Angela Andorrers
Angela Andorrers gefundene und bemalte Blätter sind bezaubernd schön. Aus manchen werden Landkarten, daher der Titel "Blattscapes".
Andorrer/Bildrecht

Die Satellitenaufnahme eines Hurrikans, der über Europa zieht? Es lohnt sich, näher ranzugehen! Nicht nur, weil es solche Wirbelstürme über unserem Kontinent bisher nicht gab. Tatsächlich hat Jochen Höller das Bild aus zigtausenden einzelnen Buchstaben geklebt, die er aus Protokollen von Klimakonferenzen geschnitten hat. Before the Hurricane ist heuer ­entstanden, zwischen Schreckens­vision und chronikalem Geschehen, denn der Klimawandel macht Hurrikans wahrscheinlicher.

Nach Kurzzeitleiter Tim Voss (2018–2019) hat ein Programmausschuss das Kuratieren übernommen. 2022 ist Günther Oberhollenzer als neuer künstlerischer Leiter der Wiener Künstlerhaus Vereinigung angetreten. Bevor er im Oktober seine erste von ihm kuratierte Ausstellung zeigt, ist jetzt Human_Nature zu sehen. Auf einen Call hin haben sich 70 Mitglieder mit Arbeiten beworben, rund 30 sind in der von Maria Christine Holter und Julia Hartmann verantworteten Schau zu sehen.

Eine Schaufreude!

Dieses System der Mitgliederausstellung wurde viel kritisiert, das Ergebnis aber legt einen anregenden roten Faden: Mensch und Natur sind hier ein Gegensatzpaar geworden, das Grund für Sorge bietet. Das Künstlerduo Oleg und Ludmilla hat dürre Bäume und ein Aussichtsgerüst in einen Guckkasten mit düsterem Bergpanorama gestellt: Idylle? Gibt es nicht mehr!

Von den verheerenden Waldbränden in Australien 2020 (in der programmatisch benannten Installation I was there and I did nothing von Kerstin Bennier) und der Nu­klear­katastrophe von Fukushima (bei Hana Usui) inspirierte Arbeiten verweisen sehr konkret auf reale Umweltprobleme. Alberto Storari führt einen mit seiner übergroßen Weltkarte aber in die Irre. Denn die Kontinente sind wild arrangiert und größenverzerrt. Der Clou sind aber die Fotos von Wasserfällen und Bergen, die zur Vervollständigung geschickt in die Konturen der Landmassen gepuzzelt sind. Eine Schaufreude!

Pflanzen begrüßen

Dieser Spagat von handfest hin zu verträumt funktioniert: David Meran spiegelt den Instagram-Trend #ForestBathing an die Wände, Katya Dimova hat Neophyten, also im Zuge der Klimaveränderungen eingewanderte Pflanzen, gestickt – sie sind jetzt Teil von Biologiebüchern. Sie werden demnächst sicher auch Teil der Arbeiten von Angela Andorrer, wenn sie es nicht schon sind: Die Künstlerin nimmt echte, von Insekten zerfressene Blätter zum Ausgangspunkt, bemalt sie und spannt quer über sie Fäden, um sie zu "nähen" und die Natur zu "heilen".

Lösungen darf man sich auch von Sarah Steiners Tarotkarten nicht erhoffen. Formal abwechslungsreich ist die Schau aber als Bestandsaufnahme oft betörend schön. Nicht nur wenn ein Metallgewebe von Christine Schörkhuber auf Luftströme durch Besucher – und fataler: die Klimaanlage – reagiert. (Michael Wurmitzer, 9.8.2023)