Das neueste iPhone kostet im Technikladen in der Moskauer Innenstadt umgerechnet 1.200 Euro, ein neues Macbook 1.650. Alles ist da, und auch in ausreichender Menge, strahlt der Verkäufer. Und das, obwohl sich der Hersteller Apple längst aus dem russischen Markt zurückgezogen hat. Trotz aller Sanktionen: Es gibt fast nichts, was es in Russland nicht zu kaufen gibt, so scheint es. Und dies gilt nicht nur für die neuesten Spielzeuge der Generation iPhone.

In Moskaus Geschäften gibt es die neuesten MacBooks
Welche Sanktionen? In Moskaus Geschäften gibt es die neuesten Macbooks.
Jo Angerer, Moskau

Rechercheure des Onlinemediums "Werstka" haben russische Zolldokumente und eine Vielzahl weiterer Quellen ausgewertet. "Unsere Untersuchung ergab, dass fast alles von überall auf der Welt nach Russland gebracht werden kann – vom Dual-Use-Chip bis zum Airbus-Triebwerk. Die russischen Behörden umgehen erfolgreich europäische und amerikanische Sanktionen."

Zauberwort Parallelimport

Wie das funktioniert? Parallelimporte heißt das Zauberwort. Die "Werstka"-Rechercheure haben viele dieser Importe nachverfolgt. Das Muster sei immer das gleiche: Zunächst wird ein Unternehmen in einem Drittland registriert, bevorzugt von einem nichtrussischen Staatsbürger. Dann kauft dieses Unternehmen das benötigte Produkt entweder auf dem Inlandsmarkt oder bestellt es direkt beim Hersteller und stellt es für den Re-Export nach Russland bereit, so "Werstka". China und die Türkei spielen dabei eine große Rolle, aber auch die Länder der ehemaligen Sowjetunion, darunter Kasachstan, Kirgisistan, Armenien und Usbekistan.

Das System der Parallelimporte findet durchaus in den offiziellen Exportstatistiken seinen Widerhall: So haben sich westliche Exporte in die Anrainerstaaten Russlands in den vergangenen Monaten teilweise vervielfacht. Ein Beispiel sind die Ausfuhren aus Deutschland nach Kirgisistan: Im Jahr 2022 lag deren Wert noch bei weniger als zwei Millionen Euro; seither schoss er auf mehr als 70 Millionen Euro.

Ersatzteile über China

Beispiel: die zivile Luftfahrt. Flugzeug-Ersatzteile sind sanktioniert. Trotzdem hätten die vier größten Fluggesellschaften Russlands, Aeroflot, S7, Pobeda und Rossija, seit Jahresbeginn Ersatzteile im Wert von insgesamt über 100 Millionen US-Dollar importieren können, berichtet "Werstka". Über eine chinesische Firma importierte eine Tochtergesellschaft der S7 ein Airbus-Triebwerk, über einen in den Vereinigten Arabischen Emiraten registrierten Exporteur ging ein Motor für ein Embraer-E170-Flugzeug nach Russland. "Nicht alle Fluggesellschaften bestellen Teile direkt. Manchmal tun es andere für sie", weiß "Werstka". So sei der Umsatz eines russischen Zwischenhändlers im Jahr 2022 um 1.000 Prozent gestiegen. In diesem Jahr habe dieser sechs Flugzeugtriebwerke für Boeing-Flugzeuge der Baureihen 767 und 737 sowie für den Airbus A320 importiert. Geliefert wurde über die Vereinigten Arabischen Emirate.

Ein iPhone in einem Geschäft in Moskau
iPhone in einem Geschäft in Moskau: Das Zauberwort lautet "Parallelimporte".
Jo Angerer, Moskau

Parallelimporte spielen nicht nur in der Luftfahrt eine wichtige Rolle. Auf diesem Weg kommt Russland auch an Elektronik und Mikrochips, wichtig auch für die Rüstungsindustrie. "Werstka"-Recherchen ergaben, dass über China etwa Produkte der großen US-Hersteller Intel und AMD im Wert von rund 200 Millionen Dollar nach Russland gelangten. "Jetzt kann man immer noch alles nach Russland bringen", sagt ein Geschäftsmann den Rechercheuren. Er selbst transportiere eine Vielzahl sanktionierter Waren nach Russland, darunter Ersatzteile für Autos.

Vorsicht beim Bezahlen

Bleibt die Frage: Wie werden derartige Importe bezahlt? "Es gibt mehrere Zahlungsmöglichkeiten", so der Geschäftsmann. Zahlungsdienstleister würden die Transaktionen gegen eine Provision zwischen 1,5 und fünf Prozent abwickeln. "Wenn Sie jedoch etwas aus Europa oder den USA über China bestellen, benötigen Sie ein chinesisches Unternehmen, das die Waren bestellt und sie dann für den Re-Export bereitstellt", so ein russischer Importeur zu "Werstka". Wichtig sei aber, dass der Nutznießer dieser Firma ein Chinese sei, sagt er: "Europäische Unternehmen lehnen das, wenn man ihnen vorab mitteilt, dass der Nutznießer ein Russe ist, sofort ab."

Für Russland ist das Modell der Parallelimporte inzwischen ein eingespieltes System. Und es funktioniert in beide Richtungen. Auf die gleiche Art und Weise gelangen russische Waren, deren Einfuhr verboten ist, in die EU. Beispiel: Erdölprodukte. Laut einer Analyse der US-Beraterfirma S&P Global hat Russland seit Kriegsausbruch den Export von Erdölprodukten in afrikanische Länder um mehr als das Zehnfache gesteigert. Von dort kommen diese dann nach Europa. (Jo Angerer aus Moskau, Mitarbeit: Joseph Gepp, 10.8.2023)