Botschafter Marcus Bergmann hat am Freitag um 11.15 Uhr einen wichtigen Termin. Diesen nimmt er allerdings nicht, wie es die Etikette seines Berufsstands eigentlich erfordern würde, im Frack oder dunklen Anzug wahr, sondern in einem hautengen Radtrikot mit passender Hose und Sturzhelm. Denn Bergmann, seit knapp einem Jahr höchster diplomatischer Repräsentant der Republik Österreich beim Heiligen Stuhl, geht an diesem Tag im Rahmen der Rad-WM in Schottland (3. bis 13. August) als Gastathlet für den kirchenstaatlichen Sportverband Atlethica Vaticana an den Start.

Im September 2022 überreichte Marcus Bergmann (re.) Papst Franziskus seine Akkreditierung als Österreichs Botschafter für den Vatikan. Davor und danach trainierte er.
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Im Gegensatz zu den UCI-Profirennen sind WM-Bewerbe wie die Gran Fondo für qualifizierte Amateure offen. Bergmann wird in Perth für das 160,3 Kilometer lange Rennen mit 1663 Höhenmetern keinen Orden an sein Revers, sondern die Startnummer 2213 an sein Dress heften – und die Farben des Kirchenstaates hochhalten.

Man muss also keine Staatsbürgerschaft besitzen, um vom Vatikan zweckgewidmet nostrifiziert zu werden. "Die Botschaften beim Heiligen Stuhl gehören irgendwie auch zur 'vatikanischen Familie', zumindest gilt das im Sportbereich", zitiert Kathpress den Botschafter.

Der Teamkollege des 58-jährigen Diplomaten ist der nur geringfügig juvenilere Italiener Rino Alberto Bellapadrona, Verwandter eines Vatikan-Angestellten. Der Star des Teams ist allerdings Rien Schuurhuis: Mit knapp 41 Jahren ist der Niederländer, der in den Zehnerjahren in mehreren Profiteams fuhr, für kirchenstaatliche Verhältnisse geradezu ein Junghüpfer.

Zweiter Versuch

Der niederländische Ehemann der australischen Botschafterin am Heiligen Stuhl hat bereits Erfahrung darin, eilig im Auftrag des Herrn unterwegs zu sein. Im September 2022 startete er für den Vatikan bei der Straßen-WM in Wollongong, Australien, konnte das sehr selektive Rennen über 266,9 Kilometer und 4167 Höhenmeter allerdings nicht beenden; Paris-Roubaix-Sieger Mathieu van der Poel und anderen 64 Athleten ging es nicht anders.

Diesen Sonntag, am Tag des Herrn, probiert er es wieder und wird sich mit WM-Titelverteidiger Remco Evenepoel (BEL) und dem Tour-Zweiten Tadej Pogačar (SLO) messen.

Rien Schuurhuis mit Trainern und Betreuern am Petersplatz in Rom
Rien Schuurhuis, im Bild mit seinen Trainern und Betreuern am Petersplatz in Rom, tritt in Schottland gegen Remco Evenepoel und Tadej Pogačar an – allerdings ohne Siegeschancen.
AP / Ivan Sommonte / Athletica Vaticana

Siegeschancen? Vernachlässigbar. Egal, denn das Vatikan-Trio fährt in Schottland im Straßenrennen und in der Gran Fondo trotz gewissenhafter Vorbereitung letztlich um die Ehre und ums Dabeigewesensein – darum geht es schließlich. Und natürlich auch darum, nebenbei etwas Gutes zu tun: So soll das Rennrad von Schuurhuis im Anschluss an die WM für einen guten Zweck versteigert werden. Die Einnahmen sollen dem Dispensario Santa Marta zugutekommen, einer Einrichtung, die sich in Rom um hilfsbedürftige Kinder kümmert. Die vatikanischen Radler werden außerdem am Samstag in Glasgow gemeinsam die karitative Gemeinschaft Ozanam besuchen.

Der Sportverband Athletica Vaticana hat mehrere Sportarten im Portfolio – neben Radsport u. a. Laufen, Cricket, Taekwondo – und kann trotz seiner kurzen Geschichte schon mit ordentlichen Resultaten aufwarten: Gleich im Gründungsjahr 2019 beendete der sizilianische Priester Vinzenzo Puccio (45) den Messina-Marathon in beachtlichen 2:38 Stunden auf Platz zwei. Und Sara Carnicelli (27) wurde bei den 19. Mittelmeerspielen 2022 in Oran, Algerien, Neunte im Halbmarathon. Ihr Start war das erste offizielle Antreten des Vatikans bei einem sportlichen Großereignis.

Der Schwerpunkt liegt aber eindeutig beim Radsport. Ende 2021 wurde der Vatikan in den Internationalen Radsportverband UCI aufgenommen, alsbald wurde das gelb-weiße Teamtrikot mit dem päpstlichen Wappen präsentiert und ein erstes Rennen bei Castel Gandolfo veranstaltet, wo der Papst seine Sommerresidenz hat.

Olympia 2024 oder 2028?

Für Radpräsident Giampaolo Mattei geht es nicht darum, mit seinen rund 50 Aktiven geradewegs in den internationalen Radsporthimmel aufzufahren: "Was uns beseelt, ist, ein Team, eine Gemeinschaft aufzubauen. Wir sind nicht auf Individuen fokussiert, sondern auf die gesamte Gruppe."

Erklärtes Ziel ist freilich, trotz aller schönen Worte: Olympia. Paris 2024? Los Angeles 2028? Zuerst muss der Vatikan Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee werden. Das wird noch dauern. Aber bekanntlich sind die Wege des Herrn unergründlich. (Gianluca Wallisch, 3.8.2023)