K2 Tragödie um pakistanischen Hochträger Mohammad Hassan
Blick auf den Gipfel des K2. Im oberen Bereich geschah das Unglück, unmittelbar unter den bedrohlichen Séracs (Eistürme).
Foto: Wilhelm Steindl

Am 27. Juli spielten sich in Pakistan, auf dem K2, dem mit 8.611 Metern höchsten Berg im Karakorum, dramatische Szenen ab. Während sich dutzende Bergsteiger und Bergsteigerinnen Richtung Schlüsselstelle "Flaschenhals" auf 8.200 Metern drängten, sollen mindestens zwei Lawinen abgegangen sein. Gesichert ist, dass ein pakistanischer Hochträger abstürzte und später zu Tode kam. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Tiroler Hotelier und Bergsteiger Wilhelm Steindl bereits umgedreht, wie er dem STANDARD berichtet. "Weil die Verhältnisse zu gefährlich waren und wir nicht unter den Eistürmen im Stau stehen wollten. Als eine Lawine runterkam, dachte ich, dass 30 Menschen tot sind." Die Lawine aber hatte die Gruppe verschont. Zu diesem Zeitpunkt ahnte Steindl nicht, was genau sich am Berg zugetragen hatte.

Der K2 liegt an der Grenze zwischen Pakistan und China im Nordwesten des Karakorums.

Steindl war auf dem K2 ein Camp-Nachbar von Kristin Harila. Die Norwegerin vollendete mit der Besteigung des zweithöchsten Berges binnen 92 Tagen ihre umstrittene Rekordjagd auf alle 14 Achttausender – unter Einsatz von Flaschensauerstoff, mit Unterstützung unzähliger Sherpas und Hubschraubern, die sie von einem Basislager ins nächste geflogen hatten. Der bisherige Rekordhalter, Nirmal Purja aus Nepal, war 2019 noch 189 Tage, also mehr als doppelt so lang wie Harila, unterwegs.

Video: Ankunft von Bergsteigerin Kristin Harila in Kathmandu
AFP

Schockierende Entdeckung

Am Unglückstag hatten sich etliche Expeditionen mit rund 200 Bergsportlern auf den Weg zum Gipfel begeben. Das Zeitfenster war klein, die Ausgangslage für alle Beteiligten klar: Wer es an diesem Tag nicht nach oben schafft, muss die Heimreise ohne Gipfelerfolg antreten.

Weit unter dem Flaschenhals hatte der Kameramann Philip Flämig im Auftrag von Servus TV eine Drohne entsandt, um die Besteigung zu filmen. Bei der Rückkehr ins Basislager macht der Deutsche gemeinsam mit Steindl eine Entdeckung, die beide zutiefst schockieren sollte. Die Aufzeichnungen zeigen einen im Sterben liegenden Mann, dessen Oberkörper kurz nach Sonnenaufgang von einer Person massiert wird. Offenbar, um ihn bei Bewusstsein zu halten.

K2 Flaschenhals
Ein Screenshot einer Drohnenaufnahme, die bestätigt, wie zahlreiche Gipfelaspiranten am Verunglückten vorbeisteigen.
ServusTV/Philip Flämig

Wie Augenzeugen später bestätigten, war der pakistanische Hochträger Mohammad Hassan nachts um 2.30 Uhr im vorderen Bereich der Gruppe ein paar Meter im nahezu senkrechten Gelände abgestürzt. Er hing kopfüber mit entblößten Beinen in einem Fixseil, das er selbst mit Kollegen für die tausende Dollar zahlende Kundschaft installiert hatte. Nach dem Unfall, berichtet Flämig, sei an der Absturzstelle ein neues Seil fixiert worden, damit die Leute weitergehen konnten, während Hassan darunter festhing. Nach seinen Nachforschungen habe es rund eine Dreiviertelstunde gedauert, bis Hassan zumindest hochgezogen wurde. Ihn ins Tal zu bringen dürfte nicht versucht worden sein.

Flämig: "Über die Erzählung von drei unterschiedlichen Augenzeugen kann ich berichten, dass dieser Mann noch gelebt hat, während etwa 50 Leute an ihm vorbeigestiegen sind. Das ist auch in den Drohnenaufnahmen sichtbar. Er wird von einer Person behandelt, während alle anderen gen Gipfel streben. Fakt ist, dass keine organisierte Rettungsaktion stattfand, obwohl Sherpas, aber auch Bergführer vor Ort waren, die hätten aktiv werden können. Keiner kann behaupten, dass er dort die Diagnose hätte stellen können, dass dem Menschen nicht mehr geholfen werden kann. Das bestätigen alle. Zum Teil gehen die Aussagen so weit, dass die Leute, die vom Gipfel zurückkamen, immer noch eine lebende Person angetroffen haben."

Steindl: "Er ist dort elendig verreckt. Es hätte nur drei, vier Leute gebraucht, ihn runterzubringen. Ich war nicht bei der Unfallstelle. Wenn ich es gesehen hätte, wäre ich raufgestiegen und hätte dem armen Menschen geholfen."

