Wer selbst einmal an Beratungen englischer Geschworenenrunden teilgenommen hat, wie es diesem Korrespondenten dreimal vergönnt war, wird sich davor hüten, in den Urteilsspruch der Causa Kevin Spacey allzu viel hineinzuinterpretieren. Immerhin brauchten die drei Frauen und neun Männer zwölfeinhalb Stunden, um die Beweislage sorgfältig abzuwägen, und am Ende ließ sich die von englischen Gerichtsvorsitzenden stets erwünschte Einstimmigkeit nicht herstellen. Erst als Richter Mark Wall ein Mehrheitsvotum zuließ, klärte sich rasch die Lage: Neunmal "nicht schuldig", in allen neun ihm zur Last gelegten Delikten gegen vier Männer – ein schöneres Geschenk hätte sich der Schauspieler an seinem 64. Geburtstag kaum wünschen können.

Hämische Kommentare

Jene Prozessteilnehmer, die in den vergangenen vier Wochen Tag für Tag in Saal eins des Krongerichts von Southwark gesessen haben, mögen eine relativ genaue Vorstellung davon haben, was dem Freispruch zugrunde lag. Ein in der Berichterstattung nach dem Urteil weitgehend vernachlässigter Faktor dürfte von vornherein eine wichtige Rolle gespielt haben: Als die englische Kronanwaltschaft nach jahrelangem Zögern im Mai vergangenen Jahres tatsächlich Anklage gegen den Weltstar erhob, ließ Spacey ohne zu zögern mitteilen, er werde sich den Anschuldigungen stellen.

Nötig war dies nicht. Der US-Amerikaner Spacey hätte natürlich das Königreich in Zukunft meiden können, allen gewiss hämischen Kommentaren zum Trotz. Schließlich haben sich auch andere Berühmtheiten dafür entschieden, unliebsamen Strafverfahren auszuweichen. Stattdessen vertraute sich der Schauspieler der Justiz jenes Landes an, in dem er als Chef des Old-Vic-Theaters zu Beginn des Jahrhunderts Triumphe feierte.

Spaceys Pioniertat bestand damals darin, das legendäre, aber künstlerisch ausgemergelte Haus südlich der Themse mit populären Inszenierungen und großen Stars wiederzubeleben. Automatisch stellten sich vermögende Mäzene ein, die sich gern im Umkreis berühmter Schauspielerinnen herumtreiben. Längst haben andere Theatermacher das Erfolgsrezept nachgeahmt. Der Vorreiter erhielt für sein gut zehnjähriges Engagement in London den Ritter Sir Kevin ehrenhalber verliehen.

Comeback-Versuch

Eine Verurteilung hätte gewiss die Aberkennung des Titels, vor allem aber eine jahrelange Gefängnisstrafe bedeutet. Stattdessen kann Spacey, wenn er das Geschehen der vergangenen vier Wochen verarbeitet hat, den Versuch eines Comebacks starten und seine einst strahlende Karriere wiederaufnehmen, die im Herbst 2017 ihr jähes, vorläufiges Ende fand. Im Zuge der #MeToo-Affäre kamen damals auch Vorwürfe gegen Spacey ans Tageslicht. Zunächst führte der Schauspieler Anthony Rapp einen Vorfall von 1986 gegen den zweifachen Oscargewinner ins Feld; bald sah sich der Star mit Vorwürfen von rund drei Dutzend Männern konfrontiert, sowohl in seiner amerikanischen Heimat als auch auf der Insel. Im Showbusiness wie auch anderswo gilt die Unschuldsvermutung für Prominente nur sehr eingeschränkt, wenn überhaupt.

Der Hollywoodschauspieler Kevin Spacey wurde am Mittwoch von einem englischen Krongericht in allen Anklagepunkten freigesprochen.
Der Hollywoodschauspieler Kevin Spacey wurde am Mittwoch von einem englischen Krongericht in allen Anklagepunkten freigesprochen.
REUTERS/SUSANNAH IRELAND

Spacey wurde öffentlich geächtet, die letzte Staffel der überaus erfolgreichen Streamingserie House of Cards ohne ihn neu gedreht, Netflix stellte die Zusammenarbeit mit dem Star ein. In Rapps Fall kam erschwerend hinzu, dass sich der damals 26-jährige Täter angeblich an einem damals 14-Jährigen vergangen hatte. Angeblich, wohlgemerkt. In Amerika sind mittlerweile sowohl das Strafverfahren wie auch ein von Rapp angestrengtes Zivilverfahren gegen Spacey verworfen worden.

Bei der Old-Vic-Intendanz meldeten sich zwanzig Männer und berichteten von "unpassendem Verhalten" ("inappropriate behaviour") des Superstars ihnen gegenüber. Die Vorwürfe bezogen sich auf die Jahre 1995 bis 2013, sie reichten von Übergriffen bis hin zur sexuellen Nötigung. Die Kronanwaltschaft destillierte daraus neun Delikte gegen vier Männer. Vieles von dem, was da vor Gericht zur Sprache kam, ist mit dem Begriff "unpassend" nur unzulänglich beschrieben. Aber strafwürdig im engeren Sinn?

Natürlich hatte Richter Wall zu Prozessbeginn den Geschworenen ins Gewissen geredet: Weder dürften sie sich von Spaceys Berühmtheit blenden noch von der umfassenden Berichterstattung rund um seine Person beeinflussen lassen. Sicherlich werden die zwölf Londoner, oder jedenfalls eine deutliche Mehrheit von ihnen, gewissenhaft dieser Mahnung gefolgt sein. Und dennoch waren sie wohl unvermeidlich einer Beeinflussung ausgesetzt, das bringt die Prominenz des Angeklagten mit sich.

Elton John sagte aus

Wer kann schon den Entertainer Elton John, der in Großbritannien so etwas wie Heiligenstatus genießt, zur Aussage vor Gericht bewegen? Der 76-Jährige stand ebenso für Spacey zur Verfügung wie sein Ehepartner David Furnish. Gemeinsam entkräftete, ja diskreditierte das Duo die Aussage eines Anschuldigers, wonach Spacey ihn 2004 oder 2005 auf dem Weg zu Elton Johns berühmter Jahresparty begrapscht habe. Dabei war Spacey lediglich einmal, 2001, Teilnehmer des Promi-Events gewesen.

Die anderen Vorwürfe – aggressiver Griff an die Genitalien, in einem Fall Oralsex an einem Ohnmächtigen – konnte Spacey, von der Kronanwältin als "sexueller Tyrann" denunziert, entweder zu konsensualem Verhalten umdeuten oder als ungeschickte Annäherungsversuche abtun, die er einstellte, sobald die Objekte seiner Begierde Widerstand zu erkennen gaben. Im Übrigen schwebte über den vier Männern stets der Vorwurf, den Spacey theatralisch so zusammenfasste: Deren Interesse sei "Geld, Geld und dann Geld".

In der traurigen Bilanz der Verfahren gegen Kevin Spacey steht es nun 3:0 für den Schauspieler. Die berühmte Londoner Polizeibehörde Scotland Yard und die Kronanwaltschaft müssen sich bohrende Fragen gefallen lassen, warum sie ausgerechnet mit diesem Fall ihre verheerend schlechte Bilanz von Verurteilungen in Sexualstrafverfahren aufbessern wollten. Am Ende bleiben nur Verlierer: Die Beschuldiger stehen als Lügner da. Und wer Spaceys Tränen im Gerichtssaal und sein kurzes Pressestatement nach Prozessende verfolgt hat, weiß auch, dass da ein Beschädigter das Krongericht verließ. (Sebastian Borger aus London, 27.7.2023)