Der eine kommt aus Murmansk und wollte einfach "schon immer" ein Apartment mit Meerblick. Die andere kommt aus Tatarstan und hat ein wenig Sorge, die Ukrainer könnten zurückkehren. Der dritte meint, die Stadt werde unter russischer Herrschaft noch viel schöner werden, als je unter ukrainischer. Gemeinsam haben alle drei, dass sie nicht aus der Ukraine, sondern aus Russland kommen – und dennoch auf sozialen Medien und am Wohnungsmarkt nach neuen, günstigen Bleiben in der ukrainischen Stadt Mariupol suchen. Die Hafenstadt am Asowschen Meer wurde von Russland zwar fast vollständig zerstört. Weil die Propaganda aber den "wundersamen" Wiederaufbau Mariupols beschwört, wittern nun viele das Geschäft ihres Lebens mit billigen Apartments auf eingenommenem Boden, wie eine Recherche der BBC am Wochenende ans Tageslicht brachte.

Billige Apartments in der russischen Neubausiedlung Newski in Mariupol finden das Interesse vieler Russen. Ukrainer finden in der von Russland fast völlig zerstörten Stadt auch nach mehr als einem Jahr vielfach kein Dach über dem Kopf.
IMAGO/SNA/Sergey Baturin

Tatsächlich wahr ist, dass Russland in aller Eile auf selbst zerstörtem Grund einige Modellsiedlungen errichten lässt – das zeigen Satellitenbilder, aber auch Fotos aus der Neubausiedlung Newski, die Bauunternehmer im Nordwesten der Stadt aus dem Boden gestampft haben. Das Ausmaß des bereits gelungenen Neubaus trifft allerdings bei weiten nicht die hymnischen Beschreibungen, die immer wieder im russischen Staat-TV zu sehen und hören sind.

Satellitenbilder aus Mariupol zeigen, dass ganze Stadtviertel vollständig abgerissen wurden, weil sie nicht mehr als bewohnbar galten.
AP/Maxar

Tatsächlich beschränken sie sich laut der BBC auf einige wenige Neubausiedlungen an den Stadträndern. In Mariupol selbst sind laut einem Einwohner, der mit der BBC gesprochen hat, erst rund 10 Prozent der zerstörten Häuser wieder einigermaßen bewohnbar. Darüber hinaus zeigen Satellitenbilder, dass gerade einmal die Abrissarbeiten der vielen nicht mehr bewohnbaren Häuser so richtig in die Gänge gekommen sind.

Unerschwingliche Neubauten

Darüber hinaus ist auch bei der Vergabe von Wohnraum wenig Fairness und auch nicht viel Effizenz zu erkennen. Laut dem BBC-Bericht stehen viele der neu gebauten Häuser nämlich auch nach Wochen noch leer. Die Vergabekriterien sind streng, bei der Abarbeitung von komplizierten Listen geht wenig voran. Wer irgendeine Forum von Behausung sein Eigen nennt, schaut bei der Vergabe von wiederaufgebauten Wohnraum insgesamt durch die Finger. Auch in prorussischen Medien sind demnach Beschwerden von Bewohnern zu finden, denen Wohnungen verwehrt wurden. Ein Beispiel ist jenes einer Frau, die als nicht bedürftig eingeordnet wurde, weil sie eine acht Quadratmeter große Hütte 40 Kilometer außerhalb der Stadt besitzt. Und wie immer steht auch der Verdacht, es könne bei der Vergabe zu Korruption kommen, im Raum.

Dazu kommt, dass vor allem Menschen, die bereits vor dem Krieg in Mariupol gewohnt haben, sich die neuen Apartments auch bei sauberem Verkauf nicht leisten können. Oft werden diese nämlich gar nicht vom russischen Staat vergeben, sondern von den Baufirmen nach Marktpreisen verkauft. Zu haben ist eine 35-Quadratmeter-Wohnung laut Anfrage in dem BBC-Bericht um umgerechnet rund 33.500 Euro. Für viele Menschen in Russland mag das ein Schnäppchen sein – für die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner von Mariupol ist es vielfach unerschwinglich. (red, 6.8.2023)