Dass Putschisten kurz nach einem erfolgreichen Staatsstreich wieder von der Macht lassen, kommt so gut wie nie vor: Trotzdem scheinen sowohl Nigers Nachbarstaaten wie die Vereinten Nationen und westliche Regierungen die Hoffnung nicht aufgegeben zu haben, dass die Junta in dem Sahel-Staat wenige Tage nach ihrem Coup wieder umdenken könnte. Im Rahmen einer für Sonntag berufenen Sondersitzung des westafrikanischen Staatenbunds Ecowas in der nigerianischen Hauptstadt Abuja wurden die neuen militärischen Machthaber im Niger zu einer Revision ihres Coups innerhalb von einer Woche aufgerufen, andernfalls müssten sie mit einem Einmarsch von Ecowas-Truppen rechnen.

Außerdem wurden finanziellen Sanktionen über das Land verhängt. Die Afrikanische Union (AU) gab den Putschisten immerhin zwei Wochen Zeit, um ihren Machtanspruch zu revidieren. Und die US-Regierung sieht ebenfalls noch "Raum für Diplomatie", wie der Sprecher des Weißen Hauses für Sicherheitsfragen, John Kirby, mitteilte. Frankreichs Außenministerin Catherina Colonna spricht hartnäckig von einem "Putschversuch" und versichert, dass Paris den sich selbst zum Staatschef ausgerufenen Chef der Präsidentengarde, General Abdourahmane Tchiani, niemals billigen wird. Überhaupt hat bislang kein Staat der Welt Nigers Junta als Regierung anerkannt.

Anhänger der Putschisten in der Hauptstadt Niamey
Am Sonntag demonstrierten Anhänger der Putschisten in der Hauptstadt Niamey.
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Unterdessen warnten die nigrischen Putschisten Ecowas vor einer militärischen Intervention. Eine derartige Intervention würde "Chaos und ein Massaker unter der nigrischen Bevölkerung" zur Folge haben, sagte Tchiani in einer TV-Ansprache. Umgekehrt sieht sich Ecowas zu einer harschen Reaktion auf den Staatsstreich gezwungen, um die Welle der Coups in seinem Territorium zu stoppen: In vier der 15 Mitgliedsstaaten von Ecowas fand in den vergangenen drei Jahren ein Militärputsch statt. Allerdings hatten scharfe Sanktionen in den drei vorausgehenden Fällen – in Mali, Burkina Faso und Guinea – nicht die erwünschte Wirkung.

Immer noch Hoffnung

Hoffnung schöpfen die Unterstützer des seit fünf Tagen in seiner Residenz festgesetzten Präsidenten Mohamed Bazoum aus dem Umstand, dass es sich bei dem Putsch weniger um die Unzufriedenheit der Mehrheit der Bevölkerung als um diejenige eines einzelnen Generals handeln könnte. Tchiani hatte damit rechnen müssen, dass ihn Bazoum im Rahmen einer umfangreichen Reform des Sicherheitsapparats nach dem Chef der Streitkräfte und der Gendarmerie ebenfalls auswechseln wird. Die Armee zögerte zwei Tage lang, sich hinter den Putsch zu stellen. Seine Unterstützung begründete Armeechef Abdou Sidikou Issa schließlich mit dem Hinweis, Blutvergießen zwischen den Sicherheitskräften müsse unbedingt vermieden werden.

Ob die Bevölkerung mehrheitlich hinter Tchiani oder Bazoum steht, ist schwer zu sagen. Gleich nach dem Coup kam es zu Straßenprotesten gegen die Putschisten, die von der Präsidentengarde mit Gewalt erstickt wurden. Einen Tag später gingen die Anhänger Tchianis auf die Straße und steckten das Büro von Bazoums "Partei für Demokratie und Sozialismus" (PNDS) in Brand. Am Sonntag wurden sie von der Junta sogar "eingeladen", ihre Straßenproteste fortzusetzen. Als Begründung für den Coup gab Tchiani neben "Korruption" und "Misswirtschaft" das Versagen der Regierung im Kampf gegen islamistische Extremisten an. Allerdings konnte Bazoum in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit durchaus Erfolge vorweisen. Im Niger kam bei Angriffen der Extremisten im vergangenen Jahr nur ein Zehntel der Menschen um, die in den Militärdiktaturen Mali und Burkina Faso ihr Leben verloren.

Warum Demonstranten in Niger russische Fahnen schwenken
Einwohner scheinen den Militärputsch im afrikanischen Land Niger zu unterstützen. In der Hauptstadt Niamey gehen hunderte auf die Straße. Sie schwenken russische Flaggen und verbrennen solche aus Frankreich
AFP

Die Europäische Union stellte inzwischen ihre Budgethilfe und die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich mit Niamey ein. Auch die US-Regierung stellte eine Einstellung ihrer "bedeutenden Hilfe" (Außenminister Antony Blinken) für Nigers Bevölkerung in Aussicht. Der drittärmste Staat der Welt erhält nach Angaben der Weltbank jährlich zwei Milliarden US-Dollar an staatlicher Entwicklungshilfe. Was mit den 1.500 französischen, 1.100 US-amerikanischen und mehreren hundert europäischen Soldaten geschehen wird, falls die Putschisten die Macht nicht wieder abgeben, ist bislang noch ungewiss.

Übergriff auf französische Botschaft

Am Sonntag versammelten sich tausende Anhänger der Putschisten vor der französischen Botschaft in Niamey. Der Versuch der Erstürmung wurde von Sicherheitskräften mit Tränengas unterbunden. Ein Schild mit der Aufschrift "Botschaft Frankreichs in Niger" wurde abgerissen und durch nigrische und russische Flaggen ersetzt. Einige Demonstranten riefen "Lang lebe Russland", "Lang lebe Putin" und "Nieder mit Frankreich". Frankreich setzte am Samstag die Entwicklungs- und Finanzhilfen für das Land aus.

Putschistenanhänger in Niamey.
Putschistenanhänger griffen die französische Botschaft an.
AFP/-

Der französische Präsident Emmanuel Macron warnte vor Angriffen auf die französische Institutionen und Bürger in dem westafrikanischen Land. Macron werde "keinen Angriff gegen Frankreich und seine Interessen dulden", hieß es am Sonntag aus dem Elysée-Palast. Jeder, der französische Staatsangehörige angreife, "wird mit einer sofortigen und unerbittlichen Reaktion Frankreichs rechnen müssen." Frankreich unterstütze gleichzeitig "alle regionalen Initiativen", die auf die "Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung" in dem westafrikanischen Land und die Rückkehr des von Putschisten festgesetzten Präsidenten Mohamed Bazoum abzielten. (Johannes Dieterich, red, 30.7.2023)