Kaum etwas schmeckt so sehr nach Sommer und Italien wie ein Prosecco: sei es als fruchtiger Begleiter zum "primo" zu Mittag; sei es, in der gestreckten und elaborierten Form eines Aperol Spritz, als fruchtig-eisgekühlte Erfrischung unter dem Sonnenschirm am Meeresstrand; sei es als anregender Aperitivo in der urigen Trattoria oder als trendiger Absacker an der abendlichen Strandpromenade, dem Lungomare.

Prosecco im Glas
Prosecco, einer der beliebtesten Exportartikel Italiens.
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Der Prosecco ist unkompliziert, natürlich und leicht, ein Ausdruck der "italianità". Mit seinem zart-prickelnden Aroma, oft an Akazienblüten, Äpfel und Birnen erinnernd, ist er der perlende Schluck für jede Gelegenheit, der einen gewöhnlichen erst zu einem richtigen Italien-Urlaub macht. Wie ein Gelato, eine Pizza oder Calamari fritti. Und in der Regel ist er auch noch ausgesprochen günstig – außer an den überlaufenen Tourismushotspots zwischen Venedig und Palermo.

Die Qualitäten des Prosecco sind längst auch außerhalb Italiens entdeckt worden: Mit einer Jahresproduktion von rund 460 Millionen Flaschen ist er zum meistverkauften Schaumwein der Welt geworden. Die wichtigste Rebsorte ist die Glera-Traube: Ihr Anteil muss mindestens 85 Prozent betragen.

25.000 Hektar

Die Prosecco-Welt ist riesig: Das Weinanbaugebiet, das das DOC-Gütesiegel (Denominazione di origine controllata, kontrollierte Ursprungsbezeichnung) führen darf, ist mit einer Fläche von rund 25.000 Hektar – das sind 250 Quadratkilometer – eines der größten Italiens. Es verteilt sich auf nicht weniger als neun norditalienische Provinzen: Triest, Görz, Udine, Pordenone, Belluno, Padua, Treviso, Venedig und Vicenza. Das Einzugsgebiet der qualitativ noch höherwertigen DOCG-Produktion (Denominazione di origine controllata e garantita, kontrollierte und garantierte Ursprungsbezeichnung) von Conegliano und Valdobbiadene in der Provinz Treviso ist naturgemäß deutlich kleiner: Es umfasst etwa 6500 Hektar, also 65 Quadratkilometer.

Die historische Wiege des Prosecco liegt in der Kleinstadt Conegliano in der Provinz Treviso, knapp 50 Kilometer nördlich von Venedig – oder genauer: in der historischen Kellerei Carpenè-Malvolti. Hier stellte Antonio Carpenè als 30-Jähriger im Jahr 1868, nur wenige Jahre nach der italienischen Einigung 1860, den ersten Prosecco her.

Von Massenproduktion konnte damals noch keine Rede sein: Zwar hatte bis dahin fast jeder Bauer seinen eigenen, mehr oder weniger trinkbaren Wein hergestellt – aber die gesamte bestockte Fläche der Provinz Treviso dürfte damals kaum mehr als ein paar wenige Hektar betragen haben. Welch Unterschied zu heute! Der größte Teil des Ackerlandes war im 19. Jahrhundert für den Anbau von Mais bestimmt.

Armut, Auswanderung

Und auch vom heutigen Wohlstand war in "Conejàn", wie die Stadt im Venezianischen genannt wird, noch nichts zu sehen, im Gegenteil: Der größte Teil der Region Venetien war damals bitterarm, viele Menschen entkamen dieser Schicksal nur durch Auswanderung, etwa in die USA. Seitdem hat Conegliano allerdings eine Blütezeit erlebt: Von 7800 Einwohnerinnen und Einwohnern im Jahr 1871 wuchs das Dorf zu einer Stadt mit über 35.000 Bewohnerinnen und Bewohnern an.

Hügellandschaft rund um Conegliano und Valdobbiadene
Die Hügellandschaft rund um Conegliano und Valdobbiadene mit ihren Weinbergen wurde 2019 ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen.
Carpenè-Malvolt

Der sozialen Misere wollte Antonio Carpenè ein Ende bereiten: Er war ein "Garibaldino" gewesen, hatte also an der Seite des italienischen Freiheitskämpfers und Helden des Risorgimento, Giuseppe Garibaldi, für die Einheit Italiens gekämpft. Und wie die meisten Mitstreiter und Mitstreiterinnen war er beseelt von dem Gedanken, dass der junge italienische Staat seinen Menschen nicht nur die Freiheit, sondern auch Fortschritt und Wohlstand bringen solle.

Und weil der gelernte Chemiker und Pharmakologe Carpenè das Potenzial der heimischen Glera-Traube – die damals noch Prosecco hieß – erkannte, kam er auf die Idee, daraus einen italienischen Schaumwein nach dem Vorbild des damals schon berühmten und teuren französischen Champagners zu keltern.

