Hoch oben im Norden Schwedens, unweit des Polarkreises, liegt ein Dorf, in dem gerade mal ein paar Hundert Menschen leben. Von diesem Ort hat noch kaum jemand je etwas gehört, dennoch kennt man weltweit seinen Namen: Kallax. Das berühmte Regal von Ikea mit den breiten Seitenwänden und schmalen Regalböden wurde nach diesem Fleck benannt. Und es gehört zu den Bestsellern des schwedischen Möbelkonzerns.
Ikea-Produkte haben einen hohen Wiedererkennungswert, ein Mitgrund dafür sind deren Namen. Das skandinavische Image zieht sich durch. Regale, Sofas und Couchtische heißen wie schwedische Orte, Badartikel wie Flüsse oder Seen, Betten bekommen norwegische Ortsnamen, und Kinderartikel werden nach Tieren oder Adjektiven benannt. Und natürlich die Farben Gelb und Blau im Logo. Das Konzept funktioniert, und es funktioniert schon lange.
Viel Umsatz, viele Mitarbeiter
Dieses Wochenende feiert das Unternehmen seinen 80. Geburtstag. Gründer Ingvar Kamprad hat Ikea aus dem Nichts aufgebaut und zum größten Möbelhändler weltweit gemacht. Die Zahlen sind beeindruckend: In 62 Ländern betreibt Ikea 460 Shops und beschäftigt rund 231.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zuletzt erzielte das Unternehmen einen Umsatz in Höhe von 45 Milliarden Euro. Und auch wenn Ikea seinen Hauptsitz mittlerweile in die Niederlanden verlegt hat, begann alles in der südschwedischen Provinz Småland.
Im Alter von fünf Jahren, so lautet die Geschichte, machte Kamprad seine ersten unternehmerischen Schritte: Er verkauft Bleistifte, Saatgut und Streichhölzer an die Nachbarn. Mit 17 eröffnet er dann einen Kleinwarenhandel auf dem elterlichen Bauernhof, die ersten Pakete soll er mit dem Milchwagen ausgeliefert haben. Am 28. Juli 1943 ließ er ein Unternehmen eintragen, das er Ikea nannte – ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben seines Namens, Ingvar Kamprad, seines Familienhofs Elmtaryd und der örtlichen Gemeinde Agunnaryd.
In den Jahren danach nahm Kamprad Möbel ins Sortiment. Außerdem erweiterte er seinen Vertrieb – per Postbestellung konnten Kunden aus anderen Regionen Waren beziehen. Ende der 1950er-Jahre eröffnete in der südschwedischen Kleinstadt Älmhult das erste Ikea-Möbelhaus, lange blieb dort der Firmensitz. Mitte der 1960er-Jahre startete die Expansion, 1977 eröffnete der erste Ikea in der damaligen Shopping City Süd bei Wien seine Pforten. Mittlerweile gibt es in Österreich acht Einrichtungshäuser und zwei Logistikzentren.
Eine Stadt in Gelb-Blau
Etwas mehr als eine Stunde dauert die Zugfahrt von der Großstadt Malmö ins beschauliche Älmhult. Mit jedem Kilometer werden die Häuser weniger, dafür die Eichen- und Kiefernwälder mehr. Angekommen in Älmhult, dominieren dann schlagartig die Farben Gelb und Blau. Der Radweg ist gelb, Baustellen sind gelb, Straßenschilder leiten zu den unterschiedlichen Ikea-Gebäuden.
Der Ort beheimatet unter anderem – no na!– ein Möbelhaus, das Kommunikationszentrum des Konzerns, ein Ikea-Hotel, ein Testlabor, eine Veranstaltungshalle. Rechtzeitig zum 80er wurde das Ikea-Museum auf neue Beine gestellt, es bietet nun eine teils interaktive Reise durch acht Jahrzehnte. "Schwedinnen und Schweden sind besessen von Ikea, ich kann mir nicht vorstellen, dass es auch nur einen Haushalt ohne unsere Produkte gibt", sagt Kuratorin Anna Sandberg Falk. Sonst tut sich in Älmhult nicht viel.
