Der Vorgang ist zum Ritual geworden: In der Hauptstadt eines westafrikanischen Staates – im jüngsten Fall im nigrischen Niamey – fahren eines frühen Morgens vor der Residenz des Präsidenten Panzerwagen auf. Soldaten springen heraus und umstellen das Gebäude. Gelegentlich werden auch Schüsse abgegeben. Auch an anderen strategisch wichtigen Orten der Stadt sind Militärs zu sehen. Mit Sicherheit vor dem Gebäude des staatlichen Fernsehens, das alsbald sein Programm unterbricht und Marschmusik ausstrahlt.

Video: Militärputsch im Niger destabilisiert Sahelzone weiter
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Irgendwann wird auch die Musik unterbrochen, um einer Gruppe von Uniformierten Platz zu machen. Einer liest eine Stellungnahme vor, mit der die Regierung für abgesetzt erklärt wird. "Die Regierung, die ihr kennt, gibt es nicht mehr", deklariert ein in blauer Uniform gekleideter Oberst der Luftwaffe im jüngsten Fall. Sein Name wird mit Amadou Abdramane angegeben. Ab sofort würden die Geschicke des Landes von einem "Nationalrat zur Rettung des Vaterlandes" in die Hand genommen, sagt der Oberst. Wer diesem Nationalrat angehört, sagt er nicht.

Pläne noch im Dunkeln

So oder ähnlich hat sich der Vorgang in den vergangenen drei Jahren nicht weniger als sechsmal in einem westafrikanischen Staat abgespielt – zählt man den Sudan mit, sogar siebenmal. Einmal in Guinea, zweimal in Burkina Faso und Mali sowie am Mittwoch im Niger, dem Sahelstaat im Zentrum Afrikas, der bisher als demokratisches Bollwerk galt. Dorthin zogen sich französische und andere europäische Soldaten zurück, als sie aus Burkina Faso und Mali herausgeworfen wurden. Von diesem Brückenkopf aus sollte die in Aufruhr befindliche Sahelregion stabilisiert werden. Auch daraus wird nun nichts.

Putschisten im Niger
Amadou Abdramane verlas umringt von Mitstreitern seine Botschaft: "Die Regierung, die ihr kennt, gibt es nicht mehr."
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Noch haben die Putschisten ihre Pläne nicht bekanntgegeben – etwa ob sie die rund 1500 im Niger stationierten französischen, die wenigen Hundert anderen europäischen und die 1100 amerikanischen Soldaten loswerden wollen oder nicht. Noch ist auch nicht ausgemacht, ob der Coup wirklich erfolgreich sein wird: Der in seiner Residenz festgehaltene Präsident Mohamed Bazoum hoffte zuletzt noch immer, dass loyale Truppenteile den von der Präsidentengarde ausgegangenen Putsch vereiteln werden. Anzeichen dafür gab es allerdings keine: Selbst der Armeechef hat sich inzwischen hinter die Putschisten gestellt. Sie ließen den internationalen Flughafen und die Grenzen schließen, riefen eine nächtliche Ausgangssperre aus und setzten das Kabinett ab. Der Protest weniger Hundert Sympathisanten des 64-jährigen Präsidenten ging im Platzregen unter.

Putschisten
Putschistenanhänger mit russischer Flagge vor dem nigrischen Parlament.
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Oberst Abdramane begründete den Staatsstreich mit "der schlechten Regierungsführung" und der "immer schlimmer werdenden Sicherheitslage" im Land. Mit derselben Begründung könnte man allerdings 90 Prozent aller afrikanischen Regierungen entmachten. Ulf Laessing von der Konrad-Adenauer-Stiftung, der den Niger aus nächster Nähe kennt, führt denn auch andere Gründe für den Putsch auf: Zum Beispiel das schlechte Verhältnis zwischen Bazoum und dem Chef der Präsidentengarde Omar Tchiani, den schon sein Vorgänger eingesetzt hatte und den er seit langem loszuwerden suchte. Jetzt hat sich der General seines Präsidenten entledigt.

Möglicherweise sei der Putsch auch von Eifersüchteleien zwischen Spezialtruppen zur Terrorbekämpfung und der Präsidentengarde ausgelöst worden, fährt Laessing fort. Erstere wurden vom Westen bestens ausgestattet, um gegen die aus Burkina Faso und Mali eingeschleusten Extremisten etwas ausrichten zu können. Trotzdem nehmen die Umtriebe der Islamisten ständig zu: Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres zählten Repräsentanten des westafrikanischen Staatenbundes Ecowas 1800 Angriffe mit 4600 Toten.

Wagner-Söldner in der Region

Mali und Burkina Faso hatten den französischen Truppen vorgeworfen, den Kampf gegen die "Terroristen" nicht entschieden genug zu führen. Deshalb suchten sie die Hilfe der russischen Wagner-Truppe, die bei ihren Einsätzen schonungslos sowohl gegen Extremisten wie Zivilisten vorzugehen pflegt. Ob auch die Präsidentengarde des Niger, eines wichtigen Exportlands für Uran, Kontakt zu den russischen Söldnern hat und diese ins Land holen will, ist bisher nicht bekannt.

Putschanhänger
Ausländische Truppen im Niger wünschen die Putschfans nicht, doch eine Kooperation mit Russland ist gewollt.
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Erwartungsgemäß stieß der Putsch im Ausland auf einhellige Ablehnung. UN-Generalsekretär António Guterres, die USA sowie die Afrikanische und die Europäische Union forderten die Obristen zur sofortigen Freilassung des Präsidenten auf. Wirklicher Einfluss wird allerdings nur dem Staatenbund Ecowas beigemessen, der bereits andere Volksverächter wie den gambischen Diktator Yahya Jammeh ins Exil verbannte. An den Militärherrschern in Guinea, Mali und Burkina Faso hat sich Ecowas zumindest bislang allerdings die Zähne ausgebissen. (Johannes Dieterich, 27.7.2023)