Rekorde im Visier

Während viele an jenem Tag schon vor dem Unfall umdrehten – nicht zuletzt, weil die Bedingungen gefährlich waren –, hatte für etliche andere der Gipfelsturm Vorrang. Flämig berichtet, dass neben Harila zwei weitere Bergsteiger einen Rekord anvisierten. "Es war ein sehr aufgeheizter, konkurrenzbeladener Gipfelrush." Steindl: "Was da passiert ist, ist eine Schande. Da wird ein lebender Mensch liegengelassen, damit Rekorde erzielt werden können." Flämig: "Der Mann war nicht richtig ausgestattet. Er hatte keine Erfahrung, wurde erstmals als Basislagerträger zum Hochträger auserkoren. Dafür war er aber nicht qualifiziert. Warum ihn Sherpas nicht runtergebracht haben, das lässt sich aus meiner Expertise als Bergsteiger nicht erklären. Es lässt sich nur so erklären, dass das andere wichtiger war." Harilas Triumph wurde später im Basislager gefeiert, berichtet Steindl. Auch der Tiroler war eingeladen: "Ich bin nicht hingegangen, es hat mich angewidert. Da ist ein Mensch oben gestorben.“

Konflikte zwischen Pakistanis und Sherpas

Pakistanische Hochträger stehen nicht zuletzt wegen fehlender alpiner Ausbildung in der Hierarchie klar unter den nepalesischen Sherpas. Sie leben in ärmlichen Verhältnissen. Steindl: "Wenn man in Österreich ein Schwein so unterbringen würde, dann würde man sofort verklagt werden."

Mit ein Grund für die mangelhafte Hilfeleistung könnte das Konfliktpotenzial im Verhältnis zwischen pakistanischen Hochträgern und den Sherpas sein. Die seien stark auf ihre Kunden fixiert und den Agenturen hörig, sagt Flämig. "Sie sehen, dass sich die pakistanischen Hochträger auch immer besser in dem Gelände bewegen, aber sie wollen sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen." Deshalb komme es immer wieder zu Diskriminierung. Es sei eine raue Welt.

Verstörender Kondolenzbesuch

Nach den dramatischen Ereignissen machten sich Steindl und Flämig zu Fuß auf den Weg vom Basislager ins Tal. Die beiden suchten Hassans Hinterbliebene auf und übergaben der Frau sowie deren drei kleinen Kindern 2.500 Dollar. Ihr verunglückter Mann sei erst 27 Jahre alt und die erste Saison auf dem Berg gewesen, seine Mutter leide an Diabetes, sagte die Witwe. Laut eigener Aussage hat ihr Steindl versprochen, die Ausbildungskosten für die Kinder zu übernehmen. Der Arbeitgeber des Verunglückten soll sich geweigert haben, der Familie das Gehalt auszuzahlen, weil Hassans Arbeit nicht vollendet gewesen sei. Steindl: "Die Familie kann sich keine Medizin, kein Essen leisten. Eine Harila und viele der Bergsteiger sind mit Helikoptern über uns und die Familie hinweggeflogen. Was für ein symbolisches Bild. Der Helikopter zum Rausfliegen kostet bis zu 12.000 Dollar pro Person."

Pakistan K2
Steindl beim Besuch der Hinterbliebenen von Mohammad Hassan.
Wilhelm Steindl

Steindl hatte sich ein Jahr nach der Besteigung des Everest den K2 "eingebildet", weil ihn der Berg fasziniere. "Es ist ein richtig schwieriger Berg, aber es sind leider Leute dabei, die dort überhaupt nichts verloren haben." Es ist "menschenverachtend und zynisch", sagt Flämig. Es gehe nicht darum, irgendwen an den Pranger zu stellen, es sei eine extreme Situation gewesen. Aber: "Wenn jemand in Schwierigkeiten ist, dann ist die oberste Priorität, ihn runterzubringen."

K2 Flämig und Steindl am Concordiaplatz
Philip Flämig (li.) und Wilhelm Steindl auf dem Concordia-Platz, dem Herz des Karakorum auf 4.600 Meter.
Foto: Wilhelm Steindl

Dem Ersuchen des STANDARD um Stellungnahme sind bisher weder Harila noch ihr Expeditionsveranstalter Seven Summit Treks und Hassans Arbeitgeber Lela Peak Expedition nachgekommen. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte Harila: "Als wir am Flaschenhals waren, einer der gefährlichsten Abschnitte des Berges, ist vor unserer Gruppe ein pakistanischer Träger abgestürzt. Er hing kopfüber in seinem Seil. Nach unserem Abstieg haben wir erfahren, dass er gestorben ist." Steindl: "Sie bekommt jetzt viel Aufmerksamkeit, vielleicht kann man die auch für die hinterbliebene Familie nützen." (Thomas Hirner, 8.8.2023)