Eier werden durch ein Sieb verquirlt, eine Flocke Butter, frisch gemahlener schwarzer Pfeffer, Schnittlauch, zur Dekoration zerkleinerte Chips (Geschmacksrichtung: Sour Cream & Onion) – die wenigen ruhigen Momente in The Bear braucht man auch, um sich zu erholen. Meistens gleicht die Küche nämlich einem Schlachtfeld. Hektisch wird in der zweiten Staffel wieder gehackt und gerührt, frittiert, irgendwas brennt, kommuniziert wird im Brüllton ("Yes, Chef"!), jemand versteckt sich und raucht Crack, ganz normaler Küchenalltag eben. Hier zählt jede Sekunde. Aber nicht nur kulinarisch knuspert und knistert so einiges, auch auf persönlicher Ebene wird es brenzlig.

Jeremy Allen White und Ayo Edibiri, The Bear
"The Bear", Staffel 2: Jeremy Allen White und Ayo Edibiri.
"The Bear", Staffel 2: Jeremy Allen White und Ayo Edibiri.

In der ersten Staffel hat der in der Küche brillante – zwischenmenschlich ausbaufähige – Sternekoch Carmen "Carmy" Berzatto (Jeremy Allen White) nach dem Suizid seines Bruders Mikey (Jon Bernthal) das Familienrestaurant gerettet. Jetzt soll aus dem Sandwich-Shop The Beef das Nobelrestaurant The Bear werden, und so etwas geht nie ohne ein Team. Vor Ort warten Schimmel und andere böse Überraschungen des verstorbenen Bruders, aber Scheitern ist nicht leistbar, und Carmy schickt seine Belegschaft auf ihre ganz eigene Heldenreise.

Fine Dining trifft auf Fastfood

Tina (Lisa Colón-Zayas) und Ebra (Edwin Lee Gibson) gehen zurück auf die Culinary School, und der Mann fürs Süße, Marcus (Lionel Boyce), darf sein Konditorhandwerk im kulinarisch bedeutsamen Kopenhagen perfektionieren. Zu den meisten Tränen aber rührt die Geschichte vom Taugenichts Richie (Ebon Moss-Bachrach), der von allen "Cousin" genannt wird, ganz ohne Verwandtschaftsgrad. "Denkst du jemals über Sinn nach?", fragt er Carmy an einer Stelle. "Ich liebe dich, aber dafür habe ich keine Zeit", antwortet ihm dieser. Im Fine-Dining-Praktikum darf der sympathische Prolet dann tagelang nichts anderes, als frustriert Gabeln putzen. Die legendäre Chicago Deep Dish Pizza wird aber zum Schlüsselereignis, durch die auch er ein Quäntchen Leidenschaft spürt.

Stressige Schnittwechsel, durchbrochen von aufwendigen Plansequenzen, oft untermalt von Musik mit Chicago-Bezug von Wilco oder Sufjan Stevens – eigentlich würde das für eine Serie schon reichen, um aus dem Streaming-Einheitsbrei hervorzustechen. Trotzdem sind es die Charaktere, die The Bear Substanz verleihen. Chef de Cuisine Sydney (Ayo Edibiri) leidet an der Angst zu scheitern, bevor sie überhaupt beginnt. Ihr Ziel, nicht niedrig: der Michelin-Stern. Carmy empfindet inzwischen zum ersten Mal außerhalb der Küche Sinn und erzählt ihr, wie er sich gefühlt hat, als er seine drei Sterne bekam: kurze Panik, ohne jede Freude. Angst, die Sterne wieder zu verlieren, gepaart mit dem Stress, sofort wieder zurück an die Arbeit zu müssen.

Menschen, die in der Küche stehen

Laut und traurig, zum großen Teil traumatisiert und geplagt von nie verarbeiteten Verlusten, gescheiterten Träumen und Schuld – so sind die Persönlichkeiten, denen wir hinter die Kochschürze schauen dürfen. Aber hinter der harten, brüchigen Hülle, verbirgt sich oft ein weicher Kern, ganz wie bei den Canolli (eine frittierte, sizilianische Teigrolle, gefüllt mit süßer Creme), die im The Bear, in einer pikanten Ausführung, zum Dessert serviert werden. Und Essen ist hier nicht nur schön anzusehen, sondern funktioniert auch, um der dysfunktionalen Dynamik der Berzattos auf den Grund zu gehen.

Zur Geduldsprobe, und bis jetzt stärksten Stunde Serienunterhaltung des Jahres, wird die Zubereitung und vor allem die familiäre Bedeutung des traditionell italoamerikanischen Weihnachtsgerichts Feast of the Seven Fishes – eine kulinarische Herausforderung – inklusive herausragender Cameos von Jamie Lee Curtis als alkoholkranker, kettenrauchender Mutter und Bob Odenkirk als Uncle Lee.

Beim Tüfteln an neuen Kreationen fällt oft der Begriff "Chaos Menu". Gemeint ist damit eine ungewöhnliche Kombination von Zutaten, die üblicherweise nicht zusammenpasst, aber trotzdem etwas Köstliches ergibt. Als Serie ist The Bear genau das; hektisch und absurd, schnell und anstrengend, aber auch witzig. Ganz ohne abzuwerten oder zu glorifizieren, wird der Küchenalltag dargestellt. Jedes Detail wirkt stimmig. Als Amateur fühlt man sich überzeugt davon, dass es genauso in einer echten Küche zugehen muss. Viele Zutaten der Serie sind irgendwie unangenehm, aber wegschauen kann man schon gar nicht.

Es geht um Leidenschaft und ein ganzes Berufsfeld, das "schlecht bezahlt ist, nicht viel zur Gesellschaft beiträgt und teilweise auch keinen Sinn ergibt", sagt Carmy an einer Stelle. Und es geht darum, warum man es trotzdem macht – und was es eigentlich für ein Fluch und Segen ist, im Leben seine Berufung gefunden zu haben. (Jakob Thaller, 16.8.2023)