Laurence Boone mit einer Mappe unterm Arm. Im Vordergrund ein Schirm.
Die französische Europastaatssekretärin Laurence Boone.
APA/AFP/LUDOVIC MARIN

Wer sich für Demokratie in der Welt einsetze, könne nicht nur auf Ökonomie und freien Handel bauen. Das war eine der zentralen Thesen eines Vortrags, den Frankreichs Europastaatssekretärin Laurence Boone am Dienstag an der Wirtschaftsuniversität Wien hielt. Zielpublikum waren neben Studierenden der WU auch deren Kolleginnen und Kollegen aus neun Partneruniversitäten, die derzeit einen Studienaufenthalt in Wien absolvieren. Ebenso wenig könne sich Europa auf die transatlantischen Beziehungen verlassen, wenn es um die eigene Sicherheit geht, erklärte Boone und plädierte für mehr europäische Souveränität und strategische Autonomie: "Wir müssen unser Schicksal in unsere eigenen europäischen Hände nehmen."

Die EU sei lange Zeit vor allem als ökonomische Union gesehen worden, werde nun aber mehr und mehr zur politischen Union. "Wenn wir eine geopolitische Kraft sein wollen, dann müssen wir auch die Kapazitäten haben, um uns selbst zu verteidigen", so Boone. Lange Zeit habe man in Europa nicht an Krieg gedacht, sagte sie in Anspielung an den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. "In Rumänien aber konnte man erst am Montag sehen, wie ganz in der Nähe der Grenze ukrainische Donauhäfen bombardiert wurden. Der Krieg ist also Realität." Ohne deshalb die Nato zu vergessen, müsse Europa daher auch seine eigenen Verteidigungsfähigkeiten ausbauen.

Westbalkan und Ukraine

Der zweite Pfeiler, der für die Stärkung der geopolitischen Kraft Europas nötig sei, sei die Erweiterung der EU: "Ich glaube, wir können nicht wirklich sagen, ein sicherer Kontinent zu sein, wenn wir die Westbalkanstaaten oder die Ukraine von der EU fernhalten." Ohne Annäherung an die Union würde es immer wieder Versuche geben, diese Länder näher an Russland heranzuführen. Gerade Frankreich galt allerdings lange als Staat, der der Erweiterung skeptisch gegenübersteht. Inzwischen aber habe Paris zu diesem Thema laut Boone einen "positiveren, dynamischeren und proaktiveren" Zugang als früher: "Wir müssen die Erweiterung zu einem Erfolg machen."

Erst Anfang vergangener Woche war Boone deshalb mit ihrer deutschen Amtskollegin Anna Lührmann und ihrem polnischen Gegenüber Szymon Szynkowski vel Sęk in Skopje, der Hauptstadt des Kandidatenlandes Nordmazedonien, zu Gast. Ziel der Mission war es, Unterstützung zu zeigen für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen. Diese sind allerdings an eine Verfassungsänderung geknüpft, die die Rechte der bulgarischen Minderheit Nordmazedoniens stärken soll. Der Haken an der Sache: Die Verfassungsänderung muss im Parlament mit Zweidrittelmehrheit abgesegnet werden, die konservative Opposition des Landes stemmt sich aber dagegen.

Die Reise der Vertreterinnen und Vertreter des sogenannten Weimarer Dreiecks, dazu gehören eben Frankreich, Deutschland und Polen, erfolgte übrigens nur wenige Tage nach einem Besuch der Außenminister der Austerlitz-Gruppe, die wiederum aus Österreich, Tschechien und der Slowakei besteht: Alexander Schallenberg und seine Amtskollegen Jan Lipavský und Miroslav Wlachovský hatten erst am 13. Juli Skopje besucht – und zwar in ganz ähnlicher Mission.

Solide wirtschaftliche Basis

Gleichwohl könne man laut Boone keine große politische Transformation gestalten, ohne auch eine solide ökonomische Basis zu haben: "Die EU hat heute 440 Millionen Bürgerinnen und Bürger sowie das weltweit größte Handels- und Investitionsvolumen. Wir haben also die Voraussetzungen, eine sehr starke Wirtschaftsmacht zu sein, und wir müssen weder den Wettbewerb mit China noch den mit den USA fürchten." Um langfristig konkurrenzfähig zu sein, müsse Europa aber nach einer unabhängigeren und nachhaltigen Energieversorgung sowie in technologischen Schlüsselbereichen wie Chipherstellung oder Medizinproduktion nach industrieller Souveränität streben.

Zudem sei es auch im Außenhandel möglich, auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Kriterien zu setzen, ohne dabei wirtschaftlich ins Hintertreffen zu geraten: Gerade wenn Europa die strengsten Standards setzt, würden sich Hersteller, die auf den europäischen Markt drängen, häufig nach diesen richten. Andernfalls müssten sie je nach Absatzmarkt zu verschiedenen Standards produzieren, was erst recht wieder zu höheren Kosten führte, so Boone.

Bei all dem müsse Europa, wenn es seine neue Rolle in der Welt finden will, freilich auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als zentrale Kriterien im Auge behalten: Unabhängigkeit der Medien, Unabhängigkeit der Justiz, Kampf gegen Korruption und nicht zuletzt eine starke demokratische Opposition: All das brächte zwar viele Debatten über die Zukunft mit sich, erfordere viele Regeln und erscheine manchen vielleicht als verworren und schwer verständlich, meint Boone. "Aber es ist die Basis einer funktionierenden Demokratie." (Gerald Schubert, 25.7.2023)