5.600 Menschen aus 52 Nationen arbeiten hier – insgesamt 11.000 leben im Ort, in dem es außer Ikea kaum etwas gibt. Eine Kirche, einen Supermarkt, zwei kleine Cafés – Leute tummeln sich auf der Straße nur wenige.
Möbel aus dem Flatpack
Den Menschen aus dem südschwedischen Småland wird nachgesagt, sie seien sparsam, teilweise sogar geizig, aber kreativ und fleißig. Diese Attribute halfen Kamprad vermutlich bei einer seiner wichtigsten Ideen: Kunden sollen sich die Möbel selbst zusammenbauen, geliefert werden sie im Flatpack. Damit sparte er nicht nur Zeit und logistischen Aufwand, sondern beugte auch immer wieder auftretende Transportschäden vor.
Ikea hat den Anspruch an sich selbst, Produkte ständig zu optimieren und weiterzuentwickeln. Ein Ergebnis dessen ist das heutige Innenleben der Leichtmöbel. Wer beispielsweise schon einmal ein Regal kaputtgemacht hat, weiß: Darin befindet sich viel Luft. Grundsätzlich basieren die Möbel auf Papier, das aussieht wie Honigwaben. Teures Holz soll so wenig wie möglich zum Einsatz kommen. Das eingangs erwähnte Regal Kallax wird etwa nur an den Rändern von Leisten aus Spanplatten gestärkt, die Verkleidung besteht aus HDF-Platten, das sind hochverdichtete Holzfasern, das kennt man auch von Rückwänden.
Papier, Span, Holzfasern – alles Materialien, deren Preise im Zuge der Rekordinflation massiv angezogen haben, dazu die gestiegenen Energie- und Personalkosten. Preissteigerungen von 15, 20 oder noch mehr Prozent waren die Folge. Immer wieder ist Ikea mit Vorwürfen konfrontiert, Wegwerfmöbel herzustellen. Ein Gegenargument beim Konzern: Würden wir Vollholz nehmen, gingen deutlich mehr Rohstoffe drauf, und der Transport würde noch viel mehr CO2 produzieren.
Illegales Holz
Ikea wirbt offensiv mit einer nachhaltigen Unternehmensphilosophie, doch tauchen immer wieder schwere Vorwürfe auf. Bereits mehrmals gab es Anschuldigungen der Umweltschutzorganisation Earthsight, Ikea würde illegales Holz aus Russland und der Ukraine beziehen. Der Konzern bestritt all das stets und verwies darauf, nur FSC-(Forest-Stewardship-Council-)zertifiziertes Holz zu verwenden.
Und heute? "Im Zuge des Ukrainekriegs haben wir uns aus dem russischen Markt zurückgezogen und kaufen auch kein Holz mehr von dort", sagt ein Sprecher zum STANDARD. Was der Ausstieg gekostet hat, darüber wird nicht offen gesprochen. Über Holz schon: 85 Prozent stamme aus Europa (mehr als ein Drittel aus Polen und Litauen), und im Vorjahr habe man 20 Millionen Kubikmeter Holz verarbeitet. Zum Vergleich: Das entspricht 8000 befüllten olympischen Schwimmbecken.
Ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele
Ikea hat sich sozusagen ein grünes Ziel auf die blau-gelben Fahnen geheftet: Bis 2030 wolle man Produkte ausschließlich aus erneuerbaren und recycelten Materialien herstellen, somit klimapositiv werden. Damit soll der Spagat gelingen, weiterzuwachsen, gleichzeitig aber die Auswirkungen auf die Umwelt gering zu halten. 2016 wurde das Ziel ausgerufen, seither wurden die Emissionen um knapp 14 Prozent eingespart.
Dafür wird an unterschiedlichen Stell- bzw. Sechskantschrauben gedreht. "Wir erhöhen ständig den Anteil an Strom aus erneuerbaren Quellen in den Shops liegt er bei 76 Prozent, in der Produktion bei 64 Prozent", erklärt ein Sprecher. Weiter setze man auf Dinge wie vegane Köttbullar, Secondhand-Möbel oder begrünte Einrichtungshäuser – wie etwa mit dem weltweit ersten City-Ikea beim Wiener Westbahnhof. Zusätzlich hat Ikea ein Programm aufgelegt, das alle Lieferanten und Kooperationspartner mehr oder weniger zu einem schnelleren Umstieg auf nachhaltige Energielösungen zwingt.
