Zu Beginn der Kämpfe in der Ukraine, im Frühjahr vergangenen Jahres, hatte die Künstlerin Alexandra Skotschilenko eine Idee. Die junge Frau dachte sich: Viele Menschen in Russland schauen ausschließlich Staatsfernsehen – und gehen zum Einkaufen in den Supermarkt. In den Supermarkt ging die Künstlerin auch. Dort tauschte sie die Preisschilder gegen Zettel aus, auf denen Informationen über die Opfer des Krieges in der Ukraine zu lesen waren. "Rekordinflation durch Militäreinsatz" stand da. Oder: "Stoppt den Krieg!"

Elf Tage nach der Protestaktion wird Alexandra verhaftet. Ein Supermarktkunde hatte sie bei der Polizei denunziert. Die Polizisten finden sie zunächst nicht und wenden einen Trick an. Sie setzen einen Freund von ihr unter Druck. Dieser meldet sich bei Alexandra, sie solle dringend zu ihm kommen. "Natürlich habe ich keine Sekunde gezögert", ist auf Skotschilenkos Instagram-Seite zu lesen. "Ich bin direkt in einen Hinterhalt der Polizei geraten." Das war im April 2022. Seitdem ist die 33-Jährige in Untersuchungshaft. Sie sei in Verhören beschimpft und verhöhnt worden, schreibt sie.

Alexandra Skotschilenko nutzte die Preisschilder in Supermärkten für Informationen über den Krieg gegen die Ukraine.
Alexandra Skotschilenko nutzte die Preisschilder in Supermärkten für Informationen über den Krieg gegen die Ukraine.
APA/AFP/OLGA MALTSEVA

Friedlicher Widerstand

Alexandra Skotschilenko ist in Sankt Petersburg geboren, studierte Regie an der Theaterakademie und wechselte später zum Studium der Anthropologie an die Uni Sankt Petersburg. Sie schloss mit Auszeichnung ab. Bekannt wurde sie durch ihr autobiografisch geprägtes Comic-Buch "A Book about Depression", das 2014 erschien. Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist die Künstlerin eine gewaltlose politische Gefangene. "Sie ist nur deshalb inhaftiert, weil sie friedlich ihren Widerstand gegen den Krieg zum Ausdruck gebracht hat." An einer von Amnesty initiierten Briefaktion für ihre Freilassung haben sich inzwischen weltweit über vier Millionen Menschen beteiligt, so die Organisation.

Im September letzten Jahres wurde Anklage erhoben. Alexandra Skotschilenko habe "aus politischem Hass" heraus gehandelt. Ihr drohen bis zu zehn Jahren Haft. Gesundheitlich gehe es ihr schlecht, sagt ihre Kardiologin Darja Chaschtschewskaja, die Alexandra in der Untersuchungshaftanstalt untersuchte. Sie habe einen Herzfehler, das Leben der Frau sei in Gefahr, es bestehe die Gefahr eines Herzstillstands, berichtet das Online-Medium "MR7.ru". Zudem leide sie an Glutenintoleranz und habe eine bipolare Störung.

Kontakt mit Briefen

Seit ihrer Verhaftung veröffentlichen Angehörige und Freunde auf Instagram regelmäßig Details zu Skotschilenkos Zustand. In einer Sprachnachricht an die BR-Hörfunksendung "Zündfunk" erzählt ihre Partnerin, Sonja Subbotina, wie die beiden Kontakt halten: In all den Monaten, die ihre Freundin bereits in Haft sitzt, habe sie diese weder besuchen noch mit ihr telefonieren dürfen. "Das machen sie, um Alexandra emotional unter Druck zu setzen", sagt Subbotina. "Wir können uns nur Briefe schicken. Darin schreiben wir einander, dass wir füreinander da sind, und erzählen uns, was wir erlebt haben." Und sie fügt hinzu: "Alexandra könnte zehn Jahre im Gefängnis sitzen – und das nur, weil sie diesen Krieg nicht wollte."

Noch wird verhandelt gegen Alexandra Skotschilenko. Als ihre Freundin eine Krebsdiagnose erhält, schreibt sie: "Sonja wird operiert, und ich müsste zu ihr ins Krankenhaus kommen. All das ist unmöglich. Ich habe Angst um einen geliebten Menschen. Gleichzeitig empfinde ich Dankbarkeit für die Menschen, die uns unterstützt und uns Geld gespendet haben. Dank ihnen konnten wir die notwendigen Verfahren und Untersuchungen bezahlen. Ich bin mir sicher: Wir werden gewinnen, wir werden es schaffen. Wir werden zusammen sein." Der nächste Gerichtstermin ist am 14. September in Sankt Petersburg. (Jo Angerer aus Moskau, 3.8.2023)