grüne Patina und Rost auf Schwert und Spiegel, archäologischer Fund
Die Beigaben des eisenzeitlichen Grabs stellten Fachleute vor die Frage: Wer war hier eigentlich bestattet?
The Historic England Archive, Historic England

Mit Klischees ist es so eine Sache. Sie helfen uns, eine Situation ohne weitere Kenntnisse schnell einschätzen zu können, sind im Einzelfall aber wenig aussagekräftig. Das ist besonders schwierig, wenn man ein Klischee oder eine Einschätzung auf Basis weniger Begegnungen entwickelt. Im Fall der Archäologie ist besonders heikel, dass es für eine bestimmte Epoche, Region oder Gemeinschaft mitunter nur wenig Funde gibt und man daraus folgernd Hypothesen formuliert, die mit entsprechender Vorsicht zu genießen sind. Außerdem: Wie man über frühere Zeiten denkt, hängt auch mit dem aktuellen Zeitgeist und der Reaktion auf frühere Interpretationen zusammen.

So ist es wenig verwunderlich, dass Waffenfunde in einem Grab vor allem die Schlussfolgerung zuließen: Hier liegt ein Mann bestattet. Dies trifft je nach Population oft auch auf den Großteil der Fälle zu. Doch es lohnt sich der Blick auf die Abweichungen von dieser "Regel". Immerhin ist fraglich, ob sich eine Gemeinde immer leisten konnte, nicht nur bei der Jagd, sondern auch bei Kämpfen auf körperlich fitte Frauen zu verzichten. Mehrere Funde untermauerten, wovon in mythologischen Texten die Rede ist: Kriegerinnen gab es. Und analog zu ihren Kollegen wurden sie mit Schwertern bestattet.

Untergegangene Monumente

Ein interessantes Beispiel stellte Fachleute seit dem Fund 1999 auf einer britischen Insel vor ein Rätsel. In einem Grab aus der späten Eisenzeit wurden sowohl ein Schwert als auch ein Spiegel entdeckt. Während das Schwert im Durchschnitt öfter bei Männern gefunden wird, gilt der Spiegel eher als weibliches Attribut. Ein Forschungsteam um Simon Mays von der Universität Edinburgh und der englischen Denkmalpflegebehörde Historic England fand heraus, dass dort wohl eine Frau bestattet wurde. Die Studie wurde im Fachblatt "Journal of Archaeological Science: Reports" veröffentlicht.

Die Grabstätte, die auf das erste Jahrhundert vor Christus datiert wurde, befindet sich auf der Insel Bryher. Sie ist die kleinste der fünf bewohnten Scilly-Inseln, die zum Vereinigten Königreich gehören und vor der Südwestspitze von England liegen. Bewohnt sind die Inseln schon seit der Steinzeit, als der Meeresspiegel niedriger war. Ab der letzten Kaltzeit, die vor rund 12.000 Jahren endete, stieg der Pegel dort um bis zu 100 Meter. Noch heute sind einige der hunderten Steinmonumente aus der Jungsteinzeit und Bronzezeit nur bei Ebbe zu sehen, manche Fundstätten stehen dauerhaft unter Wasser.

Isles of Scilly im Atlantik, von oben betrachtet
Die Scilly-Inselgruppe im Atlantik befindet sich etwa 45 Kilometer vor dem englischen Festland. Im Hintergrund rechts kann man die Insel Bryher sehen.
Historic England Archive

Zerfallenes Skelett

Beerdigt wurden die Menschen damals in eigens angelegten Steinhügeln, teils allein, teils in Gruppen. Der Fund von der Bryher-Insel aus dem Jahr 1999 ist das am reichsten ausgestattete Grab dieser Region. Neben einem gut 80 Zentimeter langen Eisenschwert und einem Bronzespiegel zählten zu den Grabbeigaben auch die Überreste eines mit Kupfer beschlagenen Holzschilds, eine Kupferfibel, ein Ring sowie Überbleibsel eines Schaffells und eines gewebten Stoffs. Die Kombination kriegerischer Artefakte mit einem Spiegel ist ein Unikum für westeuropäische Bestattungen der Eisenzeit.

Grab mit Steinen vor der Ausgrabung
So sah das mit Steinen bedeckte Grab vor tiefergehenden Untersuchungen aus.
Cornwall Archaeology Unit

Üblicherweise werden Beigaben mit Skelettmerkmalen der Verstorbenen abgeglichen, die ebenfalls Hinweise auf das biologische Geschlecht liefern können. In diesem Fall war diese Analyse jedoch kaum möglich. Vom Skelett hatte der Zahn der Zeit wenig übrig gelassen. Die winzigen Zahn- und Knochensplitter bringen es in Summe auf nur etwa 150 Gramm Skelettmaterial. Die Abnutzung der Backenzahnreste lassen immerhin die Vermutung zu, dass die verstorbene Person zum Zeitpunkt ihres Todes etwa 20 bis 25 Jahre alt war.

Erstaunlich klares Ergebnis

Das Forschungsteam, dem auch der renommierte US-amerikanische Humangenetiker David Reich angehörte, versuchte, den alten Knochen DNA abzugewinnen. Erste Analysen nach dem Fund hatten zu keinem Ergebnis geführt, und trotz der zwischenzeitlich weiterentwickelten Methoden gelang bei derart zerstörtem Genmaterial keine DNA-Untersuchung.