Mehr Löcher
Interessante Ansätze gibt es beim Design. "Wo es möglich ist, machen wir Löcher in Möbelwände, um den Materialverbrauch zu minimieren", sagt Chefdesigner Johan Ejdemo. "Plastik wird reduziert. Wir experimentieren mit anderen Materialien." Ideen gebe es viele, aber jede Änderung dauere, weil zahllose Arbeitsschritte neu gedacht werden müssen. Zudem braucht es einen guten Überblick: Der Möbelriese bietet 12.000 Produkte an, davon sind jährlich bis zu 2.500 neu. "Was profitabel ist, das bleibt – lange Versuchszyklen gibt es nicht", sagt der Designer.
Kein Fan vom Fiskus
Ingvar Kamprad war für seinen sozialen Anspruch bekannt. "Leistbare Möbel für die breite Masse", lautete sein Credo, doch zur besagten breiten Masse zählte der Fiskus für ihn nicht unbedingt. Ikea hat ein komplexes Konstrukt aus Stiftungen, Holdings und Franchisenehmern erschaffen – größtenteils in Ländern wie den Niederlanden, Liechtenstein, Luxemburg oder Zypern. Das wirkt sich positiv auf die Steuerlast aus, zumindest aus Ikea-Sicht.
Zuletzt war die Aufregung im Jahr 2019 groß, weil eine millionenschwere Steuernachzahlung drohte. Herzstück der Unternehmensstruktur ist die Ikea Inter Group mit Sitz in den Niederlanden – sie hat seit 1982 die Rechte am Konzept und dem Namen inne. Alle Filialen müssen drei Prozent ihres Umsatzes als Lizenzgebühr an Ikea Inter überweisen, wie ein Sprecher bestätigt. Diese Beträge schmälern die Höhe des Firmengewinns in anderen Ländern. Lizenzgebühren zu zahlen ist nichts Ungewöhnliches. Doch wie der ein paar Jahre zurückliegende Fall zeigt, wurde das Geld danach konzernintern so verschoben, dass am Ende kaum irgendwo Steuern gezahlt wurden. Ikea dementiert damals wie heute, gegen Gesetze verstoßen zu haben. Man habe die Steuern korrekt abgeliefert. Mit Details geht man allerdings sehr sparsam um.
Söhne und Onlinehandel
2018 starb Ingvar Kamprad im Alter von 91 Jahren. Seither hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Gemeinsam mit CEO Jesper Brodin hat sein Sohn Mathias eine neue Strategie erarbeitet – mit einem stärkeren Fokus auf den Onlinehandel. Dafür werden Milliarden investiert. Mittlerweile macht der Onlinehandel ein Viertel des Umsatzes aus. Auch die anderen beiden Söhne Kamprads, Peter und Jonas, arbeiten im Konzern. Ein Gang an die Börse war in der Vergangenheit nie Thema, ist es auch jetzt nicht.
Das Vermächtnis des Vaters wirft jedenfalls einen langen Schatten. In Älmhult spricht man nach wie vor mit leuchtenden Augen über ihn. "Er war als Person nicht immer einfach, aber er war ein Visionär und hat unmögliche Dinge wahrgemacht", heißt es. Ab 1988 hatte er offiziell keine operative Tätigkeit mehr im Konzern, verbrachte jedoch viel Zeit in den Shops und beriet das Unternehmen als graue Eminenz. Mit 84 Jahren habe ihn noch beschäftigt, dass das Personal gut versorgt ist und was Kundinnen und Kunden bewegt.
Einzig seine Vergangenheit wurde ihm beinahe zum Verhängnis. Während und auch nach dem Krieg hat er mit Nazis sympathisiert. Für diese "größten Fehler meines Lebens" hat er sich offiziell und öffentlich entschuldigt. In Älmhult dürften ihm die Menschen verziehen haben. (Andreas Danzer, 29.7.2023)