Seine Olypia Animation
Olympia 2024
Der Einzug der Nationen nach den Vorstellungen der Organisatoren: 10.000 Athletinnen und Athleten sollen auf 120 Schiffen die Seine flussabwärts defilieren
Paris 2024

Die Seine hatte bisher keinen guten Ruf. Der in den Vogesen entspringende Fluss, der durch das Pariser Becken mäandert und sich bei Le Havre in den Ärmelkanal ergießt, gilt als verstädtert, schmutzig und seit der Überschwemmung von Paris im Jahr 1910 auch als kapriziös. Kein Vergleich zum majestätischen Königsfluss Loire, in dessen Tal sich die Schlösser aneinanderreihen.

Jetzt kommt der französische Hauptstadtfluss endlich zu Ehren. Am 26. Juli 2024 wird er Schauplatz der "grandiosesten Eröffnungsfeier in der olympischen Geschichte". Das prophezeit der Cheforganisator der Pariser Sommerspiele, Tony Estanguet, seines Zeichens dreifacher Olympiasieger im Kanu.

Zum ersten Mal überhaupt findet die Zeremonie nicht in einem Sportstadion statt. Sie wird sich vielmehr über sechs Flusskilometer erstrecken, entlang einer Szenerie mit weltberühmten Monumenten wie der Kathedrale Notre-Dame, dem Louvre oder dem Eiffelturm. Die Hauptrolle gebührt der Seine: Sie wird eine Armada von rund 120 Schiffen mit 10.000 Athletinnen und Athleten flussabwärts transportieren – ein Schiff pro Nation.

Alle Pariser Flussoperateure stellen ihre schwimmenden Vehikel zur Verfügung – angefangen von den touristischen "Bateaux mouches" mit teilweise mehr als 400 Sitzplätzen bis hin zum elitären Verband Yachts de Paris. Ihr Auftritt wird auf hunderten Metern die ganze Breite der Seine einnehmen. Er soll "ein Bild der olympischen Einheit verkörpern und in die Welt hinaustragen", sagt Estanguet.

Armee steht bereit

An den Ufern werden geschätzt 500.000 Menschen erwartet, via TV dürfte ein Milliardenpublikum dabei sein. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo verhehlt nicht, dass das Event "eine organisatorische und natürlich auch sicherheitstechnische Herausforderung" sei. 35.000 Wachleute und Polizisten sollen den Zugang zu den Ufern kontrollieren. Die jüngsten Vorstadtkrawalle, aber auch (vereitelte) Terroranschlagspläne für die Fußball-EM 2016 haben aufgezeigt, wie anfällig Pariser Großanlässe sind. Innenminister Gérald Darmanin prüft wie London für Olympia 2012 den Einsatz der Armee, sofern der chronische Mangel an Sicherheitspersonal nicht behoben sein sollte.

Als zivile Helfer haben sich bei "Paris 2024" hingegen schon jetzt mehr als 300.000 Freiwillige für 45.000 ehrenamtliche Posten gemeldet. Und zwar bis nach Tahiti im Südpazifik, wo die Surfwettkämpfe stattfinden. Fußballspiele werden zudem in Städte wie Bordeaux oder Nizza ausgelagert. Vor Marseille finden Segelregatten statt, in Lille Basketballspiele.

Illustre Kulissen bieten im Großraum Paris das Schloss Versailles (Reiten), der Invalidendom (Bogenschießen), der Grand Palais (Fechten) oder die Esplanade unter dem Eiffelturm (Beachvolley). Dank ihrer langjährigen Erfahrung mit der Tour de France wissen die Kameraleute, wie sie das Reiseland Frankreich als Bilderbuch präsentieren können.

Auch die Seine behält während der gut zweiwöchigen Spiele eine Rolle: Distanzschwimmen und das Schwimmen des Triathlons werden im Stadtfluss abgewickelt. In Erinnerung wird damit ein Versprechen des früheren Staatschefs Jacques Chirac gerufen. 1990 hatte er als Pariser Bürgermeister verkündet, "binnen drei Jahren und vor Zeugen" in der Seine schwimmen zu wollen. Die Ankündigung wurde ein Mythos, sie hat sich nie erfüllte.

Seine Animation
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Mehr als 500.000 Menschen werden für die Eröffnungsfeier an den Flussufern erwartet
Paris 2024

Seither hat sich die Wasserqualität verbessert. Davon soll die Bevölkerung profitieren: An drei Orten im Pariser Seine-Bogen – Bercy, Grenelle-Brücke, Marais auf der Höhe der Ile Saint-Louis – haben Bauarbeiten begonnen, um dort ab Sommer 2025 das Baden zu ermöglichen. Voraussetzung ist, dass es jeweils am Vortag nicht zu stark geregnet hat. Regenwasser vermischt sich nämlich mit Fäkalien und anderen Verschmutzungen der Kanalisation und wird dann in die Seine abgelassen. Hidalgos Regierung hat deshalb mehrere 30 Meter tiefe Betontanks mit einem Fassungsvermögen von je 50.000 Kubikmetern bauen lassen. Ihre Aufgabe ist es, das Regenwasser aufzunehmen. Das soll "saubere" olympische Bewerbe und ab 2025 Baden in Paris möglich machen. Die Kosten belaufen sich auf immerhin 1,4 Milliarden Euro.

Budget schon überzogen

Das eigentliche Olympiabudget für "Paris 2024" ist mit 6,2 Milliarden Euro geringer als für London 2012 oder Tokio 2020. Es soll aber laut französischen Medien schon um mehr als eine Milliarde überschritten sein. Und das trotz der teilweise hohen und weithin kritisierten Eintrittspreise für zehn Millionen Besucherinnen und Besucher.

Der Baufahrplan weist vor allem im "Banlieue-Departement" Seine-Saint-Denis, wo auch das olympische Dorf entsteht, Rückstände auf. Das verschärft noch Spannungen im Organisationskomitee, die im Mai offenbar wurden, als die Präsidentin Brigitte Henriques, eine Ex-Fußballerin, überraschend zurücktreten musste. Im Juni hat die Pariser Finanzermittlung PNF zudem mehrere Hausdurchsuchungen wegen dubioser Auftragsvergaben vorgenommen. Kein Ruhmesblatt für Spiele, die Estanguet als "exemplarisch" angekündigt hatte.

Auch im sportlichen Bereich läuft nicht alles rund. Bis heute ist unklar, ob russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler trotz des russischen Aggressionskrieges an den Spielen mitmachen können. Staatschef Emmanuel Macron verlangt ihren Ausschluss, der als Putin-freundlich geltende Olympier Thomas Bach will ihre Beteiligung zulassen, jedoch ohne Flagge.

Aber da ist ja noch die Seine. Sie soll die unschönen, dem Olympiageist widersprechenden Probleme durch ihren flamboyanten Auftritt vergessen machen. (Stefan Brändle aus Paris, 26.7.2023)