mit dem Straftatbestand kommt. Dennoch übt der Senat an dem Wortspiel des Autors Kritik: Zum einen ist sozialistische Politik in Österreich eben gerade nicht strafbar, zum anderen geht damit auch eine gewisse Relativierung des eigentlichen Straftatbestands der NS-Wiederbetätigung einher. Es wäre daher vorteilhaft gewesen, auf dieses Wortspiel zu verzichten." (red, 25.7.2023)