Er droht ständig damit, neue Grenzen zu ziehen. Der Nationalist Milorad Dodik, der eng mit Kreml-Chef Wladimir Putin kooperiert, hat kürzlich neue Sezessionsschritte eingeleitet. So hat das Parlament des bosnischen Landesteils Republika Srpska (RS), das von Dodiks Partei SNSD dominiert wird, ein Gesetz beschlossen, wonach die Entscheidungen des Verfassungsgerichts von Bosnien-Herzegowina keine Gültigkeit mehr haben sollen. Das wird von Experten als vorletzter Schritt vor der tatsächlichen Sezession eingestuft. Deshalb werden Rufe nach Aufstockung der Eufor-Friedenstruppen in Bosnien und Herzegowina wieder lauter. Zurzeit sind etwa 1.150 Soldaten im Land.

Eines der drei Mitglieder im Staatspräsidium, der Sozialdemokrat Denis Bećirović, fordert nun dringend mehr Soldaten, um Bosnien-Herzegowina zu beschützen. "Um rechtzeitig zu handeln und mögliche negative Folgen zu verhindern sowie die Stabilität und Sicherheit in Bosnien und Herzegowina und der Westbalkanregion zu wahren, ist die dringende Stationierung zusätzlicher und deutlich stärkerer Eufor-Streitkräfte in kürzester Zeit von größter Bedeutung", so Bećirović zum STANDARD.

Gefährdeter Frieden

Denn leider seien "Sicherheit und Frieden durch die gefährliche prorussische und separatistische Politik des Präsidenten der Entität Republika Srpska, Milorad Dodik, ernsthaft gefährdet", so Bećirović weiter. "Dodik hat offen mit einer gegen das Friedensabkommen von Dayton gerichteten und verfassungswidrigen Auflösung des Staates Bosnien und Herzegowina begonnen. Der Frieden in Bosnien und Herzegowina und der Region ist ernsthaft gefährdet. Es ist die letzte Stunde, um die Ausbreitung der Ukraine-Krise auf das Territorium des Staates Bosnien und Herzegowina und damit auf den Südosten Europas zu stoppen."

Denis Bećirović
Denis Bećirović will zum Schutz Bosniens mehr Soldaten.
APA/AFP/ANDREJ ISAKOVIC

Bećirović denkt, dass die neuen Eufor-Truppen vor allem im Distrikt Brčko sowie in anderen strategischen Gebieten stationiert werden sollten. Diskutiert wurde über zwei zusätzliche Reservekompanien von 90 bis 120 Soldaten. Diese wären Militärexperten zufolge ein deutliches Zeichen gegenüber Dodik und der Republika Srpska, dass die Eufor im Notfall reagieren kann und dies auch will. Zwei zusätzliche Kompanien würden auch eine Stationierung im Distrikt Brčko ermöglichen. Dieser Distrikt trennt die Republika Srpska in zwei Teile – eine Truppenstationierung vor Ort könnte deshalb auch ein gefährliches Vorgehen des RS-Regimes unterbinden.

Mit weiteren Kompanien könnte man auch mehrtägige Patrouillen machen. Die derzeit verfügbaren Kräfte sind nämlich überwiegend bereits durch Routineaufgaben wie die Sicherung des Camps Butmir in der Nähe von Sarajevo gebunden, und das lässt nicht mehr sehr viel zusätzlichen Spielraum, um politische Signale zu senden. Angesichts der neuen geopolitischen Umstände, die durch die brutale russische Aggression gegen die Ukraine verursacht wurden, sei das Exekutivmandat der Eufor-Mission tatsächlich entscheidend, meint Bećirović. Er erinnert daran, dass die Nato in Dayton eine klare Aufgabe bekommen habe, den Frieden in Bosnien und Herzegowina zu wahren. Die Eufor habe demnach die Aufgabe, die Souveränität und die territoriale Integrität des Staates zu gewährleisten und alle zerstörerischen Kräfte zu stoppen.

