Günther Steiner mit einem Headset.
Günther Steiner hat sich zur Kultfigur der Formel 1 entwickelt.
IMAGO/Andy Hone

Seit sechs Rennen punktlos, in der Konstrukteursweltmeisterschaft vor dem Grand Prix von Belgien am Sonntag in Spa-Francorchamps (15 Uhr, Servus TV) nur auf Rang acht – und doch ist dem US-Team Haas auch in den Ardennen überproportional hohe Medienaufmerksamkeit gewiss. Der Garant dafür ist Teamchef Günther Steiner. Der 58-jährige Südtiroler hat sich einen Kultstatus in der Formel 1 erarbeitet. Der Meraner ist nie um einen Spruch verlegen, sagt, was er denkt – nicht immer jugendfrei. Das wirkt in einer von Medientrainings dominierten Welt erfrischend.

Ein Serienstar und Buchautor

Bestens dokumentiert ist das in der Netflix-Serie Drive to Survive. Als seine Piloten Kevin Magnussen und Romain Grosjean etwa 2018 in Melbourne nach verpatzten Boxenstopps auf den Rängen vier und fünf liegend ausfielen, ließ Steiner in einem Telefonat mit Teambesitzer Gene Haas Dampf ab: "Wir hätten wie Rockstars aussehen können. Doch jetzt stehen wir wie Vollidioten da." Nach einer Kollision in Silverstone 2019 erhielten beide Fahrer eine Standpauke. Die Anzahl der F-Wörter in diesem Gespräch war höher als die Zahl der Rennsiege von Max Verstappen in dieser Saison.

Der heutige Ferrari- und damalige Alfa-Romeo-Teamchef Frederic Vasseur (links) und der Formel-1-Projektleiter von Reifenhersteller Pirelli, Mario Isola (rechts), dienten beim Grand Prix in Austin im Oktober 2022 als Model für Steiner-Merchandise. 
Der heutige Ferrari- und damalige Alfa-Romeo-Teamchef Frederic Vasseur (links) und der Formel-1-Projektleiter von Reifenhersteller Pirelli, Mario Isola (rechts), dienten beim Grand Prix in Austin im Oktober 2022 als Model für Steiner-Merchandise.
APA/AFP/GETTY IMAGES/CLIVE MASON

Mittlerweile verkauft Haas mit Steiners Sprüchen bedruckte T-Shirts. Die große Nachfrage ließ den Webshop am ersten Tag zusammenbrechen. Steiners Tagebuch Surviving to Drive über die Saison 2022 war zwischenzeitlich auf Platz eins der Sunday Times-Bestsellerliste. "Ich rede nicht lange um den heißen Brei herum. Das ist mein Charakter", sagt Steiner dem STANDARD. "Es gibt Leute, denen gefällt das nicht. Aber ich muss nicht allen gefallen. Das ist mein Prinzip."

Wirbel um Schumacher

Steiners direkte Art bekam in der vergangenen Saison Mick Schumacher zu spüren. Der Sohn des siebenmaligen Weltmeisters Michael Schumacher geriet nach einigen Unfällen stark unter Druck, zumal geschrottete Autos das Budget besonders belasten. Diskutiert wurde, ob der Teamchef stets den richtigen Ton traf oder dem Deutschen in dessen zweiter Saison mehr Rückendeckung hätte geben müssen. Das wurde auch in einem Sky-Interview angesprochen. Steiner fühlte sich ungerecht behandelt und boykottierte den deutschen TV-Sender. Als sich Schumacher in Baku um seine Bremsen Sorgen machte, sagte Steiner zu einem Ingenieur: "Fucking hell. Er fährt so verdammt langsam, er muss nicht bremsen."

Video: Ein Missverständnis bei "Drive To Survive"
MoneyGram Haas F1 Team

"Ich will niemanden beleidigen. Wenn ich das mache, passiert das ungewollt, möchte ich betonen", sagt Steiner über seine direkte Art. "Aber ehrlich sein darf ich. Und wie ich das rüberbringe, kann mir niemand vorschreiben. Diese Freiheit nehme ich mir."

Steiner ist ein Urgestein im Motorsport. Er begann seine Karriere 1986 als Mechaniker in der Rallye-WM. 2001 wechselte er zu Jaguar in die Formel 1. "Das Auto war das größte Stück Scheiße, das jemals gebaut wurde", schreibt er in seinem Buch. Da wären wir wieder beim Thema Ehrlichkeit. Die Welt habe sich im Vergleich zu damals geändert, sagt Steiner. Es werde viel genauer geprüft, ob alles korrekt zugehe. "Aber ich mache mir keinen Druck, dass ich immer etwas Richtiges sage. Ich habe aber auch keine Angst, mich zu entschuldigen, wenn ich etwas Falsches sage."

Ein Unternehmer

Steiner arbeitete von 2005 bis 2008 für Red Bull, ehe er 2009 das Unternehmen Fibreworks Composites in North Carolina gründete. In diesem US-Bundesstaat hat auch Haas seinen Hauptsitz. Der verheiratete Vater einer Tochter leitet das Team seit dessen Anfängen 2014. "Ich gebe den Leuten viel Freiheiten", sagt der Teamchef. Sie dürften Entscheidungen treffen, "aber sie sind auch verantwortlich dafür". Das unterscheide Haas von Teams mit größeren Konzernen im Rücken. "Manche arbeiten dort lieber, weil sie weniger Verantwortung haben und mehr in der Gruppe entschieden wird. Ich habe den Vorteil, dass mir nicht 50 Leute sagen, was ich zu sagen habe."

Günther Steiner steht neben Mick Schumacher.
Günther Steiner (links) und Mick Schumacher (R) beim Grand Prix der Niederlande im September 2022.
APA/AFP/ANDREJ ISAKOVIC

Die wichtigste Aufgabe als Teamchef sei es, das richtige Personal auszusuchen. In jedem Bewerbungsgespräch "rede ich auch zehn Minuten darüber, woher die Person kommt und was sie vorher gemacht hat", sagt Steiner. "Ich möchte den Charakter kennenlernen und ob er ins Team passt oder nicht."

Nico Hülkenberg ersetzte heuer Schumacher. "Das Talent bezweifle ich bei Mick nicht", sagt Steiner. "Aber Erfahrung kann man nicht kaufen." Die brauche der Rennstall aber, um voranzukommen. Wo zahlt sich diese aus? "Wenn Nico von einer Runde zurückkommt, kann er seinem Ingenieur erklären, was geändert werden muss."

Video: The ULTIMATE Guenther Steiner meme challenge! 😂📸
Sky Sports F1

2018 wurde Haas Gesamtfünfter. Daran konnte man seither nicht anschließen. Heuer bereitet vor allem der Reifenverschleiß Sorgen. "Manchmal ist das Problem da, manchmal nicht", sagt Steiner. "Wir müssen stabiler werden." Nächste Gelegenheit: Spa. (Andreas Gstaltmeyr, 28.7.2023)