Der zu Ende gehende Juli hat nicht nur weltweit für Temperaturrekorde gesorgt. Auch was Hagel angeht, wurden in den vergangenen Wochen in Europa Rekorde gebrochen: Am 19. Juli wurde in Carmignano di Brenta in Norditalien eine Hagelkugel mit einem Durchmesser von 16 Zentimetern gefunden und stellte damit alle bisherigen Funde in den Schatten. Doch nur wenige Tage später musste das Europäische Unwetterinstitut (ESSL) schon den nächsten Hagelrekord bekanntgeben: Mit einem Durchmesser von 19 Zentimetern stammt der neue Rekordhalter aus dem norditalienischen Azzano Decimo.

Hagelkörner, Hagel, Unwetter
Extreme Unwetter brachten in der vergangenen Woche in Teilen Europas nicht nur Stürme und Starkregen, sondern verursachten auch schwere Hagelschäden. Besonders Norditalien war davon betroffen, aber auch in Teilen Österreichs hagelte es heftig.
IMAGO/Bernd März

Frage: Werden Hagelereignisse in Europa häufiger und heftiger?

Antwort: Wie ESSL-Direktor Pieter Groenemeijer dem STANDARD bestätigt, verzeichnete das Europäische Unwetterinstitut heuer und im letzten Jahr eine Zunahme an Hagelereignissen, sowohl bei der Häufigkeit wie auch bei der Größe der Hagelkörner. "Obwohl wir seit zwei Jahren eine deutliche Zunahme sehen, ist das aber noch eine zu kurze Zeitspanne, um daraus einen generellen Trend abzuleiten", sagt Groenemeijer. Doch es gebe einige meteorologische Trends, die zunehmende Hagelereignisse in Europa plausibel machen.

Frage: Warum kam es zuletzt in Europa gehäuft zu heftigem Hagel?

Antwort: Der treibende Faktor für Hagel ist ein hoher Anteil an Wasserdampf in den unteren Schichten der Atmosphäre. "Genau das scheint durch den Klimawandel zuzunehmen", sagt Groenemeijer. Zuletzt haben auch die hohen Wassertemperaturen im Mittelmeer zu mehr Wasserdampf in der Atmosphäre geführt. Dazu kommen Instabilitäten in der Atmosphäre, die durch den Klimawandel ebenfalls zunehmen. All das sind ideale Bedingungen für häufigeren und heftigeren Hagel. "Wenn es viel Wasserdampf in den unteren Schichten der Atmosphäre gibt, bedeutet das, dass es mehr Energie gibt, die sich in Gewittern entladen kann. Durch die größeren Sturmgeschwindigkeiten können auch größere Hagelkörner transportiert werden", sagt Groenemeijer.

Frage: Weshalb lässt sich Hagel so schwer vorhersagen?

Antwort: Eine große Schwierigkeit bei der Prognose von Hagel und Gewittern besteht darin vorherzusagen, in welche Richtung sich Stürme genau bewegen werden. "Sogar wenige Stunden zuvor ist das relativ schwierig, weil man nie genau wissen kann, welchen Weg der Sturm wählen wird", sagt Groenemeijer. Immer besser ist hingegen die Analyse der meteorologischen Bedingungen auf großen Skalen möglich – wie die Menge an Wasserdampf, Windgeschwindigkeiten in der Höhe und andere Faktoren, die Gewitter triggern können. "Wenn diese Zutaten in einer bestimmten Gegend zusammenkommen, dann können wir für diese Gegend eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für Gewitter und Hagel vorhersagen", sagt Groenemeijer.

Frage: Welche spezielle Rolle haben die Alpen bei der Entstehung von Hagel?

Antwort: Dass die jüngsten Hagelrekorde in Norditalien verzeichnet wurden und auch Kärnten und Teile der Steiermark besonders von Hagel betroffen waren, ist kein Zufall: "Die schlechte Nachricht ist, dass die Alpen die Wahrscheinlichkeit für Stürme und Unwetter erhöhen", sagt Groenemeijer. Das sei auch der Grund, warum starke Hagelereignisse besonders häufig südlich der Alpen auftreten. "Die gute Nachricht ist, dass wir bei den Alpen präzisere Prognosen machen können, wir können besser vorhersagen, wo der Sturm durchziehen und Hagel fallen wird."

Hagel, Ernte
In der Landwirtschaft sorgt Hagel regelmäßig für Ernteschäden.
REUTERS/CLAUDIA GRECO

Frage: Wie sollte man sich verhalten, wenn man in einen Hagel gerät?

Antwort: Sind Gewitter oder Hagel prognostiziert, ist von Wanderungen in die Berge auf jeden Fall abzusehen, sagt Groenemeijer. Nicht nur Hagel, sondern auch Blitze sind im Gebirge sehr gefährlich. Gerät man beim Autofahren in einen Hagelschauer, ist man hingegen relativ sicher, sagt Groenemeijer. Bei großen Hagelkörnern gilt es, sich vor Splittern in Acht zu nehmen und gegebenenfalls das Gesicht von den Autoscheiben wegzudrehen, falls diese eingeschlagen werden. "Das ist zwar nicht besonders originell, aber das Beste ist, die Prognosen im Blick zu halten und sich bei vorhergesagten Gewittern möglichst in Gebäuden aufzuhalten", sagt Groenemeijer. (Tanja Traxler, David Rennert, 31.7.2023)