Ukrainisches Szenario

"Die Situation in Bosnien und Herzegowina steht in einem direkten Zusammenhang mit der russischen Aggression gegen die Ukraine. Der russische Präsident Wladimir Putin brachte dies in der Begründung der Aggression gegen die Ukraine zum Ausdruck und bestimmte die russische Einflusszone, in die er neben Georgien und Moldau auch Bosnien und Herzegowina einbezog. Das oben Gesagte wurde von den höchsten Beamten der Nato bestätigt. In Bosnien und Herzegowina wird intensiv an der Realisierung des ukrainischen Szenarios gearbeitet", erklärt das bosniakische Mitglied im Staatspräsidium.

Bećirović forderte bereits im April nach einem Treffen mit dem derzeitigen Eufor-Kommandanten, dem österreichischen General Helmut Habermayer, die Aufstockung der Eufor-Truppen. Und der Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung des EU-Parlaments kam auch bereits im Februar zum Schluss, dass Eufor ihr Mandat effektiver umsetzen könnte, wenn sie größer und mit zusätzlichen Fähigkeiten ausgestattet wäre, die erforderlich sind, um die Bürger im ganzen Land zu beruhigen, insbesondere durch den Einsatz einer glaubwürdigen Präsenz im Bezirk Brčko.

EU entschied gegen Aufstockung

Auch der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, würde von einer solchen Truppenaufstockung profitieren. Denn dann könnten auch seine Entscheidungen – zuletzt hat er das Gesetz der RS für ungültig erklärt – und ein rechtliches Vorgehen gegen Dodik besser umgesetzt werden. Aus dem Amt des Hohen Repräsentanten (OHR) heißt es zu der Frage: "Im Februar 2022 begrüßte der Hohe Repräsentant ausdrücklich die Entscheidung, die Reserveeinheit der Eufor-Mission in Bosnien und Herzegowina zu verstärken." Allerdings liege die Entscheidung über eine Aufstockung nicht beim OHR.

Milorad Dodik und Wladimir Putin
Milorad Dodik und Wladimir Putin pflegen ein Naheverhältnis.
EPA

Die Sichtbarkeit und Mobilität der Eufor-Truppen sei jedoch wichtig, um "auf eine mögliche Verschlechterung der Sicherheitslage reagieren zu können". Der Hohe Repräsentant erachte es als wichtig, dass die Eufor-Althea-Mission ihr Exekutivmandat und die Fähigkeit zur kurzfristigen Truppenentsendung behalte. "Um die ihr übertragenen Aufgaben erfüllen zu können, muss die Eufor angemessen ausgestattet und personell ausgestattet sein, was der Hohe Vertreter unterstützt", so das OHR.

Doch trotz vieler Experteneinschätzungen hat man sich in der EU gegen eine Aufstockung entschieden. Aus EU-Kreisen soll auch über die Regierung in Wien gegen eine Truppenaufstockung argumentiert worden sein. Auf Anfrage des STANDARD gibt die EU-Delegation in Sarajevo bekannt, dass sie "keine Entscheidungen im Zusammenhang mit militärischen Missionen" treffe, sondern diese von den EU-Mitgliedsstaaten im Rat getroffen würden. Im Verteidigungsministerium in Österreich argumentiert man, dass "durch die derzeitige Sicherheitssituation in Bosnien und Herzegowina keine direkten negativen Auswirkungen auf Eufor Althea erwartet" würden. "Eine weitere Erhöhung der Personalstärke scheint daher derzeit nicht angemessen. Die Beurteilung eines Reserveeinsatzes ist allerdings keine Angelegenheit der nationalen Einsatzführung", so Pierre Kugelweis von der Presseabteilung des österreichischen Verteidigungsministeriums.

