Eine Frau mischt Borax in ein Wasserglas
Eine Tiktokerin erklärt, wie sie ihr Trinkwasser mit Borax versetzt.
Screenshot Tiktok

"Ich bin auf den Borax-Zug aufgesprungen", sagt eine junge Frau, während sie genüsslich ihre Cornflakes löffelt. Eine andere Dame kippt eine großzügige Menge Borax, ein weißes Pulver, in ihren Pool. Sie habe schon Unsummen im Fachgeschäft ausgegeben, um den richtigen pH-Wert für das Wasser im Pool zu erreichen. Jetzt sei es Zeit für die "natürliche" Lösung des Problems. Wieder eine andere Tiktokerin beruft sich auf die australische Impfgegnerin und selbsternannte Alternativmedizinerin Barbara O'Neill, die meinte, Borax sei ein natürliches Heilmittel. "Ich habe Borax noch nicht probiert, aber irgendwann mache ich es", schließt die Frau ihr Video.

Gefährlicher Trend

Auf der Videoplattform Tiktok ist um das angeblich natürliche Wundermittel Borax ein Hype ausgebrochen. Das weiße Pulver soll Entzündungen reduzieren, Arthritis behandeln und den Körper "entgiften". Der Trend erinnert an die Tide-Pod-Challenge aus dem Jahr 2018, als Jugendliche massenhaft Waschmitteltabs verzehrten. Borax oder Borsaures Natron wird häufig in Waschmitteln als Bleiche verwendet, kommt aber auch als Flussmittel beim Löten oder als Holzschutzmittel gegen Pilze zum Einsatz. Darüber hinaus dient die Substanz als Gift in Ameisenfallen.

Dennoch verwenden viele Nutzerinnen und Nutzer von Tiktok Borax aktuell als Nahrungsergänzungsmittel. Nicht dass es als solches in den USA oder Europa zugelassen wäre. In den USA ist die Substanz gänzlich verboten, in Europa gibt es nur einen Anwendungsfall, in dem Borax in der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden darf: zur Konservierung von echtem Kaviar. In den USA wird Borax als das verkauft, was es ist: als Bleichmittel für Wäsche. Das hält die Passagiere des Borax-Zugs aber nicht auf, das weiße Pulver mit Cornflakes, Smoothies oder im Morgenkaffee zu sich zu nehmen. Sie versprechen sich davon ein jüngeres Aussehen, weniger geschwollene Augen und die Linderung allerlei anderer Wehwehchen.

Natriumtetraborat kann aber zu schweren Ausschlägen, Hautreizungen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall führen. Größere Mengen können sogar Nierenversagen hervorrufen. Außerdem kann die Bleiche die Augen reizen sowie Nasen- und Rachenschleimhäute sowie die Lungen verletzen, wenn es eingeatmet wird, warnt etwa das Fachmagazin "WebMD". Außerdem steht Borax auf der Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe, weil es unter anderem zu schweren Missbildungen bei Embryos führen kann.

Verschwörungserzählungen

Das stört die Nutzerinnen und Nutzer von Borax wenig, den Ton geben hier Verschwörungstheorie-Anhängerinnen wie die eingangs erwähnte O'Neill an. In einem Video erklärte eine Tiktok-Nutzerin, sie gebe Borax in ihre Smoothies, weil "sie uns mit Chemtrails besprühen", wie "Ars Technica" berichtet. Andere haben behauptet, dass die unbewiesenen gesundheitlichen Vorteile von Borax absichtlich von Big Pharma im Rahmen einer Verschwörung unterdrückt werden, damit die Menschen weiterhin für teurere pharmazeutische Produkte zahlen. Als "natürlich" gilt Borax deshalb, weil es in der Natur vorkommt. Die Substanz entsteht bei der Verdunstung von Salzseen. In Europa gibt es Borax-Vorkommen etwa in Italien und der Ukraine. In den USA wird das Bleichmittel hauptsächlich in Kalifornien abgebaut.

Auch wenn der Borax-Zug in den USA seine Fahrt aufnahm, schwappt der Trend auch langsam auf Europa über, und auch deutschsprachige Tiktoker werben bereits für die gefährliche "Medizin". Ebenso hat sich eine Gegenbewegung gebildet, und viele Creators warnen auf der Plattform ausdrücklich vor der Verwendung des Bleichmittels als Nahrungsergänzungsmittel.

Dürftige Studien

Die Anhänger der gefährlichen Wunderkur berufen sich auf einige Studien in Zusammenhang mit Bor in Nahrungmitteln. Dabei wurde ein positiver Effekt von natürlichem Bor in der Nahrung, etwa in Hülsenfrüchten oder Nüssen, auf die Knochengesundheit angedeutet. Aber: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat Bor als nicht essenziellen, also lebenswichtigen Nährstoff eingestuft und sieht bisher in einer Nahrungsergänzung mit Bor keinen physiologischen, biochemischen Nutzen für den Menschen.

In den USA berichten Fachleute für Toxikologie und Gitftnotruf-Zentralen von ersten Fällen von Borax-Vergiftungen. Das National Capital Poison Center schildert den Fall eines Mannes, der Tage nach einem Borax-Bad plötzlich an schweren Hautreizungen und Schwellungen litt, sodass er in die Notaufnahme gebracht werden musste.

Selbst der Hersteller der populärsten Marke der Bleiche, das "20 Mule Team" in den USA, warnt mittlerweile vor einer anderen Verwendung als für Wäsche: "Nicht innerlich einnehmen. Bei Verschlucken den Mund mit einem großen vollen Glas Milch oder Wasser ausspülen. Kein Erbrechen herbeiführen. Sofort einen Arzt aufsuchen", steht auf der Verpackung. (pez, 26.7.2023)