Ein Lego-Männchen hält einen Fisch in der Hand.
Im Wesentlichen geht es in der Spieltheorie um Konflikte, Konkurrenz und Kooperation.
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Börsenschwankungen, Klimakrise, Kulturwandel: Zu verstehen, wie sich Menschen in bestimmten Situationen verhalten, ist kein Leichtes. Vorherzusagen, unter welchen Voraussetzungen sie zusammenarbeiten, ist noch schwieriger. So wie auch Kinder im Spiel fürs Leben "üben", nutzen Forschende etlicher Fachrichtungen Spiele als Modell für das echte Leben.

Die "Tragödie der Allmende" ist ein klassisches Beispiel der Spieltheorie. "Allmende" ist ein Allgemeingut, das gemeinsam genutzt wird, beispielsweise ein Stück Land. Kooperieren die Menschen nicht miteinander, laufen sie Gefahr, die Ressource zu übernutzen und sie dabei zu zerstören. Sich freiwillig allein zurückzuhalten ist meist keine Option, weil die Person von den anderen lediglich verdrängt würde. Die egoistisch motivierte Übernutzung durch fehlende Zusammenarbeit wird letztlich aber dennoch zur Tragödie für alle.

Eine Forschungsgruppe des Institute of Science and Technology Austria (ISTA), darunter Mathematiker und Co-Autor Christian Hilbe, widmete sich in einer neuen Studie dem Aspekt des Unwissens in der Spieltheorie. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten, inwiefern sich Unwissenheit auf die Zusammenarbeit auswirkt. Der STANDARD wollte vom Forscher wissen, wie es zu dieser Arbeit kam, und welche Auswirkungen sie auf unser Leben hat.

Ein Porträtfoto des Wissenschafters
Der Wissenschafter Christian Hilbe nutzt die Sprache der Mathematik, um das Verhalten von Mensch und Tier mittels Modellbildung zu verstehen.
Nadine Poncioni/ISTA

STANDARD: Wie kann man die Spieltheorie als Laie verstehen?

Hilbe: Es geht darum, wie Menschen miteinander kooperieren, wenn sie wissen, dass ihre Entscheidungen ihre Umgebung in Zukunft beeinflussen können. Ein Beispiel ist die Überfischung. Werden alle Fische zeitgleich gefischt, dann ist der Fisch aufgebraucht, und das Ökosystem braucht sehr lange zur Erholung. Spricht man sich ab und geht Kooperationen ein, führt das eher zum Erfolg. Wir versuchen, solche Beispiele in einfachen mathematischen Modellen abzubilden.

STANDARD: Können Sie grob erläutern, mit welchem Aspekt der Spieltheorie sich Ihre im Sommer veröffentlichte Studie beschäftigt?

Hilbe: Das Neue an unserer Arbeit ist, dass frühere Modelle immer davon ausgingen, dass Leute genau wissen, wie es um das Umfeld im Moment steht. In realen Anwendungen ist das aber nicht der Fall. Man hat eine ungefähre Idee, wie der Zustand der Umwelt ist. Letztlich weiß man es aber nie ganz genau. Und die Frage ist dann, sobald ich das nicht mehr ganz genau weiß: Ist das gut oder schlecht für die Zusammenarbeit?

STANDARD: Sie zeigen in der Studie, dass auch Ahnungslosigkeit über eine Situation zur Zusammenarbeit und somit zur Lösung eines Problems führen kann. Ist die Unwissenheit letztlich doch besser als ihr Ruf?

Hilbe: Ja und nein. Man muss immer ein bisschen aufpassen, wie man das herunterbricht. Wir haben uns ungefähr 50.000 Spiele angesehen. Dabei kam heraus, dass Personen, die mehr über ihre Umgebung und ihre Umstände wissen, eher zusammenarbeiten als solche ohne Information. In speziellen Fällen kooperieren Personen aber auch, wenn sie nicht Bescheid wissen. Und das ist spannend. Ein Grund, wieso Unwissenheit manchmal hilfreich sein kann: Wenn Leute nicht wissen, in welcher Umwelt sie sich genau befinden, tun sie das, was im Durchschnitt gut ist. Das kann manchmal besser sein, als wenn sie in jeder Situation für sich selbst die beste Handlung heraussuchen.

Playmobil-Figuren
Vom Spielen lernen kann auch die Wissenschaft.
APA/AFP/CHRISTOF STACHE

STANDARD: War das Thema der Unwissenheit ein noch unbekanntes Gebiet in der Spieltheorie?

Hilbe: Ja, gerade in Modellen zu Kooperation wird das Thema der Unwissenheit noch eher stiefmütterlich behandelt. Wir sind uns auch darüber klar, dass unsere Modelle in einem gewissen Maß Abstraktionen sind. Sie bilden nicht genau ab, was die Realität ausmacht. Um unsere Modelle realistischer zu machen, haben wir uns gefragt: Was fehlt in diesem Modell noch? Ein Aspekt war eben die Fehlannahme, dass Spieler perfekt über alle Umstände Bescheid wissen.

STANDARD: Nun ist die Spieltheorie Grundlagenforschung. Was sind typische Anwendungsfelder der Spieltheorie innerhalb der Wissenschaft?