Fragile Situation

"Die Gesamtsituation ist grundsätzlich stabil und sicher, jedoch weiterhin fragil", so Kugelweis. "Generell haben sich die Auseinandersetzungen zwischen dem Gesamtstaat und der Republika Srpska in jüngster Zeit verstärkt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Herr Dodik seine Sezessions- und Erpressungspolitik fortsetzen wird", erklärt das Verteidigungsministerium. Die Entscheidung für eine Entsendung von Reservekräften obliege der Nato-Kommandostruktur.

Österreich gibt übrigens ab kommendem Jahr die Führung des Eufor-Kommandos ab. Der neue Kommandant der EU-Mission Eufor Althea wird ab 1. Jänner 2024 der ungarische Generalmajor László Sticz. Österreich stellte seit 2009 den Kommandanten. Die Tatsache, dass nun gerade ein Ungar übernimmt – wobei Sticz selbst als höchst professionell gilt –, wird nicht nur in Bosnien-Herzegowina kritisch gesehen. Denn der ungarische Premierminister Viktor Orbán unterstützt den rechtspopulistischen Sezessionisten Dodik.

Ungarn hat in den vergangenen Jahren mehr Einfluss in Südosteuropa gewonnen, und ungarische Vertreter nehmen mittlerweile Schlüsselpositionen ein. Aufgrund der Ausrichtung der illiberalen und autokratisch geführten Regierung in Ungarn führt dies aber vor Ort oft zu Verunsicherung, weil man den politischen Einfluss aus Budapest fürchtet. Zuletzt hatten auch US-Vertreter versucht zu erreichen, dass Italien statt Ungarn den Eufor-Kommandanten stellt.

Zuschlag für Ungarn

"Bosnien und Herzegowina teilt aufgrund der früheren antieuropäischen und letztendlich antibosnischen Haltung Ungarns, in der Persönlichkeiten wie Dodik und Čović (Chef der kroatisch-nationalistischen HDZ, Anm.) bei der Auflösung der bosnischen Staatlichkeit stetige Unterstützung gefunden haben, ein gewisses Misstrauen. Internationale Friedenstruppen stehen, unabhängig von ihrer Struktur, immer unter bestimmten politischen Einflüssen des Landes, aus dem sie kommen“, meint etwa der bosnische Sicherheitsexperte Ismet Fatih Čančar.

Doch nun hat Ungarn offenbar den Zuschlag für das Eufor-Kommando bekommen, weil es sich verpflichtet hat, ab Jänner 2024 für mindestens drei Jahre vier bis fünf Hubschrauber für die Eufor zu stellen. Und dies obwohl Ungarn auf der politischen Ebene vehement gegen Sanktionen gegen Dodik eintritt, obwohl dieser bereits seit vielen Jahren unter US-Sanktionen steht und obwohl EU-Sanktionen gegen den Kreml-Partner ein effizientes Mittel wären, um ihn zu stoppen. Zurzeit hat Deutschland wegen Dodiks Politik Projekte mit der RS ausgesetzt, und internationale Geldgeber verzögern gerade ihre Finanzhilfen. Doch ein Signal aus der EU wäre besonders wichtig.

Österreich wird sich laut dem Verteidigungsministerium weiterhin in Bosnien-Herzegowina für die Eufor engagieren, "lediglich jene Aufgaben nicht mehr wahrnehmen, die direkt an die Kommandoführung gekoppelt waren. Das bedeutet, dass sämtliche Hubschrauber ab dem Frühjahr 2024 durch Ungarn gestellt werden", so Kugelweis zum STANDARD. "Das gilt auch für das direkte Umfeld des Kommandanten mit seinen diversen Stabsoffiziers- und Unteroffiziersfunktionen. Österreich wird weiterhin im jährlichen Wechsel mit Ungarn eine Infanteriekompanie – etwa 100 Soldatinnen und Soldaten – stellen." Darüber hinaus werde man weiterhin Verbindungsbüros in den Gemeinden betreiben. (Adelheid Wölfl, 28.7.2023)