Anna Smirnowa im Sitzstreik.
Die sportlich klar unterlegene Anna Smirnowa dramatisierte die Situation.
AFP/ANDREAS SOLARO

Mailand – Die Fechterin Olha Charlan hat den Weltverbandspräsidenten Emmanuel Katsiadakis nach ihrer aufsehenerregenden Disqualifikation bei der WM in Mailand öffentlich des Wortbruches bezichtigt. Die Olympiasiegerin aus der Ukraine sagte, der Grieche habe ihr zugesichert, es sei "möglich" auf den verpflichtenden Handschlag nach ihrem Gefecht gegen die Russin Anna Smirnowa zu verzichten. "Ich dachte, ich habe sein Wort und bin sicher", sagte Charlan, "aber offensichtlich: Nein."

Charlan, in ihrer unter dem russischen Angriffskrieg leidenden Heimat ein Star, war nach ihrem Sieg über Smirnowa vom Weltverband FIE aus dem Wettbewerb genommen worden. Trotz der damit gesunkenen Chancen auf ein Ticket für die Olympischen Spiele 2024 in Paris würde sie immer wieder so handeln, sagte sie: "Meine Botschaft ist: Wir Athleten aus der Ukraine sind bereit, den Russen auf den Sportplätzen gegenüberzutreten, aber wir werden niemals ihre Hände schütteln."

Charlan hatte nach ihrem 15:7-Erstrundensieg keine Lust auf einen Handschlag mit Smirnowa. "Ihr Land bombardiert und tötet unsere Landsleute", hatte sie schon vor der Fecht-WM gesagt, nach ihrem Erstrundensieg deutete sie Smirnowa daher nur ein mögliches Kreuzen der Klingen an. Ihre Kontrahentin streckte demonstrativ die Hand aus, weigerte sich 45 Minuten lang, die Planche zu verlassen, und machte erst nach langen Diskussionen mit den Kampfrichtern Platz für den nächsten Kampf. Der Weltverband FIE legte die Regeln bezüglich gegenseitiger Respekterweisung streng aus – und disqualifizierte Gold-Kandidatin Charlan. Smirnowa profitierte davon sportlich nicht, ihre Niederlage blieb eine Niederlage. Charlans Zweitrundengegnerin kam dafür kampflos weiter.

Späte Zulassung

Bei der WM dürfen Fechterinnen und Fechter aus Russland und Belarus in den Einzelwettbewerben als neutrale Athleten starten. Die ukrainische Regierung hatte ihren Sportlern als Reaktion auf den Krieg zunächst untersagt, gegen Russen oder Belarussen anzutreten. Am Mittwoch wurde diese Vorgabe jedoch geändert, nun sind nur noch Kämpfe gegen Sportler untersagt, "die die Russische Föderation oder die Republik Belarus repräsentieren". Charlan hatte sich dafür bei Sportminister Wadym Hutzajt, selbst ehemaliger Fechter, eingesetzt.

Olha Charlan jubelt.
Olha Charlan hatte zu "Slava Ukraini"-Rufen ihres Teams klar gewonnen.
IMAGO/Matteo Arnoul / LiveMedia

Hutzajt fand bewundernde Worte für Charlans Haltung. "Das Wichtigste ist, dass sie die ukrainische Position gezeigt hat, dass wir nicht unseren Feinden, unseren Mördern die Hände schütteln können", sagte er. "Sie ist großartig, ich ehre und respektiere sie so sehr und liebe sie wie mein eigenes Kind."

Weltverband lange in russischer Hand

Weltverbandspräsident Katsiadakis war an der Spitze der FIE auf den Russen Alischer Usmanow gefolgt, der sein Amt nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 aufgeben musste. Der Milliardär hatte den Verband seit 2009 ununterbrochen angeführt und den internationalen Fechtsport mit seinem Geld unter Kontrolle gehalten.

Die FIE war einer der ersten Verbände, der der "Empfehlung" des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zur Wiederzulassung der nach dem Kriegsausbruch gesperrten Russen und Belarussen als "neutrale Athleten", gefolgt ist. 318 Fechterinnen und Fechter hatten den Weltverband in einem offenen Brief gebeten, die Entscheidung rückgängig zu machen, und sie als "katastrophalen Fehler" bezeichnet. "Es ist schwierig, den russischen Athleten die Teilnahme zu verweigern, weil sie auch olympische Träume haben. Aber auf der anderen Seite hast du die Interessen der ukrainischen Athleten. Sie sterben in diesem Krieg", sagte die Deutsche Lea Krüger. Deutschland und Polen hatten die Ausrichtung von Fecht-Weltcups daraufhin abgesagt. (red, sid, 28.7.2023)