Salzburg
Traf die Wiener Philharmoniker: Christian Thielemann.
Borrelli

In Salzburg, wo sie als Festspielorchester nunmehr Mozarts Figaro und Verdis Macbeth mitgestaltet haben, überkommt einen das Gefühl, es gäbe die Wiener Philharmoniker mehrfach. Zwischen Opern auch noch Konzerte? Das fordert, ist nun mal aber das philharmonische System. Und stimmungsmäßig passt ja so ein Brahms-Requiem heuer auch zu den letalen Vorgängen in den bisherigen Opern dieser noch jungen Festspiele. Nicht nur Macbeth, auch Figaro hat diesmal mit dem Tod zu tun.

Christian Thielemann treffen die Philharmoniker jedenfalls gerne. Wenn schon keine Oper mit ihm in Salzburg, dann zumindest Konzerte. Das Verhältnis war vor Corona gut, entlang der Aufnahmen aller Bruckner-Symphonien – teils zu Zeiten der Lockdowns – wurde es womöglich noch enger. Das interessante Ergebnis kommt als Box heraus, auch die beiden frühen Symphonien in f-Moll und d-Moll sind dabei.

Es funktioniert bei diesem Duo aber auch, was – historisch gesehen – eine ästhetsche Gegenposition zu Bruckner war, nämlich Brahms. Sein deutsches Requiem braucht tröstenden Klang und dynamische Unerbittlichkeit. An der Grenze zur Stille agiert man denn auch zu Beginn, wenn der Wiener Singverein "Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden", haucht.

Der Todesstachel

Thielemann, der 2024 auch das Neujahrskonzert leitet, ist bekanntermaßen auch die große dramatische Geste nicht fremd. Imposant die Entladungen bei Denn alles Fleisch, es ist wie Gras. An anderer Stelle – mit dem charaktervoll und subtil tönenden Michael Volle – explodiert der kollektive Vokalpart regelrecht bei "Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo dein Sieg?"

Solch zorniger Überwältigung stellt der deliziöse Sopran von Elsa Dreisig im fünften Teil Ihr habt nur Traurigkeit lyrische Melancholie entgegen, die auch philharmonisch untermauert wird. Melancholie wird sich wohl auch orchestral einstellen, wenn die Philharmoniker in Salzburg mit Andris Nelsons (5. und 6. 8.) Mahlers Vierte spielen oder mit Franz Welser-Möst Strauss’ Metamorphosen nebst Werken von György Ligeti (20. und 21. 8.), der heuer 100 geworden wäre.

Aimard fasziniert

In Salzburg ist ihm eine Reihe gewidmet. Abseits des Rummels bietet sie Moderne und Künstler und Künstlerinnen von Weltformat, die dem Blitzlicht des Boulevards egal sind. Pianist Pierre-Laurent Aimard etwa gab sich am Sonntag der Aufgabe hin, Ligetis Etüden umzusetzen. Frappierend wie der Franzose zwischen polyrhythmischer Dauerbelastung, dem Liniengewitter und den zuweilen maschinell anmutenden Strukturen bis zum Schluss Intensität aufrechthielt.

Neben dem Wilden – wie etwa Coloana infinita mit Höchstanforderungen bis an die Obergrenze des Klaviers – war aber auch Innehalten mit jener an Debussy anschließenden Etüde En Suspens möglich. Aimard ist und bleibt der Ligeti-Interpret. Er hat ja die Etüden schon 1997 eingespielt – bei Sony, das übrigens auch die Bruckner-Box der Philharmoniker publizieren wird. Kontraste zwischen Faststille und opulenter kollektiver Dramatik: Christian Thielemann dirigierte das Brahms-Requiem als erstes philharmonisches Stück dieses Sommers. (Ljubisa Tosic,1.8.2023)