Ein Arzt im weißen Kittel und mit Stethoskop um den Hals sitzt an einem Tisch. 
Obwohl beide den Eid des Hippokrates abgelegt haben, ging es in einer "Arztfamilie" recht rabiat zu, weshalb nun das Strafgericht zuständig ist.
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Wien – Dass Gewalt in der Familie in allen gesellschaftlichen Schichten vorkommt, zeigt sich wieder einmal beim Prozess gegen einen 33-jährigen Mediziner. Staatsanwältin Anna-Maria Wukovits wirft dem Akademiker vor, dass er im Mai seinen Vater, ebenso einen renommierten Arzt, rund sechs Stunden lang in dessen Heizungskeller gesperrt hat. Für diese Freiheitsentziehung drohen dem unbescholtenen Österreicher bis zu drei Jahre Haft, er und seine Verteidigerin Astrid Wagner hoffen allerdings auf eine diversionelle Erledigung durch Richter Stefan Renner.

"Es ist eine unschöne Geschichte, aber die Familie hat sich versöhnt", gibt Wagner in ihren Eröffnungsworten bekannt, Hintergrund sei ein "innerfamiliärer Konflikt." Auch der Angeklagte bekennt sich kurz und knapp schuldig. "Stimmt es, dass Sie Ihren Vater sechs Stunden eingesperrt haben, wie die Staatsanwältin sagt?", will Richter Renner von ihm wissen. "Ja. Aber ich habe ihm angeboten, ihn rauszulassen", lautet die etwas kryptische Antwort.

Doch wie ist es dazu gekommen? "Mein Vater hat mich schon mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass ich die Arbeitnehmerveranlagung machen soll", sagt der nach eigenen Angaben 2.500 Euro netto verdienende Angeklagte. "Er hat mir auch mehrmals angeboten, dass ich seine Steuerberaterin dafür kontaktieren kann." Der 33-Jährige wollte es selbst probieren – und scheiterte. "Ich bin mit der Erklärung halbfertig geworden. Dann habe ich bei Finanzonline angerufen, um mir weiterhelfen zu lassen. Um 17 Uhr wurde dort aufgelegt, und ich habe meinen Vater angerufen. Wir haben kurz gestritten, dann bin ich zu ihm gefahren."

"Ich bin nicht wütend hingefahren"

"Waren Sie da wütend?", interessiert den Richter. "Ich bin nicht wütend hingefahren. Er wollte mir nicht helfen, ich war der Meinung, dass ich seine Hilfe dringend brauche." Eigentlich wollte er von seinem Vater die Nummer der Steuerberaterin, da er irrigerweise annahm, dass eine Frist knapp vor Ablauf stehe. Der Vater wollte ihm die Information nicht geben. "Er hat gesagt, er hat sein Handy im Fitnesscenter vergessen, dabei hat er zehn Minuten vorher mit mir telefoniert!", erzählt der Sohn. Er rief also neuerlich Vaters Nummer an, einen Meter entfernt klingelte das Mobiltelefon auf dem Schreibtisch. "Als ich dann seinen Laptop nehmen wollte, ist er aufgesprungen und auf mich losgegangen", behauptet der Angeklagte.

Der Vater sei drei- oder viermal auf ihn losgegangen, beim fünften Mal habe der Ältere ihn geschlagen. "Da habe ich aus Reflex zurückgeschlagen", verteidigt sich der Angeklagte. Der Reflex muss recht lange gedauert haben: Beim Vater wurden später im Spital ein Nasenbeinbruch, ein Hämatom an der Ohrmuschel sowie Schürfwunden unter dem Auge und auf der Stirn festgestellt. "Dann habe ich gesagt: 'Reicht es jetzt?', und er hat geantwortet: 'Es reicht.' Dann habe ich gesagt, er soll in den Keller gehen."

Sein Vater sei freiwillig vor ihm die Treppe in den Heizungskeller hinabgestiegen und in den Raum gegangen, der Angeklagte schob eine Waschmaschine und ein Regal vor die Tür und klemmte eine Bratpfanne so ein, dass sich die Klinke nicht mehr bewegen ließ.

