
Die deutsche Grammatik macht beim "Wissen" keine Kompromisse, die Kunsthalle im Innsbrucker Taxispalais sehr wohl – auch auf die Gefahr hin, dass der Titel der aktuellen Ausstellung ein wenig sonderbar klingt. Nicht um das, sondern um "die Wissen" geht es nämlich, der Plural reklamiert ein Mehr an Perspektiven in den Diskurs über unser Zusammenleben. In Migrationsgesellschaften sind diese Perspektiven zwar vorhanden, die Frage ist aber, welche Bedeutung man ihnen beimisst.
Taxispalais-Leiterin Nina Tabassomi und ihre Co-Kuratorin Setareh Shahbazi überantworten diese Frage der Kunst, glücklicherweise ohne ihr damit einen didaktischen Auftrag aufzubrummen. Den versammelten Arbeiten ist das Thema auf unterschiedliche Art eingeschrieben, sie lassen aber auch andere Lesarten zu. So sind die sich aufbäumenden Aluminiumbleche von Nooshin Askari zunächst einmal elegante Skulpturen, denen aber offenbar ein widerständiger Geist innewohnt. Es könnte sich um Schriftrollen handeln, Askari aber nennt sie Contracts: Verträge. Und da beginnt man sich zu fragen, was hier ausgehandelt wurde und ob das auf Augenhöhe geschehen ist.
Trilogie über das Zusammenleben
Auch menschliche Figuren scheinen bei Askari ihren Einzelzellen aus Karton entkommen zu wollen, während es bei Elif Saydam, ebenfalls eine Entdeckung in der mit einigen Newcomerinnen bestückten Schau, eher ums Eindringen geht: Arabesken ranken sich um eine Innenansicht der Berliner Staatsbibliothek, Früchte hängen frivol von der Decke. Das ist viel orientalisch anmutender Dekor für einen deutschen Hort des Wissens. Zu ornamental, zu nah am Dekorativen: Mit derlei Kritik sei sie während ihres Studiums an der Frankfurter Städelschule oft konfrontiert gewesen, sagt die Künstlerin, deren lässiger Remix aus west-östlichen Maltraditionen nicht nur als Antwort auf den Kanon gedacht ist. Wenn sie Blumen um Berliner "Späti"-Schilder wuchern lässt, geht es auch um soziale Fragen und von Zugewanderten betriebene Mikroökonomien.
Die Wissen ist Teil zwei einer Ausstellungstrilogie über das Zusammenleben. Nach dem historisch angelegten Auftakt zur "Gastarbeit" ist man in der Gegenwart angekommen. Allerdings mit der kolonialen Vergangenheit im Gepäck, wie sich in Michelle und Noel Keserwanys heuer auf der Berlinale ausgezeichnetem Kurzfilm Les Chenilles über junge Frauen in Lyon zeigt. Um die Erweiterung der Perspektive geht es auch, wenn Hiwa K eine Fluchtroute abschreitet und dabei eine Spiegelskulptur balanciert. Vina Yun beschäftigt sich in Comicform mit Alltagsrassismen inklusive der an Aussehen, Namen oder sonstigen Merkmalen festgemachten Frage: "Woher kommst du wirklich?"
Dass es kaum biografische Angaben zu den Künstlerinnen gibt, mag ein Versuch sein, dieser Frage auszuweichen. Ob das die richtige Strategie ist, mehrfache Zugehörigkeiten und plurale Identitäten nicht als Exotismen zu betrachten, darf bezweifelt werden. (Ivona Jelcic, 6.8.2023)