Die sechste Generation mit der Kennung E-Klasse wächst nur geringfügig. Vorne zitiert die Limousine das Vieraugengesicht diverser Vorgängermodelle.
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"Ich stehe diesmal ständig unter Strom - mal mehr, mal weniger", erklärt die E-Klasse im fiktiven Interview dem STANDARD-Autor Andreas Stockinger.

STANDARD: Der deutsche Philosoph Odo Marquard hat einmal gesagt: Zukunft braucht Herkunft. Damit haben Sie keine Probleme. Es gibt in Ihrem Haus kaum eine traditionsreichere Baureihe, allein jene mit der Kennung "E" reicht nun sechs Generationen zurück, ja man könnte die Spur Ihrer Ahnen bis 1926 zurückverfolgen.

E-Klasse: Stimmt, und allein nach dem Krieg wurden 16 Millionen davon verkauft, mehr als von jedem anderen Typ meiner Herkunft. Besonders stolz bin ich auf meine Vorgänger "Strich-Acht" (W 114, 1969) und W 123 (1976). Beim mir treffen sich Tradition und Moderne.

Ahnengalerie, von links nach rechts: "Ponton"-Limousine (W 120/W 121), die "Heckflosse" (W 110), "Strich-Acht" (W 114/W 115) und die Baureihen 123, 124, 210, 211 und 212. Die jüngste Generation (Baureihe 213, seit 2016) hat das Foto-Shooting geschwänzt.
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STANDARD: Weil Sie gerade den W 123 erwähnen: Das war ein Auto wie für die Ewigkeit gebaut. Das kann man bei den aktuellen Nachfahren nicht gerade behaupten.

E-Klasse: Ja meine Güte, die viele Elektronik heute ist halt fehleranfälliger, und einsparen muss man auch irgendwo, schließlich wollen unsere Aktionäre großzügig bedacht werden.

STANDARD: Aha – ich dachte immer, vorrangig ginge es um die Zufriedenheit Ihrer Käuferinnen und Käufer, aus der heraus sich dann von selbst eine attraktive Börsen-Performance ergäbe.

E-Klasse: Seien Sie nicht naiv, Kapitalmärkte funktionieren heute ganz anders.

STANDARD: Ihr Aussehen verdanken Sie Chefdesigner Gorden Wagener. Welche Kritikpunkte möchten Sie an ihn adressieren?

Mercedes-Designchef Gorden Wagener vor der Studie "Vision EQXX".
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E-Klasse: Gar keine. Mich hat er ja sehr fesch und elegant gestaltet, was bei manchen meiner Verwandten, speziell denen mit EQ vorne, nicht immer der Fall ist. Dass er bei mir vorne die vier Augen diverser meiner Vorgänger zitiert und hinten vier Mal unseren Leitstern zum Leuchten bringt, rührt mich sehr.

STANDARD: Ihre Mutter in Stuttgart betont, Sie seien sauberer und effizienter aufgestellt als alle Ihre Vorfahren. Können Sie das kurz erläutern?

Der Standard

E-Klasse: Ich stehe diesmal ständig unter Strom. In welcher Antriebskonfiguration auch immer Sie mich ordern: 48-Volt-Mildhybrid als Basis, obenauf Plug-in-Hybrid, kurz: PHEV.

STANDARD: Wie sieht das konkret aus? Gibt es Sie nur mehr mit vier Zylindern?

E-Klasse: Nicht doch. Sie können mich bald nach Marktstart auch mit Reihensechszylinder haben, mit 280 kW (381 PS), E 450 4matic steht dann auf meinem Namensschild. Insgesamt können Sie aber wählen aus letztlich drei 48-Volt-Mildhybriden – zwei Benziner, ein Diesel – und drei PHEVs – zwei mit Ottomotoren, einer mit Selbstzünder. Elektrisch fahren Sie mich damit bis zu 115 Kilometer.

Im Antriebskapitel ist auch wieder ein Diesel-Plug-in-Hybrid vorgesehen, mit 230 kW Systemleistung und bis zu 101 km E-Reichweite.
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STANDARD: Erstmals gibt es Sie auch mit Hinterachslenkung, mit 4,5 Grad maximalem Einschlag. Dabei sind Sie gegenüber dem Vorgänger kaum gewachsen, in der Länge nur um einen Zentimeter, auf 4,95 m, beim Radstand um zwei.

