Ein toter Thunfisch treibt in einem riesigen Ballen alter Netze im Pazifik.
Ein toter Thunfisch treibt in einem riesigen Ballen alter Netze im Pazifik.
IMAGO/ZUMA Wire

Die Zahlen, die zu Kunststoffmüll und Mikroplastik im Wasser kursieren, gehen zum Teil stark auseinander: So schätzt eine einschlägige Studie aus dem Jahr 2020, dass jährlich 19 bis 23 Millionen Tonnen Plastik in Gewässer gelangen – allerdings in sämtliche aquatischen Systeme, also Flüsse, Seen und Meere. Eine andere Studie beziffert die Plastikeinträge allein von Flüssen in Meere mit 0,8 bis 2,7 Millionen Tonnen. Auch wie viel sich tatsächlich in den Ozeanen befindet, lässt sich kaum sagen. Frühere Schätzungen zur Plastikmenge an der Wasseroberfläche gingen etwa von nur 0,3 Millionen Tonnen aus, andere von einem Vielfachen.

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Um derartige Diskrepanzen zu erklären, erstellte ein niederländisches Forschungsteam eine umfassende Modellierung. Wie die Forschenden rund um Mikael Kaandorp in "Nature Geoscience" berichten, gelangt viel weniger Plastikmüll als bisher gedacht, nämlich etwa 0,5 Millionen Tonnen pro Jahr, in die Weltmeere. Zugleich treibt der Studie zufolge mehr Plastik auf den Oberflächen der Ozeanen als in früheren Schätzungen angenommen, nämlich 3,2 Millionen Tonnen. Daraus schließen die Forschenden, dass die Kunststoffe länger im Meer verbleiben, als bisherige Berechnungen vermuten ließen.

Die Ozeane im 3D-Modell

Die Modellierung, die die Plastikströme in die Ozeane zwischen 1980 und 2020 in den Fokus nimmt, basiert auf 20.000 Messwerten von der Meeresoberfläche, an Stränden und in der Tiefsee, kombiniert mit einem 3D-Modell. Die Wege und Transformationen, die Plastikpartikel in den Meeren durchlaufen, werden mit Teilmodellen beschrieben – zum Beispiel das Absinken von Plastik von der Meeresoberfläche, der Zerfall in immer kleinere Partikel oder das Anspülen an Stränden.

Die Ergebnisse zeigen, dass im Jahr 2020 Kunststoffteile, die größer als 2,5 Zentimeter und damit sehr langlebig sind, fast 95 Prozent der anfänglich schwimmenden Plastikmenge bilden. Nur zehn Prozent dieses Plastiktyps würde innerhalb von zwei Jahren zerfallen oder zu Boden sinken. Mikroplastik würde vergleichsweise nur einen kleinen Teil der Gesamtmasse ausmachen. Fast die Hälfte des Plastikmülls stamme aus der Fischerei, rund 40 Prozent gelange über Küsten in die Meere, der Rest über Flüsse.

Plastiksackerl treibt im Wasser
Plastikteile, die größer als 2,5 Zentimeter sind, bilden den überwiegenden Teil des Kunststoffmülls in den Meeren.
IMAGO/OceanPhoto

Der Großteil des Plastiks, das die Forschungsgruppe untersucht hat, schwimmt der Analyse zufolge an der Oberfläche. Nicht miteinbezogen in die Modellierungen wurden allerdings Partikel, die bereits zum Meeresboden abgesunken und in den Sedimenten abgelagert sind.

"Dieses Modell kann als erster Versuch betrachtet werden, den globalen 3D-Massenhaushalt von schwimmfähigem Kunststoff im Meer zu verstehen", sagt Serena Abel vom Departement Umweltwissenschaften der Universität Basel, die nicht an der Studie beteiligt war. Allerdings seien zumindest zwei der häufigsten Polymertypen – Polyvinylchlorid (PVC) und Polyethylenterephthalat (PET) –, die 35 bis 40 Prozent der in die Meeresumwelt gelangenden Masse ausmachen, nicht berücksichtigt worden, ebenso wenig wie Nylon, ein Polymer, aus dem ein großer Teil der in der Fischereiindustrie verwendeten Netze und Leinen bestehe. Trotzdem spricht Abel von einem "Meilenstein in der Erforschung der Plastikverschmutzung", da der Verbleib und die Auswirkungen von Plastik im Meer auf globaler Ebene und nicht nur aus lokaler Perspektive untersucht würden.

Jährlich vier Prozent mehr Plastik

"Es ist schwer abzuschätzen, inwiefern die Ergebnisse 'realistisch' sind. Das Verständnis über den Transport und Verbleib von Plastik in der Umwelt – also von der Quelle bis in die Meere – ist noch mit sehr großen Unsicherheiten verbunden", sagt Christian Schmidt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg über die aktuelle Studie. "Die wesentliche neue Erkenntnis ist, dass ein großer Teil des Plastiks im Wasser der Ozeane eher größere Partikel sind. Für den Great Pacific Garbage Patch wurde das schon gezeigt, die Studie bestätigt das jetzt weltweit.“ Der Great Pacific Garbage Patch ist eine 1,6 Millionen Quadratkilometer große Müllansammlung zwischen Hawaii und Nordamerika.

Die Studienautoren und die -autorin schätzen, dass die Menge an schwimmenden Plastikteilen, die ins Meer gelangen, jährlich um vier Prozent steigt – umso nötiger seien Maßnahmen, um die Verschmutzung der Meere zu stoppen. Darin sind sich Fachleute einig: "Wir müssen den Hahn zudrehen, bevor wir aufwendig und teuer Plastik aus dem Meer fischen", sagt Melanie Bergmann, Meeresökologin vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, auch in Bezug auf Clean-up-Aktionen. "Wir müssen in allererster Linie die eskalierende Produktion minimieren und das Design von Kunststoffen so verbessern, dass weniger und gesundheitlich unbedenkliche Chemikalien eingesetzt werden, um den Wert von Kunststoffen zu steigern. Erst dies ermöglicht eine Kreislaufwirtschaft des wirklich notwendigen Plastiks." (Karin Krichmayr, 7.8.2023)