Nasenbeinbruch nicht erkannt

Er habe sich aber durchaus um den Vater gekümmert, betont der 33-Jährige. "Ich habe ihm Essen, Trinken, einen Schlafsack und Eis gebracht und ihn medizinisch begutachtet", versucht der Angeklagte Sympathiepunkte zu gewinnen. Bei Staatsanwältin Wukovits sammelt er keine: "Sie sind Arzt. Und Sie sagen jetzt, Sie haben nur die Abschürfungen gesehen und den Nasenbeinbruch nicht erkannt?", fragt die Anklägerin. Der Angeklagte bleibt dabei – er sei nur von leichten Verletzungen ausgegangen.

Die zentrale Frage stellt dann Richter Renner: "Warum sperren Sie Ihren Vater in den Keller?", ist er ratlos. Er hört eine lange zurückliegende Geschichte als Antwort. "Vor 16 oder 17 Jahren riefen meine Eltern die Polizei und ließen mich auf den Rosenhügel (heute die Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Klinik Hietzing, Anm.) bringen. Die Sorge war, dass ich wieder auf den Rosenhügel komme", meint der Angeklagte dazu.

Aus seiner Sicht war die Einweisung ungerecht. "Meine Schwester und ich hatten Zeitslots am Computer. Sie wollte nicht gehen, wir begannen zu streiten. Dann kam mein Vater, zog die Tastatur ab und schlug sie mir auf den Kopf", behauptet der Angeklagte. "Aber warum wurden Sie dann eingeliefert? Ich habe etwas von fliegenden Messern im Akt gelesen?", reicht dem Richter die Erklärung nicht. "Das stimmt nicht. Ich hatte ein Messer in der Hand. Das war am nächsten Tag", will der Angeklagte die Sache nicht vertiefen.

Angeklagter mittlerweile in Therapie

Fünf bis sieben Jahre nach der Einweisung habe es wenig Kontakt zum Vater gegeben, zuletzt wurde es wieder mehr, sagt der 33-Jährige auch. "Das Verhältnis war super!", ist er überzeugt. Aufgearbeitet hatte er seinen Groll aber nie. "Aber Sie sind doch Arzt, Sie müssen doch wissen, dass das wichtig ist?", wundert sich auch Renner. "Ich bin davon ausgegangen, dass es gemeinsam mit meinen Eltern aufgearbeitet werden muss, aber die haben sich immer geweigert", moniert er. Mittlerweile besuche er aber wöchentlich eine Psychotherapie. Ein psychiatrischer Gutachter diagnostizierte bei dem Mann eine Anpassungsstörung, aber keine schwerwiegende psychische Erkrankung – und ist sich sicher, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen ist.

Ganz nachvollziehen kann der Richter daher noch immer nicht, warum der Angeklagte gerade den Heizungskeller als Ort der Freiheitsentziehung gewählt hat. "Ich wollte nicht nochmal geschlagen werden, ich wollte nicht mehr schlagen, und ich wollte nicht auf den Rosenhügel", fasst der Angeklagte es nochmals zusammen. In der Tatnacht schrieb er jedenfalls seiner im Ausland urlaubenden Mutter eine kryptische Botschaft, die sie so alarmierte, dass sie die Polizei in Wien verständigte. Diese nahm den Sohn kurzfristig fest, befreite den Vater und brachte ihn ins Krankenhaus. "Muss ich mir Sorgen machen, dass das in Zukunft wieder passiert?", fragt Renner den Angeklagten. "Nein."

"Haben Sie sich schon einmal bei Ihrem Vater entschuldigt?" – "Ja." – "Haben Sie die Entschuldigung angenommen?", fragt der Richter den im Saal sitzenden älteren Mann, der von seinem Recht Gebrauch macht, als Verwandter die Zeugenaussage zu verweigern. "Ja. Wechselseitig", lautet die knappe Antwort.

"Spezieller Fall" ermöglicht Diversion

Während Staatsanwältin Wukovits eine Diversion aufgrund der Schwere der Vorwürfe zunächst nicht befürwortet, lässt sie sich vom Richter schließlich doch überzeugen. Er stellt das Verfahren gegen eine Geldbuße in Höhe von 7.000 Euro vorläufig ein. "In diesem speziellen Fall sieht das Gericht eine Diversion gerade noch als möglich", begründet Renner seine Entscheidung. "Das heißt aber nicht, dass man generell eine Diversion bekommt, wenn man jemanden in den Keller sperrt", meint er in Richtung der beiden anwesenden Medienvertreter. Auch der Angeklagte ist mit der diversionellen Erledigung einverstanden. "Ich hoffe, dass ich Sie nie wieder sehe", schärft der Richter dem erleichterten Angeklagten am Ende noch ein. (Michael Möseneder, 27.7.2023)