Mehr als 150 Gramm an Knochen- und Zahnresten blieb von der bestatteten Person nicht übrig.
Historic England Archive

Glücklicherweise sah das bei uralten Eiweißstoffen aus dem Zahnschmelz anders aus. "Zahnschmelz ist die härteste und beständigste Substanz im menschlichen Körper", sagt Studienautor Glendon Parker von der University of California in Davis. Dies könne man sich zunutze machen, weil darin enthaltene Proteine im Vergleich zur DNA die Zeit besser überdauern. Dies hilft auch bei der Geschlechtsbestimmung. Es gibt Peptide oder kleine Proteine, deren Bauplan auf den Geschlechtschromosomen X und Y steht. Findet man keine für Männer typischen Peptide im Zahn, lässt das also auf einen XX-Chromosomensatz schließen und damit in den meisten Fällen auf eine Frau. Die Forschungsgruppe fand im Fragment eines Eckzahns mehr als 1.000 Peptide.

"So konnten wir eine 96-prozentige Wahrscheinlichkeit berechnen, dass es sich um ein weibliches Individuum handelt", sagt Parker. Ein bemerkenswert eindeutiges Ergebnis angesichts des schlechten Zustands der Knochen: "Man fragt sich, was man bei einer erneuten Untersuchung anderer stark zersetzter Grabfunde noch entdecken könnte."

Weitere Möglichkeiten

Prinzipiell besteht auch die Möglichkeit, dass zwei Personen in einem Grab bestattet wurden. Den Fachleuten zufolge gibt es kaum Anzeichen dafür: Die übrig gebliebenen Knochen und Zähne lassen eher auf ein Individuum schließen, ebenso die Größe des Grabs und die Tatsache, dass nur eine Fibel gefunden wurde (die sich überraschenderweise aber nicht wie für einen Mantelverschluss üblich im Brustbereich befand, sondern in der Nähe der Füße).

Archäologie Schwert Griff
An dem verrosteten Schwert sind teilweise noch Verzierungen zu erkennen.
The Historic England Archive, Historic England

Erwogen wird die Option in der Studie nicht, aber denkbar ist zudem, dass die verstorbene Person trotz XX-Chromosomensatz maskuline Geschlechtsmerkmale entwickelte. Dies kann etwa bei intersexuellen Menschen passieren, wenn sie kein Y-Chromosom aufweisen, ihr Körper aber vermehrt typisch männliche Sexualhormone (Androgene) produziert. Zwar betreffen Phänomene wie das Adrenogenitalsyndrom (AGS) wohl nur maximal eine von 5.000 Geburten, sind aber freilich bei historischen Todesfällen nicht auszuschließen.

Das Team berichtet, dass es sich in diesem Fall um das einzige Frauengrab auf den Scilly-Inseln handle, bei dem Waffen entdeckt wurden. Womöglich hatte die reich Bestattete also eine wichtige Rolle bei Überfällen auf andere Gemeinschaften und der Verteidigung ihrer eigenen, vermuten die Fachleute. Denkbar sei auch, dass sie "auch nach ihrem Tod eine kämpferische oder schützende Rolle spielen und als übernatürliche Hüterin für ihre Gemeinschaft fungieren" sollte.

Nützlicher Spiegel

Interessant ist auch die Rolle des Spiegels. Bisher wurden derartige Objekte teils gemeinsam mit Schminkutensilien aufgefunden, was diesmal nicht der Fall war. Das Forschungsteam zieht eine rituelle Nutzung als Vermittler zwischen verschiedenen Welten in Betracht, geht aber im Kontext der Waffen auch auf strategischen Nutzen ein: Die Möglichkeit, Sonnenlicht zu reflektieren und so Signale über weite Strecken zu senden, "könnte für eine Inselgemeinschaft zur Kommunikation mit benachbarten Inseln und mit Schiffen auf See von Nutzen gewesen sein". Mit diesem Mittel ließen sich auch Überfälle oder Verteidigungsstrategien besser koordinieren.

Spiegel Archäologie Fund
Der Bronzespiegel könnte auch bei der Koordination von Überfällen eine Rolle gespielt haben.
The Historic England Archive, Historic England

Letztendlich ist es naheliegend, aber nicht zwingend notwendig, dass die Artefakte auf die soziale Rolle der Toten zu Lebzeiten hinweisen, schreiben die Fachleute. Nichtsdestotrotz bieten die Erkenntnisse eine spannende Neuinterpretation des Fundes und Hinweise auf die "führende Rolle einer Frau in der Kriegsführung auf den Scilly-Inseln in der Eisenzeit", sagt Studienautorin Sarah Stark von Historic England.

Berühmte Anführerin

Obwohl sich die Symbolik von in Gräbern gefundenen Gegenständen nie vollständig verstehen ließe, deute die Fundlage auf eine Frau von hohem Status hin, die möglicherweise eine führende Rolle in der lokalen Kriegsführung spielte. Womöglich waren Frauen während der Eisenzeit stärker als gedacht an Überfällen beteiligt, "was den Grundstein dafür gelegt haben könnte, dass es später Anführerinnen wie Boudicca gab."

Boudicca, die heute als nationale Ikone gilt, führte in den Jahren 60 und 61 keltische Stämme gegen die römische Besetzung der britannischen Insel an. Während des Aufstands sollen rund 70.000 Siedlerinnen und Siedler aus dem römischen Reich und romanisierte Britannierinnen und Britannier getötet worden sein, ähnlich hoch fielen wohl auch die Verluste beim Zurückschlagen des Widerstands aus. Ins Jahr 61 fällt auch Boudiccas Tod: Aufzeichnungen zufolge beging sie Suizid und vergiftete sich, einer anderen Überlieferung zufolge starb sie nach einer Erkrankung. Wo die Heerführerin bestattet wurde, bleibt weiterhin ein Rätsel. (Julia Sica, 6.8.2023)