In Wien wird "zu viel zubetoniert, zu viel Boden versiegelt, es werden zu viele Parkplätze errichtet, zu viele Wohnbauten ohne angemessene Begrünung (Bäume) gebaut, zu viel alter Grünbestand vernichtet, und wo junge Bäume gepflanzt werden, gehen sie oft wieder ein". Und jetzt, in einem noch heißeren Sommer, merkt man das plötzlich.

Hauptbahnhof
Schön heiß, der Vorplatz des Hauptbahnhofs.
© Christian Fischer

Das war die vom Autor dieser Zeilen vertretene These vor zwei Wochen, und es hat nicht lange gebraucht, bis Ulli Sima, SPÖ-Stadträtin für Stadtplanung und Stadtentwicklung, mit einer freundlich-geharnischten Replik dagegenhielt. Wer mit offenen Augen durch die Stadt gehe, könne sehen, dass "aktuell an allen Ecken und Enden Plätze und Straßen umgestaltet, entsiegelt, begrünt und gekühlt werden". Dazu wurde eine Reihe von Vorher-nachher-Fotos mitgeliefert.

Wie Städte gekühlt werden können
Video: Wie Städte gekühlt werden können
DER STANDARD

Der Praterstern: Einer der größten Verkehrsknotenpunkte der Stadt sei "nicht wiederzuerkennen". "Die Grünflächen wurden auf über 8.000 Quadratmeter, die Anzahl der Bäume auf 100 verdoppelt. Dazu ein begrünter Saum auf 1.400 Quadratmeter und Wiens größtes Wasserspiel." Auf dem einst schmuddeligen und absolut aufgeheizten Platz "finden sich heute Verliebte, springen Kinder durchs kühle Nass …", heißt es lyrisch. Rosa Einhörner wurden allerdings keine gesichtet.

Oder: die Thaliastraße. Auf der belebten Einkaufsstraße im 16. Bezirk wurden (Schnappatmung) 150 Parkplätze aufgelassen, 200 neue Bäume kühlen.

Oder: der Neue Markt in der Wiener Innenstadt. Vorher Großparkplatz, jetzt eine Steinplattenfläche mit einer Tiefgarage darunter – aber sechs XL-Bäume in Trögen plus blühende Gräserbeete.

Oder: Die Seestadt Aspern, ein Prestigeentwicklungsprojekt weit draußen, ursprünglich eine Asphaltwüste zwischen Wohnbauten, wurde "massiv umgestaltet". Sie habe zwei Millionen in die Hand genommen und den ehemals versiegelten Stadtteil "massiv nachbegrünt", sagt Ulli Sima.

Nachträgliche Begrünung

"Nachbegrünt" ist das Schlüsselwort. Alles, was Sima zu Recht anführt – und da gehören noch die Reinprechtsdorfer Straße, das Areal hinter dem Westbahnhof, die Zollergasse und die Schulgasse dazu –, ist nachträgliche Begrünung, einmal besser, einmal schlechter.

Was Sima großteils macht, ist, alte Sünden nachträglich auszubügeln. Wobei sie nicht darauf vergisst, die Verantwortung des grünen Ex-Koalitionspartners herauszustreichen: "Ich verstehe nicht, wie man den Praterstern und die Seestadt so machen konnte."

Sie ist sich aber völlig im Klaren darüber, dass es darum geht, Begrünung und Nichtversiegelung als neues Prinzip der Stadtgestaltung einzuführen: "Wir müssen das auf strategischer Ebene verankern."

Dann würden die zahlreichen städtischen Power-Player, die bei jedem Projekt mitreden – Feuerwehr, Müllabfuhr, Gaswerke, "die Wirtschaft" mit Gastro usw. –, klare Vorgaben haben, an die sie sich halten könnten.

Praterstern
Nachträglich begrünt, der Praterstern.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Eine Art Hyde Park

Notwendig sei ein neues Denken: "Wien ist ja grün, wir haben eh 1.000 Parks und machen neue, zum Beispiel im Sonnwendviertel hinter dem Hauptbahnhof, da soll eine Art Hyde Park entstehen. Aber das Problem ist der Raum zwischen den Häusern." Dort müsse Grün und Entsiegelung das oberste Prinzip werden.

Das ist der Punkt. Es wird zu wenig auf das geachtet, was Experten wie der Stadtforscher Robert Temel, Sprecher der Plattform Baukultur, die "notwendige Klimawandelanpassung der Stadt" nennen. Es wird oft einfach so weitergebaut wie immer, seien es öffentliche oder private Wohnbauten.

Auf Temels schlichte Formel gebracht: "Notwendig sind viel mehr Bäume und viel mehr unversiegelte Flächen." Das müsse flächendeckend passieren, "Pilotprojekte helfen nicht".

Beispiele dafür werden in den sozialen Medien herumgereicht. Der Twitter-Account "StadtundLand" zeigte kürzlich die fein säuberliche, völlige Asphaltierung der Kreuzung Hartlgasse/Greiseneckerstrasse in Wien 20 und die Versiegelung der Lasallestraße 1–3 mit Parkplätzen für 46 Autos.

Abgesehen davon gibt es noch genügend Altlasten: Reisende, die zum Hauptbahnhof oder zum Westbahnhof wollen, schleppen sich z. B. über glühende, schattenlose, riesige Flächen auf dem Vorplatz. Nennungen aus der STANDARD-Redaktion ergaben die Gegend um den Meidlinger Platz, den (an sich teilbegrünten) Kardinal-Rauscher-Platz, die Favoritenstraße (Sima: "steht vor Abschluss") und den Schwarzenbergplatz als "all-time high".

Stadtforscher Temel sagt, es gäbe viele gute Konzepte, aber sie seien nicht verpflichtend und nur Handlungsanleitungen, an die sich der Magistrat halte oder nicht.

Was zur Frage der politischen Durchsetzungsfähigkeit von Ulli Sima führt. Sie hält sich schon lange in der Politik, ist seit 2004 Stadträtin. Ihre Stärke hat sie an etlichen Alltagsthemen bewiesen, die man nicht bagatellisieren sollte. Dass Wien nicht mehr im Hundekot untergeht, ist ihr (nach einem Auftrag von Michael Häupl) zu verdanken. Derzeit versucht sie Ordnung in das E-Scooter-Chaos zu bringen: "Seit 1. Juni haben wir 3.000 Strafverfahren angestrengt." Die Einführung des grünen Denkens in die Wiener Stadtverwaltung ist allerdings eine etwas andere Dimension. (Hans Rauscher, 28.7.2023)