Weizenfelder vor der Ernte in Brasilien
Handelsüblicher Weizen könnte in Zukunft Eigenschaften des Einkorns annehmen.
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Täglich sind wir mit seinem Endprodukt konfrontiert: Weizen wird für Brot und allerlei Süßspeisen verwendet. Seine Bedeutung kann kaum überschätzt werden. Die Ernährung von etwa einem Drittel der Erdbevölkerung hängt von ihm ab. In Anbetracht des Klimawandels könnte diese Abhängigkeit aber zum Problem werden, da sich längere und über den Globus zeitgleich auftretende Dürrezeiten negativ auf die Ernte auswirken. Um darauf vorbereitet zu sein, müssen in Zukunft widerstandsfähigere Getreidesorten entwickelt werden. Unterstützung dafür könnte überraschenderweise vom Urgetreide Einkorn kommen.

Vor fast genau fünf Jahren wurde das Genom des Brotweizens entschlüsselt, jetzt ist das Einkorn dran. Ein Forschungsteam der King-Abdullah-Universität in Saudi-Arabien unter der Leitung von Simon Krattinger und Jesse Poland analysierte nun erstmals das gesamte Genom und liefert neue Erkenntnisse über die Geschichte und Verwandtschaften des Einkorns, die in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Nature" erschienen sind.

Harte Konkurrenz

Noch vor wenigen Jahrzehnten stand das Einkorn kurz vor dem Aussterben. Ein ungeahntes Schicksal für eine der ältesten Weizensorten überhaupt. Denn die Erträge des modernen Brotweizens mit durchschnittlich 7,5 Tonnen pro Hektar übertreffen das Einkorn bei weitem: Dieses liefert nur 1,5 bis 2,5 Tonnen Weizen pro Hektar, drei Tonnen pro Hektar bei sehr gutem Boden. Auch die Handhabung ist komplizierter. Im Gegensatz zu älteren Weizenarten ist der Brotweizen in seiner papierartigen Hülle – Spelze genannt – weicher, wodurch er sich leichter ausdreschen lässt. Der Stängel, der die Samen verbindet, ist robuster und verhindert so ein Abfallen der Samen von der Pflanze vor der Ernte. All das ist kein Vorteil für die Kultivierung der alten Sorte.

Doch das Einkorn schaffte die Trendwende. Während es in den 1960er-Jahren in einer relevanten Größenordnung nur noch in der Türkei zur Verwendung als Tierfutter angebaut wurde, kürten es in den vergangenen Jahren Köche und Journalistinnen wie Melissa Clark zum Superfood. Einige Restaurants bieten es wieder als Risotto oder nutzen das Mehl für Süßspeisen. Und das zu Recht: Es ist leicht verdaulich und äußerst gesund – es enthält die doppelte Menge an den Mineralstoffen Eisen, Kupfer, Zink und Selen im Vergleich zum Brotweizen.

Vor rund 10.000 Jahren im Mittleren Osten kultiviert, ist das Einkorn zentral für die menschliche Entwicklung zu Agrargesellschaften. Die bewegte Evolutionsgeschichte des Einkorns wird in der DNA-Sequenz sichtbar: Die Forschenden konnten nun zeigen, dass domestiziertes Einkorn höchstwahrscheinlich “nahe zu wildem Einkorn und anderen Weizensorten" wuchs, was zu einer Vermischung zwischen den Arten führte. Es herrschte außerdem ein reger Austausch zwischen wilden und bereits domestizierten Weizensorten. Die Forschenden erklären sich dadurch auch die genetische Schnittmenge von rund einem Prozent zwischen Einkorn und Brotweizen, obwohl sie keine direkten genetischen Verwandten sind.

Neue Perspektiven

In durch den Klimawandel ausgelösten, länger andauernden Dürreperioden wird es einerseits umso wichtiger, den Anbau von Getreide zu diversifizieren. Andererseits können bestehende Sorten so verändert werden, dass sie gegen Hitze- und Trockenheitsstress resistenter werden. Das Einkorn könnte in beiden Fällen eine wichtige Rolle spielen, denn es wächst auch auf mageren Böden. Krattinger sagt dazu: "Die Erkenntnisse unseres Labors werden dazu beitragen, gezielt nützliche Gene aus dem Einkorn in den Brotweizen zu übertragen." Die Entschlüsselung der DNA ist daher, wie so oft, erst der Anfang der Geschichte. (Sebastian Lang, 5.8.2023)