E-Klasse: Ja, aber Sie sind mich doch gefahren. Ich bin damit viel wendiger als früher. Ich habe Ihnen und Ihrem Kollegen Detlev S. beim Fahren zugehört, Sie waren des Lobes voll.

STANDARD: Von Datenschutz halten Sie wohl wenig. Anderes Thema:Bei den PHEVs war bisher eine hässliche Stufe im Kofferraum.

E-Klasse: Die ist jetzt weg. Bin ich froh – bei PHEV schrumpft halt mein Ladevolumen von 540 auf 370 Liter. Nur bei meinen Geschwistern mit Rucksack, beim T-Modell, ist noch eine ganz kleine Schwelle an der Ladekante.

Der Kombi, der bei Mercedes T-Modell heißt, ist gleichzeitig mit der Limousine startbereit, nämlich ab Oktober.
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STANDARD: Apropos T-Modell: Sie werden erneut mehrere Geschwister haben, darunter eines mit zwei Türen, eines mit freiem Blick zum Himmel, eins mit besonders viel Platz – eben das T –, davon sogar den rustikalen Bruder All-Terrain. Gibt es wieder eine Tendenz zur großen Familie?

E-Klasse: Dieser Trend ist bei uns nicht neu, er unterstreicht aber meine Bedeutung.

Netter Designgag: In den Heckleuchten zitiert die E-Klasse vier Mal den Mercedes-Stern.
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STANDARD: Andererseits hört man, Sie hätten keinen Wunsch nach eigenen Nachfahren, sofern nicht aus Brüssel ermunternde Zurufe erfolgen – sollte Ihre Familie mit dieser sechsten Generation tatsächlich von der Bühne verschwinden?

E-Klasse: Wie Sie wissen, werden meine Cousins und Cousinen von der Elektriker-Fraktion, Stichwort EQ-Modelle, die Familientradition fortführen. Aber wie gesagt: Sollte die Politik während meiner Lebenszeit durchblicken lassen, dass sie gegen die Prinzipien meines Antriebs doch nichts einzuwenden hat, überlege ich mir die Sache gerne.

STANDARD: Noch gilt das Familienplanungsprinzip zweieiiger Zwillinge: Ihr Elektro-Bruder EQE steht auf einer E-Plattform, Sie auf einer für Verbrennungsmotoren. Zukunftsweisend?

E-Klasse: Die einen sagen so, die anderen so. BMW etwa sieht das momentan noch anders.

STANDARD: Und wie steht es um die große weite Welt, die auf den aus der Fischerei kommenden Begriff Vernetzung hört?

Weltneuheiten: Die Kamera oben mittig erlaubt Videokonferenzen, und die E-Klasse bietet sogar ein "Anti-Reisekrankheits-Programm" an, damit niemandem mehr schlecht wird vom Fahrstil der Person am Volant.

E-Klasse: Haben Sie die kleine Kamera oben inmitten des Armaturenträgers gesehen? Damit können sie jetzt weltweit erstmals Selfies machen oder an Videokonferenzen teilnehmen.

STANDARD: Das ist doch aber brandgefährlich während der Fahrt ...

E-Klasse: ... da hören Sie auch nur die Tonspur. Bild wird bei stehendem Fahrzeug zugeschaltet. Das hat nicht mal unser protziger Vetter, die S-Klasse. Und nennen Sie mich nicht Business-Bomber ... Zudem verfüge ich über eine neue Elektronikarchitektur, da finden die Rechenfunktionen statt in bisher getrennten Domänen in einer einzigen Recheneinheit statt.

STANDARD: Können Sie uns abschließend noch was zum Thema autonomes Fahren berichten?

E-Klasse: Klar doch. Wenn Sie das Navi aktiviert haben, wechselt mein aktiver Spurwechsel-Assistent jetzt selbsttätig die Spur auf der Autobahn oder nimmt die Ausfahrt. Bisher mussten Sie dazu noch den Blinker betätigen – ab 2024 mache ich das ganz automatisch