"Champagne Italiano"

Tatsächlich produzierte Carpenè seine ersten Schaumweinflaschen nach der Champagner-Methode, bei der die zweite Gärung bereits in der Flasche erfolgt. Naheliegend also, dass er sein neues Produkt damals noch nicht "Prosecco", sondern "Champagne Italiano" nannte. Der Pionier merkte aber bald, dass die Champagner-Methode zu aufwendig war und mit zwei Jahren Gärung auch viel zu lange dauerte, um für die örtlichen Bauern wirtschaftlich interessant zu sein und daher überhaupt infrage zu kommen.

So stellte Carpenè alsbald auf die Charmat-Methode – auch Martinotti-Methode genannt – um, die gerade erst im Piemont, im Nordwesten des jungen italienischen Staates, erfunden worden war und die er weiter entwickelte. Trotzdem nannte er seinen Schaumwein weiterhin "Champagne Italiano". Die Bezeichnung Prosecco auf dem Flaschenetikett erfolgte erst viel später im Jahr 1924, als die französische Champagne als Herkunftsgebiet und -bezeichnung geschützt wurde.

Bei der Charmat-Methode erfolgt die zweite Gärung des Grundweins im sogenannten Autoclave, einem großen Drucktank aus Edelstahl. Sie dauert statt zwei Jahre nur noch vier Wochen („Charmat corto“) bis höchstens einige Monate („Charmat lungo“). Mit diesem Verfahren werden die Schaumweine leichter als ein Champagner, dessen Geschmack sich während der langen Gärung außerdem noch ständig verändert. Auch die Entfernung der Heferückstände ist einfacher: Der Prosecco wird im Autoclave zentrifugiert und anschließend gefiltert, auf null Grad abgekühlt und in Flaschen abgefüllt.

Schnell und günstig

Bei der Flaschengärung des Champagners muss jede Flasche einzeln geöffnet, die Heferückstände müssen entfernt, etwas Wein nachgefüllt und die Flasche zum Schluss wieder verkorkt werden. Es liegt auf der Hand, dass die italienische Prosecco-Produktion sehr viel billiger ist als diejenige des französischen Champagners.

Büste von Prosecco-Erfinder und Freiheitskämpfer Antonio Carpenè
Die Büste von Prosecco-Erfinder und Freiheitskämpfer Antonio Carpenè vor der Önologen-Schule in Conegliano. Er war Mitbegründer des Instituts.
Carpenè-Malvolti

Nachdem er für seinen Prosecco – damals freilich noch mit dem Namen "Champagne Italiano" – die ersten Preise erhalten hatte, fehlte noch der entscheidende Schritt: Die Charmat-Methode musste auch den Landwirten der Gegend im wörtlichen und übertragenen Sinne des Wortes schmackhaft und zugänglich gemacht werden. Also gründete Carpenè zusammen mit dem Ingenieur und Önologen Giovanni Battista Cerletti – auch er ein "Garibaldino" – in Conegliano im Jahr 1876 kurzerhand die erste Önologieschule Italiens.

"Visionär und Dickschädel"

"Antonio Carpenè war ein Visionär und Dickschädel", erzählt die Unternehmenssprecherin der Kellerei Carpenè-Malvolti, Marzia Morganti dem STANDARD. "Er war regelrecht besessen davon, den Menschen in seiner Gegend neue Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen." Carpenè sorgte auch dafür, dass die Schule staatlich geführt wurde und damit für alle kostenlos war. Die Schule – heute heißt sie Istituto Cerletti – zählt mittlerweile 2000 Studierende aus der ganzen Welt und arbeitet eng mit der Universität Padua zusammen.

Ein weiteres eisernes Prinzip von Carpenè bestand darin, dass er den Bauern nur die Trauben abkaufte – nicht aber das Land. Ein großer Unterschied zu den meisten großen Kellereien in der Toskana oder im Piemont, deren Weingüter nicht selten Hunderte von Hektar umfassen.

Dies hat im Prosecco-Gebiet nicht nur dazu geführt, dass die Bauern autonom blieben und nicht zu bloßen Landarbeitern im Dienst der großen Kellereien wurden, sondern es hat auch die Entstehung einer hohen Zahl von kleinen, eigenständigen Weinproduzenten begünstig, die – zumindest im DOCG-Anbaugebiet von Conegliano und Valdobbiadene – zu einer großen Vielfalt der Prosecco-Weine geführt hat. Treviso ist, wie es sich Carpenè erträumt hatte, nicht zuletzt dank des Proseccos zu einer der wohlhabendsten Provinzen der ganzen Nation geworden. Salute! (Dominik Straub aus Conegliano, 29.7.2023)