Hilbe: Gerade innerhalb der Wirtschaftswissenschaften gibt es unzählige Anwendungen der klassischen Spieltheorie. Wie muss man Auktionen aufsetzen, sodass sie einen maximalen Gewinn abwerfen? Wie muss man Wettbewerbsbehörden und den freien Markt organisieren? Auch in der Politik, zum Beispiel im Wahlkampf, kann Spieltheorie helfen herauszufinden, wie sich zwei Parteien relativ zueinander positionieren sollten.

STANDARD: Die ökonomische Verhaltensforschung wird oft dafür kritisiert, dass sie von einem rationalen Konsumenten, einer rationalen Person ausgeht. Wie umgeht man diese Annahme?

Hilbe: Indem wir in der evolutionären Spieltheorie andere Lösungsmethoden verwenden. Wenn wir ein Spiel lösen, gehen wir nicht davon aus, dass die Spieler genau Bescheid wissen, mit wem sie interagieren und was deren Ziele und Strategien sind. Wir gehen von Spielern aus, die ihre eigene individuelle Strategie haben, die sie in weiterer Folge Runde für Runde verbessern.

STANDARD: Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück zur Biologie. Wie wird die Spieltheorie da verwendet?

Hilbe: In der Biologie wird Spieltheorie oft verwendet, um Verhaltensweisen besser zu verstehen. Eine klassische Frage innerhalb der Biologie sind Kämpfe zwischen Hirschen. Die Rangkämpfe finden sehr oft stark ritualisiert statt, die Hirsche halten sich an gewisse Regeln. Eine Frage war: Wieso tun sie das überhaupt? Wieso gehen sie nicht einfach aufeinander los? Diese Kämpfe hat man dann mithilfe der Spieltheorie abgebildet und daraufhin den Sinn besser verstanden.

STANDARD: Und die in der Studie genannte evolutionäre Spieltheorie?

Diese kommt immer dann zum Einsatz, wenn man explizit biologische Anwendungen im Sinn hat oder beispielsweise die Evolution sozialer Normen erforscht. Ein Beispiel sind menschliche Prozesse, in denen von vornherein klar ist, dass man nicht annehmen kann, dass die Teilnehmer immer perfekt rational handeln. Wir gehen dabei auch nicht automatisch davon aus, dass jedes Spiel zu einem Gleichgewicht führt. Es könnte auch sein, dass wir ständig neue Sachen lernen müssen.

STANDARD: Wenn Sie von "Evolution der Kooperation" sprechen, meint man damit einfach die Bereitschaft, zusammenzuarbeiten?

Hilbe: Die Evolution der Kooperation fragt sich: Wie kann so etwas wie Kooperation überhaupt entstehen? In der evolutionären Spieltheorie nehmen wir nicht an, dass Leute perfekt rational denken und sich ausrechnen, welche die beste Strategie wäre. Man geht davon aus, dass Menschen Spiele ganz naiv starten, zum Beispiel "Ich verhalte mich egoistisch." Über einen gewissen Zeitraum lernen sie aber, mit besseren Strategien zu spielen. Dieser dynamische Prozess führt dann dazu, dass Kooperation entsteht. Das nennen wir Evolution der Kooperation.

Zwei Lego-Figuren stehen auf einem Lego-Berg. 
In einer Gesellschaft stehen Individuen und Gruppen vor vielen Entscheidungen. Die Spieltheorie macht solche Probleme in Modellen sichtbar.
IMAGO/Neundorf/Kirchner-Media

STANDARD: Immer öfter sehen wir uns mit komplexen Problemen konfrontiert, die von sehr vielen Menschen abhängen – beispielsweise im Zug der Klimakrise. Sehen Sie auch da Anwendungsmöglichkeiten der Spieltheorie?

Hilbe: Ja, schon. Gerade bei großen, heterogenen Gruppen oder wenn die Vorteile einer Kooperation erst in weiter Zukunft sichtbar werden, ist eine Zusammenarbeit oft schwer durchzusetzen. Bei der Klimakrise sind leider alle diese Voraussetzungen gegeben. Und das erklärt auch, warum das Problem so schwierig zu lösen ist. Die Spieltheorie kann dabei helfen, solche komplexen Probleme bei der Zusammenarbeit in Modellen darzustellen.

STANDARD: Derzeit sind Sie am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön tätig. Ihr Forschungszweig ist interdisziplinär. Was bedeutet das in Ihrem Fall?

Hilbe: Ich arbeite zusammen mit Physikern, Ökonomen, Biologen, Psychologen, und zum Teil sogar mit Philosophen, die ethische Fragen stellen. Ich selber bin Mathematiker. Die Mischung aus verschiedensten Disziplinen finde ich sehr spannend.

STANDARD: Angenommen, man möchte als junger Mensch in diese Richtung arbeiten. Welches Studium würden Sie da empfehlen?

Hilbe: Es gibt da nicht den Königsweg. Die Leute in meinem Feld haben ganz verschiedene Backgrounds. Im Allgemeinen sollte man aber nicht auf Kriegsfuß mit der Mathematik stehen. (INTERVIEW: Sebastian Lang, 30.9.2023)